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Spionageromane

John le Carré: Die Schauplätze seiner Spionageromane in Berlin

John le Carré ist tot. Er starb am 12. Dezember 2020 im Alter von 89 Jahren in der südenglischen Stadt Truro. John le Carré, der selbst für die britischen Geheimdienste gearbeitet hatte, war einer der erfolgreichsten Thrillerautoren der Welt.

John le Carré (1931–2020) bei der Berlinale 2016. Die Spionageromane des Autors führen immer wieder nach Berlin. Foto: Imago Images/Future Image
John le Carré (1931–2020) bei der Berlinale 2016. Die Spionageromane des Autors führen immer wieder nach Berlin. Foto: Imago Images/Future Image

Seine Spionageromane führen mitten in die Geheimdienstarbeit zu Zeiten des Kalten Krieges – und entsprechend oft nach Berlin, der geteilten Stadt unter den wachsamen Augen aller Geheimdienste. Das Berlin des Autors John le Carré zeigen wir euch hier Ort für Ort.


Oberbaumbrücke

Die Oberbaumbrücke in den späten 1960er-Jahren. John le Carré inszenierte hier einen Spionage-Showdown. Foto: Imago Images/ Serienlicht
Die Oberbaumbrücke in den späten 1960er-Jahren. John le Carré inszenierte hier einen Spionage-Showdown. Foto: Imago Images/ Serienlicht

Von Kreuzberg nach Friedrichshain führt die Oberbaumbrücke, heute eins der beliebtesten Touristenziele Berlins. John le Carré siedelt hier hingegen einen Showdown an. Die Brücke verbindet heute die Ortsteile des Ost-West-Doppelbezirks Friedrichshain-Kreuzberg miteinander, damals war die Gegend Zonenrandgebiet: schmuddelig, zwielichtig und einsam.

Der britische Top-Agent Smiley trifft hier auf seinen Widersacher Karla, der in Ungnade gefallene Chef des sowjetischen Geheimdienstes. Dieser läuft in den Westen über. Es ist das große Ende einer Konfrontation, in deren Verlauf der sonst so humane Smiley sich zum Fanatiker gewandelt hat. „Agent in eigener Sache“ ist gewissermaßen das Requiem für John le Carrés Romanfigur.


Checkpoint Charlie

"Herzlich willkommen" hieß einen hier die DDR. Die Stasi hatte am Checkpoint Charlie alles im Blick. Foto: Imago Images/Gerhard Leber
„Herzlich willkommen“ hieß einen hier die DDR. Die Stasi hatte am Checkpoint Charlie alles im Blick. Foto: Imago Images/Gerhard Leber

Heute ist der Checkpoint Charlie eine etwas trashige Touristenfalle, aber zu Zeiten des Kalten Krieges war hier der berühmteste Grenzübergang zwischen West-Berlin und der Hauptstadt der DDR. Hier passierte politisches Spitzenpersonal die Grenze am ikonischen Bretterverschlag. Und als 1961 Panzer auffuhren, fürchtete man, der nächste Weltkrieg könne an der Friedrichstraße beginnen.

In „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (John le Carrés dritter Roman, mit dem ihm 1963 der Durchbruch gelang) ist die innerstädtische Grenze für den britischen Secret-Service-Agenten Alec Leamas eine Todesfalle: Der Spion, der ein Netzwerk in Ost-Berlin unterhält, soll eine Frau aus der DDR schleusen – ein doppeltes Spiel, von Smiley von langer Hand geplant, um einen anderen Agenten zu schützen. Leamas, der schon fast wieder im Westen ist, wird an der Mauer erschossen.


Berliner Secret-Service-Hauptquartier

Das Haus des deutschen Sports auf dem Berliner Olympiagelände. John le Carré siedelte in dem Gebäudekomplex rundherum das Secret-Service-Hauptquartier an. Foto: Imago Images/Rech

John le Carrés Romane sind gewissermaßen das an der Realität geschulte Gegenstück zum flapsigen Ian-Fleming-007-Kosmos. Englisch-lakonisch sind beide Agentenwelten, aber da enden die Gemeinsamkeiten. Nichts zeigt das besser als das Hauptquartier des Secret Service: ein Gebäudekomplex im Nordosten des Berliner Olympiageländes. Die Briten bevorzugten hingegen analoge Prozesse. Während die Amerikaner auf satellitengestützte Aufklärung setzten, stand beim Secret Service die Arbeit mit Menschen im Fokus – und praktische Gadgets gab’s auch nicht.

In John le Carrés letztem Smiley-Roman „Das Vermächtnis der Spione“ (2017) findet die Hauptfigur Peter Guillam auf dem dunklen Gelände wenig, was ihn an professionelle Geheimdienstarbeit erinnert. Alles wirkt improvisiert, seine Einsätze muss er am Clipboard planen. Im Olympiapark erinnert heute wenig an Geheimagenten. Stattdessen findet man dort den Hertha-Fanshop und das Sportmuseum.


Fasanenstraße

Das Haus an der Fasanenstraße 28 ist ein kleiner Biedermeier-Palast – und der Durchgang zur Uhlandstraße ist für John le Carrés Agenten wichtig. Foto: Imago Images/Uwe Steinert
Das Haus an der Fasanenstraße 28 ist ein kleiner Biedermeier-Palast – und der Durchgang zur Uhlandstraße ist für John le Carrés Agenten wichtig. Foto: Imago Images/Uwe Steinert

In John le Carrés früher Schaffensphase in den 1960er-Jahren hatte der Autor wenig Gelegenheit, an Ort und Stelle zu recherchieren – was dem Berliner Publikum durchaus aufgefallen sein dürfte: Vage waren die Wegbeschreibungen, Adressen teils erfunden. Nicht so die konspirative Wohnung an der Fasanenstraße.

In „Das Vermächtnis der Spione“ (2017) dient sie als Rückzugsort für Agenten. Alec Leamas trifft hier – der Handlungsfaden spielt vor Leamas’ Tod an der Mauer – den Ost-Berliner Arzt und Agenten Karl Riemeck. Im Gegensatz zu Fantasieadressen aus den 1960er-Jahren hat John le Carré hier nicht nur einen existierenden Ort beschrieben. Das Gebäude an der Fasanenstraße – „Wer immer das Haus ausgewählt hat, beweist einen Geschmack für kaiserliche Nostalgie und ein gutes operatives Auge“ – war in den 1950er-Jahren tatsächlich im Fadenkreuz der Stasi, die dort westliche Agenten vermutete.


Majakowskiring

Der Majakowskiring hieß zu DDR-Zeiten "Städtchen". Die DDR-Elite blieb dort unter sich. Auf dem Bild: Johannes R. Bechers ehemaliges Wohnhaus. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter
Der Majakowskiring hieß zu DDR-Zeiten „Städtchen“. Die DDR-Elite blieb dort unter sich. Auf dem Bild: Johannes R. Bechers ehemaliges Wohnhaus. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter

1945 erklärte die sowjetische Verwaltung den Majakowskiring in Niederschönhausen zum Sperrgebiet. Wer dorthin wollte, brauchte einen Passierschein. Das Villenviertel, von den Russen „Gorodok“ („Städtchen“) genannt, wurde ab 1949 zum Wohnort der DDR-Elite. John le Carré setzte dieser abgeschlossenen Siedlung ein Denkmal und folgt dem Agenten Riemeck in diese Parallelwelt sozialistischer Macht – vorbei am Haus der Familie Ulbricht und der Wohnanlage von Johannes R. Becher, der in den 1950er-Jahren Kulturminister der DDR war und dem Arbeiter- und Bauernstaat die Nationalhymne dichtete.


Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit

Mielkes Dienstsitz: Das Haus 1 des Stasi-Hauptquartiers in Lichtenberg, heute das Stasi-Museum. Foto: Imago Images/Schöning
Mielkes Dienstsitz: Das Haus 1 des Stasi-Hauptquartiers in Lichtenberg, heute das Stasi-Museum. Foto: Imago Images/Schöning

„Das Vermächtnis der Spione“ ist viel akribischer recherchiert, was die Schauplätze anbelangt – und überhaupt ein Roman, der von Aufarbeitung handelt. Im Zentrum stehen die verpatzten großen Geheimdienstoperationen der Vergangenheit: Das Debakel um den Doppelagenten Karl Riemeck und das Ost-Berliner Netzwerk um ihn herum sowie die Mission, die Leamas’ Tod an der Mauer mit sich brachte. Der Versuch, diese skrupellosen Operationen vor hohe Gerichte zu bringen, ist Ausgangspunkt der Handlung von „Das Vermächtnis der Spione“ – und für diesen Roman recherchierte John le Carré viel in Berlin.

Die Machenschaften der Stasi bilden den Hintergrund für die Geschehnisse. Karl Riemecks Kontakt im Ministerium, Doris Gamp, Deckname „Tulip“, konnte sich frei zwischen den Gebäuden rund um die Lichtenberger Magdalenenstraße bewegen – sogar zu Haus 1, dem Amtssitz Erich Mielkes, hatte sie Zutritt. Nach ihrem Tod steht die Frage im Raum, inwieweit britische Geheimdienste vor Gericht dafür verantwortlich gemacht werden können.


Staaken

Der Grenzübergang Staaken im Jahr 1988. Hier begann die Transitstrecke durch die DDR – natürlich von Geheimdiensten gut überwacht. Foto: Imago Images/Günter Schneider
Der Grenzübergang Staaken im Jahr 1988. Hier begann die Transitstrecke durch die DDR – natürlich von Geheimdiensten gut überwacht. Foto: Imago Images/Günter Schneider

Staaken, fernab der schmucken Altstadt Spandau, ist nicht nur ein Relikt der Berliner Luftfahrtgeschichte. In John le Carrés Spionageromanen ist die Gegend an der Grenze zu Brandenburg auch Ort für Hochspannung. Staaken ist in der Geschichte der deutschen Teilung ohnehin ein Kuriosum: Heute gehört das Gebiet wieder zu Spandau, das damals im britischen Sektor lag. Die Briten überließen einen Teil von Staaken den Sowjets und erhielten im Gegenzug einen schmalen Gebietsstreifen, der ihnen die effizientere Nutzung des Flughafens Gatow erlaubte.

Staaken bildete einen der Grenzübergänge, hier wurden nicht nur Güterzüge kontrolliert, sondern auch große Teile des Verkehrs gen Westen geregelt: Am Grenzübergang Staaken/Heerstraße gelangte man auf die Transitstrecke durch die DDR. John le Carrés Agenten sind selten mit dem Flugzeug gereist. Die automobilaffinen Spione lieferten sich verdeckte Verfolgungsjagden auf der B5 und hatten die Stasi im Rückspiegel, wenn sie sich nach Nordwesten aufmachten. Denn Berlin war zwar die Frontstadt für die Geheimdienste. Die operativen Hauptquartiere der Briten waren allerdings London und Hamburg – die englischste Stadt Deutschlands.


Mehr zu Berlins (Verbrechens-)Geschichte

Die Spuren des Kalten Kriegs in Berlin verschwinden mehr und mehr. Wir zeigen euch 12 Bilder von Berlin mit Mauer – und wie es dort heute aussieht. John le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“ hat es selbstverständlich auf unsere Liste der 100 Berlin-Romane, die man kennen sollte, geschafft. Ihr wollt tiefer in die dunkle Geschichte der Stadt abtauchen? Hier sind Berlins spektakulärste Verbrechen und Kriminalfälle. Wenn ihr dem noch näher auf den Grund gehen wollt, empfehlen wir euch diese True-Crime-Podcasts über echte Fälle aus Berlin und Brandenburg.

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