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Interview

Arne Semsrott, was passiert, wenn die Rechten übernehmen?

Arne Semsrott ist Aktivist und Leiter des Transparenz-Projekts „FragDenStaat“. Gerade hat er sein neues Buch „Machtübernahme“ veröffentlicht. Die Ergebnisse der Europawahl zeigen: Stimmen gegen Rechts sind wichtiger denn je. Im Interview spricht Semsrott über Beamte als Brandmauer gegen die AfD und die Aktentasche von Olaf Scholz. Außerdem verrät er, welche Möglichkeiten die AfD hätte, wenn sie regieren würde – und er liefert eine „Anleitung zum Widerstand“.

Arne Semsrott leitet das Transparenz-Projekts „FragDenStaat“. Foto: Joerg Brueggemann / Ostkreuz

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Arne Semsrott: Droht die „Machtübernahme“?

tipBerlin Herr Semsrott, Ihr Buch „Machtübernahme” liefert Szenarien, was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Bringen Sie die AfD auf Ideen?

Arne Semsrott Ich fürchte, für die sind das alles keine neuen Ideen. Das Schlimme ist, dass es viele Leute innerhalb der AfD gibt, die sehr genau planen, was sie im Falle einer Machtübernahme tun würden.

tipBerlin Zum Beispiel?

Arne Semsrott Was in der Regel diskutiert wird, sind diese großen Schreckensszenarien. Also: Die AfD kommt an die Macht und die Demokratie wird abgeschafft. Aber erstmal würde die AfD bestehende Gesetze bis zur Grenze und darüber hinaus ausreizen. Zum Beispiel würde sie die neuen Asylrechtsverschärfungen so umzusetzen, dass es noch deutlich mehr Abschiebungen gibt.

tipBerlin Ihr Bruder, der Satiriker Nico Semsrott, hat fünf Jahre im EU-Parlament gesessen, erst für Die Partei, dann die Grünen. Sie arbeiten außerparlamentarisch als Aktivist und Journalist. Diskutieren Sie manchmal darüber, wer die größere Wirkungsmacht hat?

Arne Semsrott Wir arbeiten eigentlich relativ ähnlich über Öffentlichkeit. Auch Nico hat jetzt ja keine parlamentarischen Initiativen vorangebracht…

Aktivist und Journalist Arne Semsrott, hier auf einer Bundespressekonferenz im Oktober 2022. Foto: Imago/Kira Hofmann

tipBerlin War das ein Vorwurf?

Arne Semsrott Ich würde grundsätzlich von EU-Parlamentariern erwarten, dass sie das tun. Aber Nico kann auf jeden Fall gut Öffentlichkeit herstellen für Themen, die sonst niemand beachtet. Und er erreicht damit viel mehr Menschen als ich.

Arne Semsrott leitet das Transparenz-Projekt „FragDenStaat“

tipBerlin Was wissen Sie als Chef des Transparenz-Projekts „FragDenStaat“ besser als andere Leute?

Arne Semsrott Beamte haben einen Eid geschworen auf die Verfassung. Was würde so ein Beamter tun, wenn er die Anweisung hat, etwas Antidemokratisches umzusetzen? Über „FragtDenStaat“ wissen wir: Manche Beamte spielen in derartigen Situationen auf Zeit, machen Dienst nach Vorschrift, versuchen, etwas hinauszuzögern. Einige wenige widersetzen sich, sie remonstrieren, das ist der Fachbegriff. 

tipBerlin Die Brandmauer der Beamten gegen die AfD besteht also aus Bummelstreik und Krankschreibungen!

Arne Semsrott Letztlich müssen sich fünf Millionen Beamt:innen in Deutschland fragen, was sie in dieser Situation tun.

tipBerlin Im Berliner Abgeordnetenhaus beispielsweise ist es für AfD-Abgeordnete möglich, bei Ämtern Fördernachweise für zivilgesellschaftliche Initiativen abzufragen, um Finanzströme oder den Namen von Akteuren herauszukriegen. Gibt es konkrete Fälle?

Arne Semsrott Mir sind einige Geschichten bekannt von Initiativen, bei denen zum Beispiel Daten von Mitarbeiter:innen, von Menschen, die sie beraten haben, über den Umweg des Parlaments an AfD-nahe rechte Aktivisten gegangen sind. Und ich kenne Initiativen, die das erfolgreich verhindert haben, weil sie mit Hilfe des Datenschutzrechts, also der DSGVO, erreicht haben, dass die Verwaltung vor der Weitergabe ans Parlament solche Daten schwärzt.

Die AfD gehört letztlich ins Trash-TV

Arne Semsrott, Aktivist und Leiter des Transparenzprojektes „FragDenStaat“

tipBerlin Ein großer Teil Ihres Jobs besteht darin, sich durch Akten zu wühlen. Ist das nicht oft auch ziemlich öde?

Arne Semsrott Man kann dazu eine sehr nerdige Liebe entwickeln. Was hat dieser erstmal sehr langweilige Vermerk mit dem großen Ganzen zu tun?

tipBerlin Haben Sie ein Herz für die Aktentasche von Olaf Scholz, bekannt vom Tiktok-Kanal des Kanzlers?

Arne Semsrott Ich bin nicht auf TikTok, aber ich habe gehört, dass Olaf Scholz tatsächlich jede E-Mail, die er bekommt, direkt löscht, nachdem er sie gelesen hat. Wahrscheinlich ist also der wahre Wissensschatz in seiner Aktentasche und in seinem Kopf. Das heißt, wenn jemand die Tasche mal in die Hände bekommt, ich wäre dafür sehr offen (lacht).

tipBerlin Sie träumen davon, Alexander Gauland im Dschungelcamp zu sehen und Tino Chrupalla im Promi Big Brother Container. Was soll die AfD im Trash-TV?

Arne Semsrott Der Rechtspopulist Ronald Schill war in meiner Jugend Innensenator in Hamburg und ist später im Dschungelcamp- und als Reality-TV-Teilnehmer angekommen. Ich glaube, auch die AfD gehört letztlich ins Trash-TV.

AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla (links) und René Aust, EU-Kandidat der AfD (rechts) auf einer Veranstaltung im Vorfeld der Europawahlen 2024 in Oranienburg. Foto: Imago/Daniel Lakomski

tipBerlin Außerdem wünschen Sie sich einen 200-Milliarden-Euro-Fonds für die Demokratie-Förderung. Schon mal bei Finanzminister Lindner von der FDP nachgefragt?

Arne Semsrott Christian Lindner ist ja noch nicht mal von 200 Millionen Euro ein Fan. Aber wenn uns Demokratie wichtig ist, dann müssen wir in die Milliarden gehen. 200 Millionen Euro zu fordern, ist deswegen der falsche Weg. Wir brauchen 200 Milliarden Euro. Dann können wir uns auch runterhandeln lassen: auf 150 Milliarden Euro.

tipBerlin Der Verfassungsschutz hat die AfD laut Oberverwaltungsgericht Münster zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Sollte man jetzt einen Parteiverbotsantrag schreiben?

Arne Semsrott Ja, ja, ja und ja. Wenn nicht jetzt, dann kann man sich dieses Mittel des Parteiverbots auch ganz sparen. Auch weil das als Signal für andere fungiert. Mit einer Partei, gegen die ein Parteiverbotsverfahren  läuft, ist es wahnsinnig schwierig, eine Koalition zu bilden.

tipBerlin Reden wir nach den Landtagswahlen im Osten im September mehr oder weniger über die AfD?

Arne Semsrott Ich würde mir wünschen, dass wir weniger über die AfD und mehr über die Gefahren durch die AfD sprechen – und mehr über alternative Ideen. Ich fürchte aber, dass wir danach noch mehr über sie sprechen werden. Auch auch über sehr unerfreuliche Regierungskonstellationen.

Ich glaube, dass eine Form des solidarischen Prepping wichtig ist. Dass wir nicht nur Materialien sammeln und preppen, sondern auch Liebe und Solidarität

Arne Semsrott, Aktivist und Leiter des Transparenzprojektes „FragDenStaat“

tipBerlin Wie bereiten wir uns auf diesen möglichen Umstand mental vor?

Arne Semsrott Ich glaube, dass eine Form des solidarischen Prepping wichtig ist. Dass wir nicht nur Materialien sammeln und preppen, sondern auch Liebe und Solidarität und Verbindung und Hilfe bevorraten und Netzwerke schaffen, die auch dann halten, wenn vielleicht ein Staat da ist, auf den wir uns in dieser Form nicht mehr verlassen können.

tipBerlin Nach dem Motto: Bildet Banden?

Arne Semsrott Ja. Das ist ein Ansatz, der noch nie verkehrt war. Und ich glaube, das kann man noch weiter ausformulieren. Bildet Netzwerke, bildet Gruppen mit Liebe.

  • Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand von Arne Semsrott, Droemer, 240 S., 22 €

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