Das Buch beginnt wie ein Krimi der härteren Machart: ein Überfall auf einen Geldtransporter. Einer der Täter, der sich, nachdem das Wachpersonal erledigt wurde, kaltblütig seiner Komplizen entledigt, entkommt mit Millionen. Doch das Gemetzel ist nur das Vorspiel. Da es sich um einen neuen Thriller des Hardboiled-Extremisten James Ellroy handelt, kann man sich sicher sein, dass weitere Bluttaten folgen werden.
Der knapp 800 Seiten starke Roman ist der letzte Teil von Ellroys Underworld-Trilogie, in der der 61-jährige Autor seine Sicht auf die jüngere amerikanische Geschichte beschreibt – vom Attentat auf JFK bis zu Watergate. Nach der Lloyd-Hopkins-Trilogie, in der sich Ellroy mit Psychopathen und Serienkillern beschäftigte, sowie dem Los-Angeles-Quartett – eine Art Korruptions- und Kriminalitätsgeschichte der kalifornischen Filmmetropole – markieren die historischen Gesellschaftspanoramen „Ein amerikanischer Thriller“, „Ein amerikanischer Albtraum“ und „Blut will fließen“ den dritten Schwerpunkt im Њuvre des passionierten Mythenzertrümmerers.
Wie alles anfing zeigt die Doku „Demon Dog of American Crime Fiction“ (1993). Darin inszeniert sich Ellroy als bildungsferner Underdog der Krimiliteratur, der sich mit seinem Pitbull auf dem Boden wälzt und mit Hundegeheul Buchhandlungstüren auftritt. Der Mord an seiner Mutter, der nie aufgeklärt wurde – Ellroy war gerade zehn Jahre alt –, wurde zum Trauma des späteren Autors, der in dem Roman „Die Rothaarige“ die Umstände des Verbrechens rekonstruiert und von dem Verlust erzählt, der ihn zu einem wurzellosen, von Alkoholismus, Drogen und Gefängnisaufenthalten gezeichneten Mann werden ließ. Ende der 70er Jahre beendet Ellroy seine Drogenkarriere und entdeckt eine neue Sucht: das Schreiben!
Mit Anfang 30, nachts, stehend in einem billigen Hotelzimmer, verfasst er seinen ersten Krimi „Browns Grabgesang“. So will es zumindest die von ihm selbst verbreitete Legende. Denn Ellroy ist nicht nur ein Erzähler, dem man die Kenntnis der abgründigsten Obsessionen abnimmt, sondern auch ein talentierter Vermarkter seiner eigenen Lebensgeschichte. Die prominent besetzten, mal mehr („L.A. Confidential„), mal weniger („Black Dahlia„) überzeugenden Verfilmungen seiner Romane steigerten die Popularität des zum Experten für den Wahnsinn, den Zynismus und die Gewalt der amerikanischen Vorzeigedemokratie avancierten Autors. „Ich bin ein literarischer Exekutor und Agent provocateur“, schreibt der Erzähler in Ellroys neuestem Werk.
Es ist die Zeit nach den Morden an Martin Luther King und Robert Kennedy, in die uns Ellroy in „Blut will fließen“ führt. Die Stimmung ist aufgeheizt. Nixon startet seinen Wahlkampf gegen Humphrey. Hippies und Schwarze formieren sich zum Protest. Der Ku-Klux-Klan kocht sein rassistisches Süppchen, und das FBI startet die Aktion „Bööööser Bruder“. Das Personal des Romans ist anfangs recht unübersichtlich. Da sind Scotty Bennett vom LAPD, der noch immer den brutalen Überfall auf den Geldtransporter aufklären will, Wayne Tedrow Jr., der seinen Vater umgebracht haben soll, und Dwight Holly, der für J. Edgar Hoover persönlich ein paar Dinge zu erledigen hat. Handlanger, Spione, Hassprediger, Killer und politische Idealisten tauchen auf, ebenso Personen der Zeitgeschichte wie Howard Hughes und Richard Nixon. Alle ziehen irgendwie ihre Fäden und spielen ihre skrupellosen Spiele. Wer was wie und warum am Laufen hat, erklärt sich – wenn überhaupt – erst nach und nach.
Problematisch erweist sich dabei vor allem Ellroys Stil, den er mal so beschrieben hat: „Die Kunst des Schreibens besteht vor allem darin, mit möglichst wenigen Worten möglichst viel Dichte zu erzeugen.“ Sein in Stakkatosätzen vorgetragenes Intrigenszenario ist allerdings zu komplex, um auf Erläuterungen und Beschreibungen verzichten zu können. Die immer wieder eingeschobenen Dokumente bremsen mit ihrer gestanzten Behördensprache die Leselust, und manch hingeworfene Gewaltszene wirkt wie eine Anleihe aus einem billigen Splattermovie: „Pappy fiel rücklings um. Und landete mit dem Kopf in einem laufenden Ventilator, der ringsum alles rot einsprühte.“
„Blut will fließen“ ist als letzter Teil der Underworld-Trilogie vielleicht Ellroys ehrgeizigstes Projekt, aber leider nicht sein gelungenstes. Allzu oft steht er sich mit seinen Ambitionen selbst im Weg. Das Tempo, das er erzeugen will, erweist sich häufig als rasender Stillstand. Dennoch ist es ein bemerkenswerter Versuch, ein Amerika zu beschreiben, das mehr Leichen im Keller hat, als manch einer wahrhaben will.
Text: Ralph Gerstenberg
Foto: Marion Ettlinger
(tip-Bewertung: Zwiespältig)
James Ellroy „Blut will fließen“, Ullstein Verlag, aus dem Amerikanischen von Stephen Tree, 783 Seiten, 24,90 Ђ
Lesung: Dussmann – Das Kulturkaufhaus, Friedrichstraße 90, Mitte, Fr 29.1., 19 Uhr, Eintritt frei
Mehr Bücher:
Romane zu Party, Wende und Rausch
Neue Romane von David Wroblewski, Kamila Shamsie, Colum McCann, John Wray und Philippe Djian
Überlebenstipps bei Katastrophen