„Ich habe West-Berlin geliebt“ – Jan Peter Bremer über seinen neuen Roman, leicht depressive Künstler, Erfolg und die Sehnsucht nach den früheren Zeiten in der Mauerstadt
Jan Peter Bremer zählt zu den unverwechselbarsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Mit seinem Roman „Der junge Doktorand“ wurde der 1965 geborene Berliner und Ingeborg-Bachmann-Preisträger für den Deutschen Buchpreis nominiert.
tip Herr Bremer, Sie erzählen in Ihrem neuen Roman auf tragikomische Weise von Menschen, die allesamt zu Gefangenen ihres eigenen Lebens geworden sind. Fühlen Sie selbst sich manchmal durch Ihren Lebensentwurf des Schriftstellers fremdbestimmt?
Jan Peter Bremer Teilweise ging mir das tatsächlich so. Es ist kein Zufall, dass ich mein letztes Buch vor acht Jahren veröffentlicht habe. Ich habe Ewigkeiten nach einem neuen Stoff gesucht, aber noch schwieriger war es, den „Amerikanischen Investor“ wieder aus dem Kopf zu bekommen. Da war ja relativ viel Wahres drin. Und diesen leicht depressiven Schriftsteller, den gab es wirklich, nur habe ich das erst gemerkt, als das Buch abgefeiert war. Da saß nur noch dieser Schriftsteller in seiner Wohnung und hat gehofft, dass ihm eine neue Idee in den Schoß fällt. Das ist nicht passiert. Bis ich gemerkt habe, dass ich auf Sachen zugehen muss.
tip Was haben Sie unternommen?
Jan Peter Bremer Ich habe ein bisschen in Flüchtlingscafés geholfen und so was. Darüber wollte ich aber nicht schreiben, habe ich im neuen Buch auch nur am Rand getan, weil der junge Doktorand sich im Sprachcafé engagiert. Es war wichtig für mich, dass kein „Ich“ im neuen Buch vorkommt und dass ich Menschen betrachte, die nichts mit meiner Generation zu tun haben.
tip Der Künstler in Ihrem herrlichen Roman hat sich, wie Künstler das so machen, in eine alte Wassermühle in der Provinz zurückgezogen. Auch Ihr Vater ist Künstler und übersiedelte 1971 ins Wendland. Wie darf man sich Ihre Kindheit dort im Zonenrandgebiet vorstellen? Sind Sie in einer Kommune aufgewachsen?
Jan Peter Bremer Nein, meine Eltern sind zwar Künstler, aber sie lebten eher einen bürgerlichen Lebensentwurf. Ich habe das Glück gehabt, da mein Vater Uwe Bremer relativ bekannt und ein geselliger Mensch war, sehr viele andere Künstler kennenlernen zu dürfen. Aber natürlich war es da so, dass unsere Familie in diesem damals noch sehr viel bäuerlicher als heute geprägten Landkreis eine Ausnahme darstellte. Was für mich teilweise schwierig war, weil man von den anderen Kindern immer ein bisschen wie ein Außerirdischer beäugt wurde. Das war ja noch lange vor der Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland.
tip Keine Haschisch-Orgien? Nudistenpartys?
Jan Peter Bremer Nein, das gab’s bei uns alles nicht.
tip Wer hat Sie mehr zu der Künstlerfigur im Roman inspiriert? Ihr Vater, oder Freunde aus Kreuzberg, wo Sie heute leben?
Jan Peter Bremer Als ich 1985 wieder nach Berlin gekommen bin, habe ich mich viel an der Hochschule der Künste rumgetrieben. Dieses Phänomen des Künstlerseins hat mich geprägt. Es gibt ja Künstler, die wie ich Mitte 50 sind und längst ihre Erfolge hinter sich haben und in der gleichen Qualität weiterarbeiten, aber niemanden kümmert das mehr. Was ich spannend finde ist, wenn Leute voller Elan anfangen, mit Schwung und Idealismus, und diese Befreiung des Kunstmachens über die Jahre hinweg durch eine gewisse Erfolgslosigkeit, oder auch eine ständige Verteidigungshaltung dann zu der größten Enttäuschung und Verbitterung ihres Lebens führen kann.
tip Trauern Sie dem alten West-Berlin nach?
Jan Peter Bremer Dem alten West-Berlin trauere ich insofern nach, wie man auch der Jugend nachtrauert. Ich habe dieses alte West-Berlin geliebt, eben auch weil es ein bisschen provinziell war und mich als Landei nicht komplett überfordert hat. Weil es relativ wild war. Das mochte ich damals sehr. Und es war unglaublich billig. Man hatte so viele Möglichkeiten und genug Orte, die man entdecken konnte. Aber rückgängig machen kann man es ja nicht. Vielleicht sollte man eher der Zeit nach der Wende nachtrauern, als die Gentrifizierung noch nicht derartig eingesetzt hatte wie nach 2008. Heute ist es schlimm. Viele Orte, viele Kneipen, die man sehr mochte, verschwinden gerade und machen einem wirklich trostlosen Kommerz Platz.
Der junge Doktorand von Jan Peter Bremer, Berlin Verlag, 176 S., 20 €