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Interview

Hengameh Yaghoobifarahs Roman: „Von der Mood her viel Berlin drin“

Hengameh Yaghoobifarah ist vieles: Journalist*in, Aktivist*in, Reizfigur und im letzten Sommer kurzzeitig – es ging um einen „taz“-Text über Polizist*innen – auch Staatsfeind*in Nummer eins. Nach vielen Kolumnen und Essays legt Yaghoobifarah nun erstmals einen Roman vor: „Ministerium der Träume“. Und dieser schert sich genauso wenig um Konventionen wie Hengameh Yaghoobifarah selbst: eine Familiensaga jenseits klassischer Familienstrukturen, ein Kriminalroman ohne Polizeiromantik und eine Berlinerzählung ohne urbanen Kitsch.


Hengameh Yaghoobifarah hat den Debütroman „Ministerium der Träume“ geschrieben. Foto: Tarek Mohamed Mawad

Hengameh Yaghoobifarahs Debüt: „Wie kann ein copkritischer Krimi aussehen?“

tipBerlin Hengameh Yaghoobifarah, ich habe von Ihnen keine Noir-Erzählung erwartet – wie kamen Sie dazu, eine Art Kriminalroman zu verfassen?

Hengameh Yaghoobifarah Dass es ein Krimi wird, ist erst im Laufe des Schreibens so passiert. Es sollte um eine queere Person gehen, die schon älter ist, die ihren Lebensentwurf komplett abseits von Heteronormativität, Kinder kriegen und Beziehungen führt, dann aber dazu kommt, zu parenten. Ich bin selber überhaupt kein Krimityp, hasse „Tatort“ und Cop-aganda-Serien und lese auch nicht wirklich Krimis. Ich habe als Kind ab und zu „TKKG“-Hörspiele gehört, aber das war’s dann auch. Was ich in der Narration interessant fand zu exploren: Wie kann ein copkritischer Krimi aussehen? Wie kann ein Krimi ausgehen, wenn du nicht die Ermittlungswerkzeuge der Sicherheitsbehörden hast?

tipBerlin Parallel zu der Familiengeschichte thematisiert Ihr Roman „Ministerium der Träume“ Rassismus in Deutschland über die letzten 30 Jahre. War das von Anfang an Ihre Absicht, diese beiden Stränge miteinander zu verflechten?

Hengameh Yaghoobifarah Ursprünglich war es als queerer Roman über Familienkonzepte gedacht, politisch zu sein war nicht Teil des Grundkonzepts. Aber wie eine Lasagne kam immer noch eine Schicht dazu und man setzt immer mehr Sachen in Zusammenhang: wenn die Protagonistin in den 70ern im Iran geboren ist und in den 80ern nach Deutschland gekommen ist, dann wird sie auch die 90er erlebt haben. Und die werden sie geprägt haben, sie wird entweder antifaschistisch aktiv geworden oder in den Assimilationsmodus gefallen sein.

Ministerium der Träume: „Safe nicht denken, dass es autobiografisch ist“

tipBerlin Ihre Protagonistin gehört einer völlig anderen Generation als Sie an, ist wesentlich älter. Woher kommt das Interesse an dieser anderen Perspektive?

Hengameh Yaghoobifarah Das Alter der Protagonistin ist erstmal dadurch entstanden, dass ich mir die Frage gestellt habe, wie alt muss die sein, um in dieses Alter zu kommen, wo klar ist: Du kriegst jetzt kein Kind mehr? Aber trotzdem ist diese Person im Nachtleben aktiv. Klar, du kannst mit 60 noch im Nachtleben unterwegs sein, aber ich habe noch nie eine 60-jährige Türsteherin kennengelernt. Und ich wollte auch, dass Leute safe nicht denken, dass es autobiographisch ist! Ich wusste, wenn’s plus-minus fünf Jahre Altersunterschied sind, denken alle, es geht um mich. But that’s literally not me.

Der erste Roman von Hengameh Yaghoobifarah ist eher zufällig ein Krimi geworden. Foto: Blumenbar

tipBerlin Es fließen ja trotzdem Dinge von Ihnen ein, die Protagonistin ist beispielsweise auch persischstämmig wie Sie. Was haben Sie zugelassen und was wäre dann zu nah?

Hengameh Yaghoobifarah Das, was von mir am meisten drinsteckt, ist der „Gaze“, der Blick auf Dinge. Viele weiße männliche cis-hetero Autoren beanspruchen eine universalistische Position für sich, die aber gar nicht eintritt, weil der Blick schon so gefiltert ist. Ich tu’ gar nicht erst so, als wäre der Blickwinkel dieser Geschichte allgemeingültig. Die Geschichte ist spezifisch, dennoch gibt es darin Motive, die universalistisch sind, Themen wie Verlust oder Liebe.

Yaghoobifarah über das Debüt: In Lübeck ist nicht jedes Wochenende queere Party

tipBerlin Berlin spielt in „Ministerium der Träume“ eine große Rolle, insbesondere die Spannung zwischen Berlin und der, nun ja, Provinz…

Hengameh Yaghoobifarah Ich finde gar nicht, dass es in erster Linie ein Berlin-Roman ist. Ich habe darüber nachgedacht, wie viele Details ich zulasse und mich dafür entschieden, Dinge nicht zu benennen und nicht zu Insider-Berlin-mäßig zu sein. Die, die es nicht kennen, kommen trotzdem mit: War sie am Anfang bei Sahara mit ihrem Sandwich? Ja. Ist es wichtig für den Leser aus Dortmund? Wahrscheinlich nicht. In welcher Bar arbeitet sie? Wir wissen es nicht. Vielleicht ist sie ausgedacht, vielleicht ist es aber auch die Möbel Olfe. Oder Silver Future. Oder etwas ganz anderes. Von der Mood her ist viel Berlin drin.

Dieses Berliner Lebensgefühl ist ja auch für die Identität und Entwicklung der Figuren zentral: Sie sind nach Berlin gekommen und sie haben aufgeatmet. Es geht eben auch um den Kontrast zwischen Großstadt und Provinz, ein Thema, das für viele Queers, vor allem Queers of Colour, wichtig ist. In Berlin hast du Freiheiten, die du als queere Person, die du in Lübeck, um beim Roman zu bleiben, nicht hast. Da gibt’s nicht jedes Wochenende eine queere Party – und in Berlin gibt es jedes Wochenende 20. Ästhetisch, politisch und infrastrukturell macht es eben doch einen Unterschied, in Berlin zu wohnen.

  • Ministerium der Träume von Hengameh Yaghoobifarah, Blumenbar, 384 S., 22 €

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