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Dunkle Wolken: Drei neue Bücher über psychische Krankheiten

Das vielstimmige Manifest „Nicht gesellschaftsfähig“, Till Raethers „Bin ich schon depressiv oder ist das noch das Leben?“, in dem der Autor und Journalist vom Streben nach Anerkennung berichtet und Mischa Mangels komplexer Roman „Ein Spalt Luft“: drei neue Bücher über psychische Krankheiten.

Dunkle Wolken ziehen auf, Grafik aus dem beeindruckenden Band „Nicht gesellschaftsfähig“, einem vielstimmigen Manifest über Psychische Krankheiten. Illustration: Schwarwel

Depressionen, Essstörungen, Zwangshandlungen. Psychische Belastungen und Krankheiten prägen die Gesellschaft, Millionen Menschen und deren Angehörige und Freunde sind davon betroffen und doch ist das Thema immer noch ein Tabu. Regelmäßig belegen wissenschaftliche Studien die anhaltende Stigmatisierung psychisch Kranker. Dagegen hilft nur Aufklärung und manchmal vielleicht auch Bücher. Drei neue, sehr unterschiedliche Werke stellen wir hier vor.

Als erstes ein schweren Klotz, 600 Seiten dick, vollgespickt mit bunten Illustrationen, Farbfotos, Cartoons. Die Erscheinung des von der Verlegerin Sandra Strauss und vom Grafiker Schwarwel konzipiertem Kompendium „Nicht gesellschaftsfähig“ ähnelt einem Magazin. Das Cover zieren rosa Blüten, die vermeintliche Leichtigkeit bricht aber bald, hinter der Farbpracht steht versteckt ein einsames Kind. Das Buch dringt tief ein in die Psyche und macht die düsteren Abgründe schwerer Krankheitsbilder sichtbar. Immer konkret, nah am Leben und fernab von theoretischen Erklärungsmustern berichten Dutzende Betroffene von ihren Erfahrungen.

Die persönlichen Perspektiven auf die Problematik machen diese in jedem Moment greifbar

Menschen wie du und ich, aber auch Prominente wie die Schriftstellerin Zoë Beck, die Musikerin Luci van Org, Danger Dan von der Hip-Hop-Gruppe Antilopen Gang oder der Kriminalbiologe und Autor Mark Benecke finden sich in diesem Werk. Dazwischen kommen auch Experten zu Wort: Psychologen, Therapeuten und Psychiater.
„Nicht gesellschaftsfähig“ ist ein Manifest. Mit der Gliederung eines Lehrbuchs umfasst es nahezu das gesamte Spektrum psychischer Erkrankungen, die persönlichen Perspektiven auf die Problematik machen diese aber in jedem Moment greifbar. Das Buch ist eine Einladung zur Empathie und zur Enttabuisierung – und ein Aufruf an alle, die selbst betroffen sind: Ihr seid nicht allein! Schließlich funktioniert niemand immer.

Auch Till Raether ist einer von ihnen. Er erzählt in seinem neuen Buch davon, wie es sich anfühlt, in dieser Lage dann aber trotzdem weiter zu funktionieren. Über diese Art von Depression, die „hochfunktional“ ­genannt wird, aber für die Betroffenen eher wie das Gegenteil erlebt wird.

Der Autor preisgekrönter Kriminalromane und Journalist – u. a. für die „Brigitte“, für die der Berliner zum Hamburger wurde, oder das „SZ-Magazin“ – schreibt offen über sein Leben, von der Scheidung der Eltern, über seine Erfahrungen mit verschiedenen Therapieansätzen, Psychopharmaka. Und über das Gefühl, wenn das Streben nach Anerkennung zur Sucht wird und diese Sucht so irre gut im Kapitalismus funktioniert. Ist das schon eine Depression oder eben das Leben? Gute Frage.

Tatsächlich merkt man die Krankheit vielen Betroffenen gar nicht an

Tatsächlich merkt man die Krankheit vielen Betroffenen gar nicht an, und manchmal merken sie es nicht einmal selbst, wie es auch Raether einfühlsam und emphatisch schildert, oder wollen sich der Diagnose nicht stellen. Was angesichts des eklatanten Mangels an Therapieplätzen und dem immer noch mit dem Thema Depressionen verbundenen Stigma verständlich ist.

Mit diesem autobiografischen Band im angenehm unliterarischen Ton – es liest sich, als sitze man mit Raether an der Kneipentheke – können Angehörige vielleicht ein wenig besser nachspüren, wie es sich anfühlt, wenn die Gedankenspirale in die Finsternis abdriftet. Und für Betroffene ist das Buch wie ein Gespräch mit einem Kumpel, der einen Weg gefunden hat, mit der Krankheit zu leben. Manchmal schlechter, aber immer besser. Und das macht doch auch wieder Hoffnung.

Angst, Schmerz, Einsamkeit. Eine Figur blickt aus einem düsteren Haus. Was aussieht, wie ein Bild aus einem Horrorfilm, ist eine Metapher für die Stimmung vieler Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden. Illustration: Schwarwel
Angst, Schmerz, Einsamkeit. Eine Figur blickt aus einem düsteren Haus. Was aussieht, wie ein Bild aus einem Horrorfilm, ist eine Metapher für die Stimmung vieler Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden. Illustration: Schwarwel

Das dritte Buch in diesem Text ist womöglich das rätselhafteste, verästel­tetste, literarisch ambitionierteste und die Leser:innen am meisten fordernde der hier vorgestellten Werke. Im Debütroman „Ein Spalt Luft“ des in Berlin lebenden Schriftstellers Mischa Mangel versucht ein junger Mann um die 30, seine Kindheit aus der im Dunkeln liegenden Vergangenheit freizuleuchten.

Psychische Krankheiten und die Stimmen in den Köpfen

Es ist eine Kindheit, die von der schweren Psychose, einer paranoiden Schizophrenie, seiner Mutter bereits in den ersten Lebensmonaten überschattet ist. In der sich sehr früh im Leben des Jungen – da hat der Vater die Mutter schon verlassen und das Kind ist ihr gleichsam ausgesetzt – offenbar Dinge ereignen, die Erschütterungen in alle Richtungen bewirken. Knapp zwei Jahre leben die beiden gemeinsam in einer kleinen Wohnung. Was dabei passiert, hallt lange nach.

Mischa Mangel, Jahrgang 1986, ist ein Absolvent des Hildesheimer Studiengangs Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus, in Marseille studierte er außerdem Kulturvermittlung/Médiation Culturelle de l’Art.
In „Ein Spalt Luft“nähert sich der Protagonist seiner Kindheit nicht chronologisch, sondern in Wellen, in Schüben, und seitwärts in der Zeit: über Gespräche mit dem Vater, den Großeltern, der Tante, der Cousine. Über das Studium von Gerichtspapieren, die die mentalen Krisen der Mutter bürokratisch nüchtern zu den Akten legen. Er arbeitet sich durch alte Notizen und Fotos, durch Briefe von der und an die Mutter, zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat.

Der Roman liest sich stellenweise, als würde man beim Lesen selbst beständig schwere Psychopharmaka einwerfen: poetisch, assoziativ, verwirrend, betörend. Es ist eine Collage aus vielen kurzen, hart aneinander geschnittenen Textpassagen. Diese Stilistik ist überaus ambitioniert, aber auch gelegentlich kurz davor, dem Autor regelrecht um die Ohren zu fliegen.

Albtraumhafte, teils wiederkehrenden Sequenzen

Da reden verschiedene Figuren in der ersten oder in der dritten Person Singular, bei dem sich die oder der gerade Erzählende oft erst aus der Rückschau erschließt. Dazu gibt es Aktennotizen mit Schwärzungen, Studien-Referate über Neuroleptika und ihre Nebenwirkungen sowie über Mütter, die ihre Mutterschaft bedauern („Regretting Motherhood“) oder auch wirre Wut-Tiraden.

Und albtraumhafte, teils wiederkehrenden Sequenzen wie aus einem durchgeknallten Horror-B-Movie. Jemand, der sich auf dem Dachboden erhängt hat. Klingen, die durch ein Handgelenk schneiden. Eine Kinderhand mit reifenbreitem Spalt, der sie teilt. Es sind Ausnahmezustände, die zur Regel werden, zur Grundeinstellung. Leben, denen die Wirklichkeit entgleitet, mehr und mehr. Dunkle Wolken, die sich einfach nicht verziehen wollen. Der Himmel, so grau.

Text: Jacek Slaski, Aida Baghernejad und Erik Heier


Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen von Sandra Strauß und Schwarwel (Hrsg.), Glücklicher Montag Verlag, 604 S., 29,90 €

Bin ich schon depressiv oder ist das noch das Leben? von Till Raether, Rowohlt Polaris, 128 S.,
14 €

Ein Spalt Luft von Mischa Mangel, Suhrkamp, 270 S., 22 €


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Zum Tod des Polemikers und Dichters erinnerte sich Erik Heier an dessen Zeit beim tipBerlin: R.I.P. Wiglaf Droste. Die Edition Tiamat gehört zu den Berliner Verlagen, die ihr unbedingt kennen solltet.

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