Christian Baron schildert in seinem neuen Roman „Schön ist die Nacht“ eindringlich den Kampf zweier „einfacher Leute“ um finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg im Malocher-Mileu der 70er Jahre. Ein Porträt des in Berlin lebenden Schriftstellers zur Berliner Buchpremiere am 5. September 2022.
Christian Baron: Ein eindrucksvoller Roman über Horst, Willy und die Vergeblichkeit der Dinge
Diesmal steht es auf dem Cover: „Roman“. Und auch das: „Spiegel Bestseller-Autor“.
Als Anfang 2020 das Buch „Ein Mann seiner Klasse“ von Christian Baron, 1985 in Kaiserslautern geboren, Journalist in der „Freitag“-Redaktion, erschien, wollte der Autor keine Genre-Bezeichnung auf dem Buchdeckel sehen. „Ich habe immer gesagt: Ich will mich nicht hinter einer Fiktionsbehauptung verstecken.“ Aus der „Ich“-Perspektive zeichnete er sein Aufwachsen in bitterer Armut im Kaiserlautern der 90er Jahre nach, mit dem verstörend brutalen Vater und der depressiven Mutter, die mit Anfang 30 dem Krebs erliegt. Sachbuch? Autofiktion? Memoir? Hm.
Jetzt also doch: „Roman.“ Völlig zu Recht auch.
„Schön ist die Nacht“ springt in die 70er Jahre zurück. Wieder in Kaiserslautern. Es ist die Geschichte von Christian Barons Großvätern. Von „Horst“, so nennt er die Figur, Hilfsarbeiter, ungelernt, Trinker, stets irgendwo auf der schiefen Bahn. Und Willy, Zimmerer, fleißig bis zur Selbstaufgabe, anständig bis zum Trotteltum. Eine Männerfreundschaft, die allem Unbill standhält. Selbst Verrat. Und Horsts krummen Dingern, in die er den treuen Willy reinzieht.
Ein Buddy-Bund fürs Leben. Symbiotisch gegensätzlich. Wie Pech und Schwefel. Stan und Ollie. Bud Spencer und Terence Hill. Willy guckt im Kino „Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“. Wäre gern so schlagfertig wie Bud und Terence. Ist es aber nicht. Natürlich nicht.
Und Horsts Stammkneipe heißt „Goldmine“. Ein Hohn. Nichts ist hier Gold. Wirtschaftswunder? Wohlstand für alle? Lügenpack, alle. Die Risse in der Gesellschaft tun sich auf. Und schlucken als erste jene, die ganz unten sind.
„Damit stehen beide demonstrativ für die beiden Wege, mit denen man in dieser sozialen Marktwirtschaft nach oben kommen kann“, sagt Baron. „Und beide Wege führen nicht automatisch zum Ziel.“
„Ein Mann seiner Klasse“ hieß Barons erster Überraschungs-Bestseller
Im neuen Roman gibt es kein „Ich“. Vielleicht macht ihn das sogar stärker, literarischer. Weil Baron nah am Milieu schreibt, mit dem direkten wie derben Vokabular der „einfachen Leuten“, ohne in den Sozialkitsch hineinzuwaten. Mundart markiert in viele Richtungen. Region, Klasse.
Mit „Ein Mann seiner Klasse“, erst im März 2019 Überschrift eines „Freitag“-Textes, dann das erste Kapitel des Buchs, hat Christian Baron einiges dazu beigetragen, die Themen Klassismus und Armut verstärkt in den deutschen Literaturdiskurs einzuspeisen. Scham, Traumata, das Fremdheitsgefühl nach dem Aufstieg. Existenzangst.
Baron selbst hatte beim „Freitag“ 2018 den Hashtag #unten miterfunden, unter dem viele ihre Armutserfahrungen teilten. 2020 gab er gemeinsam mit der Ullstein-Lektorin Maria Barankow den Band „Klasse und Kampf“ heraus, in dem 14 Autor:innen wie Bov Bjerg, Sharon Dodua Otoo und Anke Stelling persönliche Essays beisteuerten (mehr zu diesem Buch hier).
Schlagender und saufender Opa Horst: Nicht das reine Böse
Opa Willy, der eine große Rolle in „Ein Mann seiner Klasse spielt“, ist erst vor zwei Jahren gestorben, mit 91. Sein Lieblingslied war ein Tango: „Schön ist die Nacht.“
Opa Horst dagegen, Vater seines Vaters, starb bereits, als Christian Baron gerade mal zwölf war. Im ersten Buch taucht er selten auf, ein Säufer und Schläger, der aussah wie Freddie Krueger und Christian Barons Mutter mit rätselhaftem Hass überzog. Baron sagt: „Wenn man sich genauer mit solchen Figuren beschäftigt, merkt man, dass sie nicht das reine Böse sind. Dass da Ambivalenzen drin stecken, die erzählenswert sind.“
Jetzt, in „Schön ist die Nacht“, dem Prequel, legt er die Wurzel dieses Hasses bloß.
Wie entkam Baron selbst seiner Klasse?
Wie er selbst dem Schicksal seines Vaters, seiner Großväter entkam, das seiner Biografie eingeschrieben schien? „Der Unterschied ist, dass ich in meiner Kindheit durch Menschen im System gerettet wurde, die Ermessensspielräume ausreizen, mich bei der Hand nahmen.“ Zwei Tanten. Lehrerinnen und Lehrer. Leute beim Jugendamt. „Wir sind ja keine Ständegesellschaft, wo gar nichts geht. Sondern eine Klassengesellschaft, wo prinzipiell Aufstieg möglich ist. Aber es braucht Hilfe von anderen, die über einem stehen.“
Beim „Freitag“ sitzt er nicht mehr in der Redaktion, er schreibt weiter Texte dort, aber auch anderswo, in der „Süddeutschen“ etwa. „Jetzt bin ich in der Rolle desjenigen, der diese Bücher geschrieben hat und sich zu sozialen Fragen äußert.“ Wobei er „Schriftsteller“ für einen überhöhten Begriff hält. Nun ja. Baron erzählt, er werde öfter gefragt, ob Schreiben eine Therapie für ihn sei. „Dann sage ich: Schreiben nicht, da will ich nur einen guten Text hinkriegen. Aber das Darüber-Nachdenken und -Sprechen. So, wie wir beide das jetzt auch tun. Das ist es.“ Er lacht.
Fluchtwege, falls das Trauma zurückkehrt
„Retraumatisierend“ ist ein Begriff, den Christian Baron im Gespräch mehrfach benutzt. Für das bange Gefühl bei Lesungen etwa, in denen er die Gewalt seiner Kindheit nicht frei erzählen will, nicht kann. Er liest sie vor. Was niedergeschrieben ist, eine feste Form hat, ein Gefäß, hält die Dämonen in Schach. Als das Schauspielhaus Hannover „Ein Mann seiner Klasse“ adaptiert, fragt er sich, ob er zwischendurch rausrennen muss. Bei der Premiere lässt er sich einen Platz ganz am Rand geben. Ebenso beim Theatertreffen im Mai, zu dem das Stück als eines der zehn besten Aufführungen der Saison eingeladen wurde. „Damit ich den Fluchtweg habe.“
Dann sieht er sich selbst zu, dort oben, auf der Bühne. Und bleibt bis zum Ende sitzen, beide Male.
- Schön ist die Nacht von Christian Baron, Claassen, 384 S., 23 Euro
- Buchpremiere Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg, Mo 5.9., 20 Uhr, 11 € plus VVK-Geb.
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