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Literatur

1920er-Jahre: Als Berlin das Mekka für englische Schriftsteller war

Das Literaturprojekt „Happy in Berlin?“ widmet sich englischen Autoren und Autorinnen, die in den 1920er- und 1930er-Jahren Berlin besuchten und in der Metropole teilweise auch lebten. Dass heute Künstler, Musiker und Schriftsteller beider Geschlechter und aus aller Welt nach Berlin strömen, ist kein Geheimnis. Seit dem Mauerfall entwickelte sich die deutsche Hauptstadt zu einem internationalen Hotspot für die Kunst- und Kreativbranche. Die Freizügigkeit und die Freiräume wirken attraktiv auf Freigeister. Frei, frei, frei – So viel Freiheit! Kein Wunder, dass sich das Berliner Stadtmarketing als werbefähigen Claim „Berlin, Stadt der Freiheit“ ausgedacht hat.

Christopher Isherwood (links) und W. H. Auden (rechts). Foto: Carl van Vechten
Christopher Isherwood (links) und W. H. Auden (rechts). Foto: Carl van Vechten

Berlin war das pulsierende Herz der Welt

Doch dieses einmalige Freiheitsgefühl verspürten kreative Bohemiens bereits vor einem Jahrhundert, damals in den Goldenen Zwanzigern galt Berlin schon einmal als „the place to be“. Das Nachtleben in der Spreemetropole war legendär, die Varietés, Theater und Bars schlossen gefühlt nie, Moralvorstellungen und Sitten lockerten sich, die Kunst traute sich mehr zu – und für einen kurzen Augenblick war Berlin in den 1920er-Jahren das pulsierende Herz der Welt.

In jener Zeit der Weimarer Republik trafen auch zahlreiche Literaten aus dem benachbarten England am Bahnhof Zoo ein. In modische Mäntel gekleidet, stiegen sie aus den dampfenden Zügen, nur einen kleinen Lederkoffer unterm Arm, und stürzten sich direkt ins Berliner Leben. Der Kontrast zwischen den fluchenden Droschkenkutschern und den weltgewandten Gentleman hätte nicht größer sein können, doch die halbseidenen Etablissements, die auch homosexuellen Männern viel zu bieten hatten, übten einen enormen Reiz aus, wie auch die Avantgardisten-Zirkel und die geschäftigen Cafés, in denen sich die Intellektuellen trafen. Deutsche, Russe, Polen, Juden und eben auch Engländer.

„Happy in Berlin?“: Ausstellung im Literaturhaus

Eine Ausstellung im Literaturhaus Berlin, mehrere Veranstaltungen und ein bildschöner Katalog beleuchten nun die abenteuerlichen, inspirierenden und zuweilen auch tragischen Zeiten, die Virginia Woolf, Christopher Isherwood, W.H. Auden und andere in Berlin verbracht haben. Ihre Abende in Bars, Debatten in Kaffeehäusern und Besuche in den berühmten wissenschaftlichen Instituten, den Avantgarde-Kinos und den Kabaretts.

Auch hier kehrten die englischen Schriftsteller ein, in die Konditorei Schilling am Kurfürstendamm. Foto: Literaturhaus Berlin
Auch hier kehrten die englischen Schriftsteller ein, in die Konditorei Schilling am Kurfürstendamm. Foto: Literaturhaus Berlin

Das Projekt „Happy in Berlin? Englische Autor*innen der 1920er und 1930er Jahre“ rückt den Fokus auf den historischen Moment der Freiheit, kurz vor der Machtübernahme durch Adolf Hitler und die NSDAP, die nicht nur den Engländern das Leben in Berlin unmöglich machten. Wenn auch der pro-faschistische britische Avantgarde-Autor Wyndham Lewis in Berlin einer Faszination für Hitler erlag und Schriften gegen die sexuelle Freizügigkeit Berlins in der Weimarer Republik verfasste. Lewis blieb eine Ausnahme.

Die Zeit der englischen Expats in Berlin wurde zum Mythos, vor allem durch Christopher Isherwoods Roman „Leb wohl, Berlin“ und die legendäre Filmadaption „Cabaret“ (1972). Film wie Buch setzten jenem Berlin in den Jahren vor dem unheilvollen Aufstieg der Nationalsozialisten ein Denkmal. „Happy in Berlin?“ erlaubt nun, sich dieser Ära anzunähern. Die Ausstellung präsentiert die Treffpunkte der damaligen Boheme, etwa das Romanische Café oder das Eldorado Cabaret, wo diskutiert und geschrieben, getrunken und gefeiert wurde, und eine immersive Soundinstallation lässt in Christopher Isherwoods akustisch eintauchen.

Ergänzend dazu kann man bei einer literarischen Führung mit Sebastian Januszewski die Künstlercafés des Neuen Westens entdecken und bei den Abendveranstaltungen diskutiert etwa die Literaturwissenschaftlerin Laura Marcus mit dem Filmhistoriker Philipp Stiasny über die Kinokultur der Weimarer Republik und die Schriftstellerin Antje Rávic Strubel spricht mit der Leiterin des Literaturhauses Berlin Janika Gelinek über Virginia Woolf. „Happy in Berlin?“ – ob die berühmten Literaten aus England hier immer glücklich waren? Vermutlich nicht, aber mit Sicherheit hatten sie „a hell of a time„.

  • Happy in Berlin? Englische Autor*innen der 1920er und 1930er Jahre 16.6. bis 31.7.2021
  • Literaturhaus Berlin Fasanenstraße 23, Charlottenburg, Mi-Fr 12–18 Uhr, Sa-So 11–17 Uhr, Eintritt frei
  • Foyer des Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin, Geschwister-Scholl-Straße 1-3, Mitte, Mo-Fr 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei

Alle weiteren Termine und Informationen zu „Happy in Berlin?“ finden sich auf der Website vom Literaturhaus Berlin.


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