Luba Kemenova ist Russin, lebt seit 17 Jahren in Deutschland und betreibt den Laden OstPost in Friedrichshain, der viel mehr als nur ein Café ist. Man kann dort Bücher kaufen, Übersetzer finden, und die Inhaberin vermittelt auch Sprachkurse. Eine Begegnung.
Luba Kemenova eröffnete ihr Café OstPost mitten in der Pandemie
„Müssen Sie sich als Russin in diesen schlimmen Zeiten eigentlich nach außen hin ständig positionieren gegenüber dem Krieg in der Ukraine?“ Eine unumgängliche Frage derzeit. Luba Kemenova sagt: „Ich komme aus Wladiwostok und lebe seit 17 Jahren in Deutschland – ist das nicht Positionierung genug? Viele meiner Landsleute und ich, wir leben hier, weil es uns dort nicht gefällt.“ Man spürt, dass die 41-Jährige vom Krieg ebenso schockiert ist wie ihre deutschen Mitbürger. „Ich war noch keine 18, als Putin an die Macht kam, ich kenne quasi nichts anderes. Und wenn ich heute nach Russland zurückkomme, blicke ich objektiver auf die Situation dort. Es könnte alles viel besser sein, es ist so ein reiches Land mit seinen Ressourcen.“
Luba Kemenova hat es sich zum Gespräch in ihrem Buchladen-Café OstPost in Friedrichshain gemütlich gemacht, was nicht schwer fällt bei der liebevollen Einrichtung mit vielen Kissen, Bildern an den Wänden, großen Bücherregalen und einem gediegenen hölzernen Tresen. Sie kam 2005 nach Deutschland, um in Cottbus „World Heritage Studies“ zu studieren, ein Studium über das Weltkulturerbe. Doch so richtig erfüllt hat sie das nicht, also arbeitete sie nach ihrem Abschluss als Übersetzerin und Lehrerin.
Zufällig entdeckte Kemenova die Ladenfläche in einem ruhigen Friedrichshainer Kiez
Im Hintergrund gab es aber immer den Traum, sich etwas Eigenes aufzubauen. Also versuchte sie es zuerst mit einer Sprachschule, dann mit einem ersten eigenen Café in Prenzlauer Berg. „Aber ich habe dann eingesehen, dass ich dort mit meinem Interieur nicht so richtig hinpasse“, sagt sie. Drei Monate habe sie sich gegeben, um etwas Neues zu finden, und stolperte dann über die Räume in der Richard-Sorge-Straße. Ein entspannter Kiez im Nordwesten Friedrichshains, weg von den Touristen- und Partymeilen in der Simon-Dach- und Revaler Straße. „Ich sah die Räume und dachte: Hier ist Seele!“, sagt sie.
Die Inhaberin erklärt den Unterschied zwischen verschiedenen osteuropäischen Teigtaschen
Die Neueröffnung erfolgte im August 2020, kurz nach dem ersten Corona-Lockdown. Kein leichter Start. „Aber OstPost wurde schnell angenommen im Kiez, die Leute kommen gerne, zum Frühstücken oder zum Mittagstisch.“ Unterstützung erhält sie von vier Angestellten, die auf Stundenbasis arbeiten; bald sollen noch zwei Mitarbeiter dazukommen. Und auch wenn es bei der großen Arbeitsbelastung paradox klingt, kommt ihr als alleinerziehende Mutter die Selbstständigkeit tatsächlich entgegen. „Wer bitteschön würde mich als Alleinerziehende in Vollzeit fest anstellen? Wenn etwa meine fünfjährige Tochter krank wird?“ So hat sie zwar kaum Zeit für sich alleine, kann sich den Tag aber einteilen und abends immer ein paar Stunden mit ihrem Kind verbringen. „Ich bin fatalistisch“, sagt sie, „wenn ich mal Oma bin, dann werde ich viel Freizeit haben.“
Aber wofür genau wird die ganze Arbeitszeit verwendet? Da ist zuallererst das Café, geöffnet täglich außer montags von zehn bis 18 Uhr. Mit Frühstück, Mittagstisch mit der Suppe des Tages, und natürlich mit osteuropäischen Spezialitäten. Und schon wird der interessierte Besucher über die Feinheiten der osteuropäischen Teigtaschen aufgeklärt: „Pelmeni sind rund und mit Fleisch gefüllt, Wareniki sehen aus wie ein Halbmond und haben normalerweise keine Fleischfüllung. Und Blini sind im wesentlich das, was man in Berlin ,Eierkuchen‘ nennt.“ Klingt lecker.
OstPost ist auch Anlaufstelle für diverse osteuropäische Sprachen
Doch OstPost ist noch sehr viel mehr als nur ein Café, nämlich eine Anlaufstelle für fast alles, was mit osteuropäischer Literatur und Sprache zu tun hat. Wobei sich Luba Kemenova hier hauptsächlich als Vermittlerin versteht. In den Regalen steht eine kleine Auswahl von Büchern aus Osteuropa in der Originalversion. Einen größeren Bestand hält die Ladenbetreiberin nicht für nötig und erklärt: „Zu uns kommt wegen den Büchern kaum jemand zufällig vorbei. Wer zu uns kommt, der hat uns gesucht und gefunden.“ Und derjenige wisse dann meist genau, was er haben will – und das könne dann bestellt werden. Und wenn jemand einen Sprachkurs in Ukrainisch, Russisch, Polnisch, Tschechisch, Ungarisch, Rumänisch oder Slowakisch buchen möchte, ist Luba Kemenova die Vermittlerin, auch für Übersetzungen aus diesen oder in diese Sprachen. Alles Angebote, die in Berlin nicht sehr verbreitet sind: „Wir haben geguckt, was gebraucht wird und uns dementsprechend orientiert.“
Und es läuft. Durch den zweiten Lockdown ist Kemenova auch dank staatlicher Unterstützung gekommen. Was sie aber sichtlich nervt: Die Pandemie hat sie bezüglich ihrer weiteren Pläne ausgebremst. Im hinteren Teil von OstPost gibt es einen größeren Raum, den sie viel mehr für Aktivitäten nutzen möchte: vom Kleidertausch über Gesangsworkshops und Kunsttherapie auf Russisch bis zu Filmvorführungen oder den innovativen Malkurs „ArtNight“, von Kindergruppen bis zu Lesungen. Manches davon hat jetzt wieder vorsichtig begonnen, demnächst wird es im Café eine Ausstellung geben. Es gibt also viel zu tun für Luba Kemenova: „Es macht mir Spaß, wenn es auf Hochtouren läuft.“
- OstPost Richard-Sorge-Str. 25, Friedrichshain, Tel. 0176/ 99 80 63 29, Di–So 10–18 Uhr, www.ostpost-berlin.de
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Die Inhaberin von OstPost ist geschockt – wie so viele Berlinerinnen und Berliner auch. Die passenden Anlaufstellen, um den Opfern des Ukraine-Kriegs zu helfen. Bei OstPost lassen sich Bücher in verschiedenen slawischen Sprachen erwerben. Auch Shakespeare, Balzac oder Dostojewski im Original zu finden, ist in Berlin kein Problem. Hier stellen wir euch tolle internationale Buchläden für fremdsprachige Literatur vor. Berlins Immobilienmarkt ist ein Sumpf für schmutziges Geld. Auch russische Oligarchen haben in der Stadt möglicherweise Vermögen versteckt.