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Internationales Literaturfestival Berlin: Das größte Literatur-Ereignis der Stadt

Das 24. Internationale Literaturfestival Berlin bringt vom 5. bis 14. September 2024 Autor:innen aus 50 Ländern in die Stadt und vor allem ins Haus der Berliner Festspiele. Erstmals mit einem „Curator in Residence“ und einem Festivalmotto. Unsere 12 Empfehlungen für das wichtigste Berliner Literaturfestival des Jahres: vom japanischen Shootingstar bis zur britischen Bestseller-Autorin Rachel Cusk.


Internationales Literaturfestival Berlin: Eröffnung über Genozid und Gulag

Internationales Literaturfestival Berlin: Beata Umubyeyi Mairesse hält 2024 die Eröffnungsrede. Foto: Erik Founaund

Die erste komplett unter der Regie der neuen Chefin Lavinia Frey geplante, insgesamt 22. Auflage des Internationalen Literaturfestivals Berlin startet mit einer Rede der Schriftstellerin Beata Umubyeyi Mairesse (Foto), die 1994 aus Ruanda nach Frankreich geflohen ist. Denn 2024 liegt der Genozid an den Tutsi in Ruanda 30 Jahre zurück.

Beim 24. ilb sind vom 5. bis 18. September 150 internationale Autor:innen aus über 50 Ländern in rund 150 Veranstaltungen und Workshops zu Gast. Erstmals gibt es ein Festivalmotto: „Strange New World”. Nach der Eröffnung ab 18 Uhr auf der Großen Bühne vom Haus der Festspiele geht es um 20 Uhr weiter mit der Deutschlandpremiere von Szczepan Twardochs neuem Roman „Kälte“, in der ein russischer Revolutionär unter Stalin im Gulag landet, dessen Tagebuch von seiner Flucht erzählt. Bei der Eröffnungsparty ab 21.30 Uhr hat die Spoken-Word-Künstlerin Wana Udobang ihren Auftritt. 

  • Haus der Berliner Festspiele (Festivalzentrum) Schaperstr. 24, Wilmersdorf
  • Eröffnung Große Bühne, 18 Uhr;
  • Buchpremiere Szczepan Twardoch: „Kälte“ 20 Uhr;
  • Eröffnungsparty Oberes Foyer, 21.30 Uhr

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Internationales Literaturfestival Berlin: Wie schreibt man in Zeiten der Katastrophe?

Internationales Literaturfestival Berlin erstmals mit „Curator in Residence“: Helon Habila. Foto: Windham Campbell Prize

Unter der ilb-Leitung von Lavinia Frey, die erstmals komplett die Planung des Festivals verantwortet – im vergangenen Jahr hatte ihr Vorgänger Ulrich Schreiber dabei noch viel vorgelegt – gibt es erstmals einen  „Curator in Residence“: Helon Habila (Foto), Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben (Nigeria/USA). Nicht zuletzt angesichts des gleichfalls neu  eingeführten Festivalmottos „Strange New World“ nennt er das Podium „Writing in a Time of Catastrophe“ eines der wichtigsten Panels beim ilb. Einen Tag nach ihrer ilb-Eröffnungsrede spricht Beata Umubyeyi Mairesse (Ruanda/Frankreich), die als Überlebende des Genozids in Ruanda vor 30 Jahren eine beeindruckende Familiensaga darüber geschrieben hat, mit V. V. Ganeshananthan, Autorin tamilischer Abstammung (USA), deren Roman „Brotherless Night“ den Bürgerkrieg in Sri Lanka verarbeitet. Es geht um Krieg, Familie, Überleben, und wie die Literatur darüber Zeugnis ablegt.

  • Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 18 Uhr, englisch

New German Voices:  Raphaëlle Red und Finn Job

Debütroman als Roadnovel: Raphaëlle Red. Foto: privat

Finn Jobs erster Roman „Hinterher“ zeichnete einen fiebrigen, mit reichlich Koks bestreuten Roadtrip von zwei Männern, beide Anfang 20, von  Neukölln über Amiens in die Normandie nach, sein gerade erschienener zweiter Roman „Damenschach” handelt von einer zusehends seltsamen Dinnerparty in einer Architektenvilla im Wiener Wald. Ebenfalls ein Debüt mit einer Road Novel legt die in Paris geborene Autorin Raphaëlle Red vor: „Adiko”, ihre titelgebende Protagonistin, verlässt Paris, um in Lomé, Togo, dem Geburtsort ihres Vaters, ihrer eigenen Herkunft nachzuspüren. Zwei neue literarische Stimmen aus Berlin, die beim Internationalen Literaturfestival Berlin als „New German Voices” vorgestellt werden.

  • Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 7.9., 19.30 Uhr

„Future Ost”: Ein literarischer Trialog, 35 Jahre nach dem Mauerfall

Charlotte Gneuß legte in diesem Jahr ihren Debütroman „Gittersee“ vor. Foto: Foto: IMAGO / Eberhard Thonfeld

Die Mauer, die vor knapp 35 Jahren fiel, kennen die Millennials nicht mehr aus eigenem Erleben. Die radikalen gesellschaftlichen Änderungen und Verwerfungen danach um so mehr. Über den deutschen Osten haben die Panel-Teilnehmer:innen aufsehenerregende Bücher geschrieben: Charlotte Gneuß („Gittersee“, Foto), Hendrik Bolz („Nullerjahre“) und Domenico Müllensiefen („Aus unseren Feuern“ und, ganz neu und wieder ganz großartig „Schnall dich an, es geht los“).

  • Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 7.9., 21 Uhr, deutsch

Ukraine-Epos von Sofia Andruchowytsch beim ilb: „Die Geschichte von Sofia”

Ukraine-Epos beim ilb: Sofia Andruchowytsch. Foto: Olha Bondar

Mit ihrem neuen Roman „Die Geschichte von Sofia“ beschließt die große ukrainische Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch ihre insgesamt 1.300 Seiten starke „Amadoka-Trilogie“, in der sie sich anhand von drei Frauenschicksalen mit der schmerzhaften Geschichte ihres Landes, der Ukraine, befasst. Angesiedelt in der Intelligenzija im Kiew der 1920er-Jahre, wird der Dichter Mykola Zerow von Stalins Schergen ermordet. Seine Frau Sofia hat einen mysteriösen Geliebten: den Autor, Wissenschaftler und sowjetisch-deutschen Doppelagenten Wiktor Petrow. Und der scheint in Petrows Tod involviert zu sein.

  • Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne 8.9., 18 Uhr, englisch/ukrainisch/deutsch

Japanische Shootingstar: Hiroko Oyamada liest beim ilb

Internationales Literaturfestival Berlin: Hiroko Oyamada. Foto: Shinchosha

Mit besonderen Empfehlungen der ilb-Programmleiterin Simone Schröder: Die „New York Times“ nannte Hiroko Oyamadas Roman „Das Loch“, wie wir dem ilb-Programmheft entnehmen, ein „surreales und hypnotisierendes Buch“. Asa zieht mit Mann von der Stadt aufs Land, direkt neben die Schwiegereltern – und fällt in ein Loch, das jemand nur für sie gebuddelt hat: der Auftakt zu jeder Menge vertrackter Begebenheiten. Der Sommer ist heiß, die Zikaden sind eine Plage, der Fluss voller Müll. Zur Deutschlandpremiere liest die 1983 in Hiroshima geborene Schriftstellerin aus ihrem hyperrealen Roman, der in seinem magischen Realismus von verstörender Unheimlichkeit ist.

  • Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 13.9. 20 Uhr, japanisch mit deutscher Simultanübersetzung

Dilemma: Diskussion über Boykott im Kulturbetrieb beim ilb

Künstlerin Candice Breitz. Foto: Imago/Sabine Gudat

Beim PEN Berlin ist man erfreulicherweise unerschrocken genug, sich weiterhin um die Debatte über Antisemitismusprobleme im Kulturbetrieb und die (milde ausgedrückt) umstrittene Boykottbewegung BDS gegen Israel zu kümmern, die nach dem Hamas-Terrorschlag vom 7. Oktober 2023 und den darauf folgenden opferreichen Gaza-Krieg der israelischen Armee gegen die Hamas  auch und gerade in Deutschland erbittert geführt wird. Dieses Panel scheint für eine gehaltvolle Argumentationsbreite ganz gut geeignet. Unter dem Titel „Das Boykott-Dilemma – BDS, Strike Germany und kein Ende“ diskutieren die Künstlerin Candice Breitz, der Extremismus-Experte Peter Kuras, der Ruhrbarone-Bloggründer Stefan Laurin und der Historiker Per Leo. Sie werden sich gewiss nicht alle einig sein. 

  • Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne 8.9. 18 Uhr, deutsch

Weltpremiere: Mithu Sanyals wilder neuer Roman „Antichristie“

Mithu Sanyal stellt ihren neuen, zweiten Roman „Antichristie“ vor. Foto: Carolin Windel

Mit ihrem wilden Debüt „Identitty” hatte Mithu Sanyal 2021 herzhaft und heiter in den universitären, postkolonialen und identitätspolitischen Diskurs hineingelangt. Nun ist die gebürtige Düsseldorferin mit ihrem zweiten Roman „Antichristie“ gleich mal für den Deutschen Buchpreis nominiert. Eine deutsch-indische Drehbuchautorin soll in London, gerade ist die Queen verschieden, an einer Agatha-Christie-Verfilmung mitwirken. Wodurch nicht Kolonialismus und Gewalt in den Blickpunkt rücken, sondern auch Seltsames mit dem Zeitenlauf passiert: Auf einmal landen wir bei indischen Revolutionären am Anfang des 20. Jahrhunderts. Das klingt wieder nach einem tolldreisten Ritt. „Antichristie“ erscheint am 17. September. Die Weltpremiere beim Internationalen Literaturfestival Berlin ist eine knappe Woche früher.

  • Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne 11.9., 20.30 Uhr

Kenianische Mythologie beim ilb: Der surreale Debütroman „Things They Lost“ von Okwiri Oduour

Okwiri Odour stellt bei der Deutschlandpremiere ihren Roman „Things They Lost“ vor. Foto: Chelsea Bieker.

Die 1989 in Nairobi, Kenia, geborene Schriftstellerin Okwiri Oduour sorgte früh mit einer Novelle für Aufsehen, bereits 2014 gewann sie mit ihrer Kurzgeschichte „My Father’s Head“ den „Caine Prize for African Writing“. Beim Internationalen Literaturfestival Berlin stellt sie ihren Debütroman „Things They Lost” vor, der 2023 auf der Longlist für den „Dylan Thomas Prinze“ stand. Der Roman erzählt mit hilfe kenianischer Mythologie von vier Generationen von Frauen, über deren Familie ein mysteriöser Fluch liegt. Die Hauptfigur ist dabei die zwölfjährige Ayosa Ataraxis Brown, das einsamste Mädchen der Welt. Der Guardian lobte: „Ein surrealer Roman, bedrohlich und geheimnisvoll, mit einer starken, jungen Frauenstimme im Mittelpunkt.“

  • Haus der Berliner Festspiele, oberes Foyer 12.9., 18.30 Uhr

Literarischer Superstar: Neuer Roman von Rachel Cusk

Rachel Cusk stellt ihren neuen Roman „Parade“ vor. Foto: Suhrkamp Verlag

Eine weitere hochkarätige Deutschlandpremiere: Rachel Cusk (Kanada), die in Paris lebt und unter anderem mit der „Outline“-Trilogie international durchstartete, stellt ihren neuen Roman „Parade“ vor, in dem sie die Themen Kunst, Familie und Gender in einem literarischen Reigen adressiert: Geschichten um den Tod einer Frau, ins Gegenteil verkehrte Bilder oder auch um Künstler:innen, die alle G heißen.

  • Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne 10.9., 20 Uhr

Graphic Novel Day beim ilb u. a. mit Nicolas Mahler

Ein Gigant seiner Zunft: Comic-Zeichner Nicolas Mahler. Foto: Manfred Werner

Der Graphic Novel Day gehört seit etlichen Jahren als fester Bestandteil zum Internationalen Literaturfestivals Berlin (ilb), das hat sich auch unter der neuen Leiterin Lavinia Frey nicht geändert. Diesmal präsentieren sich Comicverlage bei einer Pop-Up-Comic Buchmesse. Nina Six erzählt in ihrer Graphic Novel „Der Schaum“ von einer Kindheit in der französischen Provinz, Nando von Arb befasst sich in „Fürchten Lernen“ mit Einsamkeit, Krankheit und Familienverhältnissen, Nicolas Mahler (Foto) bringt seinen „Komplett Kafka“ mit und Nora Krug spricht über die Kunst, politisch zu zeichnen.

  • Haus der Berliner Festspiele Sa 7.9., 16 Uhr

„Geile Zeit“ vor der Closing Party des Internationalen Literaturfestivals Berlin

Niclas Seydack schreibt über die Generation Y. Foto: TigranHovhannisyanPhotography

Vielleicht ist es ja tröstlich, dass ein Festival, das sich seinem Motto entsprechend der seltsamen neuen Welt mit all seinen Krisen verschreibt, am Ende den Blick zurück auf vermeintlich bessere Zeiten richtet. Der „Zeit“-Journalist Niclas Seydack tanzt mit seinem neuen Generationsporträt der Millennials, „Geile Zeit“, zurück zu Tamagotchi, Trainingsanzüge und Techno-Partys in die 90er. Darüber unterhält er sich mit der Schriftstellerin Caroline Wahl, die die Jahrtausendwende nur als Kleinkind mitbekam. Danach lädt Seydacks Verlag zur Closing x Tropen Party ins obere Foyer: ein letzter Tanz des 24. ilb.

  • Haus der Berliner Festspiele Niclas Seydack: „Geile Zeit“, Seitenbühne 20.30 Uhr; Closing x Tropen Party: Oberes Foyer, 21.30 Uhr

Mehr Literatur in und aus Berlin

War er etwa der erste Hipster in Berlin? Eine Betrachtung zum 100. Geburtstag von Franz Kafka. Wilde Wir-Gefühle: Wer steckt hinter dem femistischen Kollektivroman „Wir kommen“? Kaiser, Grätschen, Dschungelcamp: das Fußballbuch „Nachspielzeiten“ von Lucas Vogelsang. Im Überblick: unsere Texte über Literatur in und aus Berlin. Was lohnt sich noch? 12 Highlights im September in Berlin.

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