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Rohstoffmangel

So hart trifft Papiermangel die Berliner Verlagsbranche

Es herrscht Papiermangel, man könnte von einer Papierkrise sprechen – und die Berliner Velagslandschaft hat es übel erwischt. Unser Autor hat sich umgehört und liefert einen Lagebericht aus eine Branche, die wegen Materialknappheit über dem Abgrund balanciert.

Fehlen schon bald ganze Regale von Neuveröffentlichungen? Wegen des Papiermangels steht die Verlagsbranche unter Druck. Bild: clu/Getty Images/iStockphoto

Papiermangel: Die Krise ist einmalig in der Nachkriegsgeschichte

Die Grundressource einer alphabetisierten Gesellschaft schwindet. Man muss sich nur mal umhören in einem Gewerbe, das ­massenweise Leseprodukte erzeugt, und schon wird deutlich, dass diese Papierkrise einmalig in der deutschen Nachkriegs­geschichte ist. „Wir können nicht mehr verlässlich kalkulieren“, so klagt Frank Böttcher, 61-jähriger Chef des Lukas Verlags in Prenzlauer Berg, einem angesehenen Kleinbetrieb, der zuletzt sogar eine Trophäe gewonnen hat, nämlich 2021 den renommierten Deutschen Verlagspreis.

Bildbände, historische Monografien, auch aparte Prosa gibt dieses Unternehmen mit Sitz an der Kollwitzstraße zum Beispiel heraus. Frank Böttcher, der Chef dieses Zwei-Mann-Projekts, ist eigentlich Kunstexperte. Ein Verlag wie so viele in der Welt des ­gedruckten Worts: klein, idealistisch, am Rand der Rentabilität. Sieht man einmal von Platzhirschen wie Random House und ­anderen Moneymakern ab.

„Ich gucke nervös jeden Monat nach den Umsätzen“, sagt Böttcher. Für einen Mann, zu dessen Berufsprofil die Resilienz gegenüber Geldsorgen gehört, sind das ziemlich aufgeregte Worte. Der Grund für die Anspannung: So ­genanntes grafisches Papier ist teuer wie nie, also jener Stoff, aus dem Bücher, Zeitungen und Zeitschriften gemacht sind. Lieferengpässe würden bei 80 Prozent der Druck- und Medienunternehmen die Papierbeschaffung deutlich beeinträchtigen, geht aus einer Umfrage des Bundesverbands Druck und Medien hervor. 20 Prozent der Verlage bewerten die aktuelle Lage sogar als existenzgefährdend.

Warum der Papiermangel die Verleger von Büchern besorgt

Die Warenknappheit ist Lehrstück über Domino-Effekte in Handelsbeziehungen – ganz besonders in einer Stadt wie Berlin mit einer außergewöhnlichen Verlagslandschaft, vor allem im Buchsektor. Darunter Indie-­Juwelen wie Matthes & Seitz und bewährte Traditionshäuser wie Suhrkamp.

„Man nimmt es mit Sorge zur Kenntnis“, sagt Jörg Sundermeier, Vorstandsmitglied beim hiesigen Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, über die prekäre Lage. Sundermeier ist Chef des Verbrecher Verlags, noch so einer publizistischen Konstante, mit Schriftsteller:innen wie Manja Präkels und David Wagner. Um die gestiegenen Papierkosten abzufedern, schlagen Druckereien nämlich die ­erhöhten Produktionskosten auf ihre Kunden um. Etwa die Buch- und Zeitungsverlage.

Frank Böttcher vom Lukas Verlag ist ein Unternehmer mit Idealen – und findet, dass die Verlagsbranche nicht am Tropf von Subventionen hängen sollte. Foto: Lukas Verlag

Um 30 Prozent seien, konservativ ­geschätzt, die Druckpreise teurer geworden, berichtet Böttcher. In drei Druckereien lässt sein Unternehmen die Titel vor allem fabrizieren, einer litauischen Firma, „Westermann Druck“ in Zwickau und einer kleinen Druckerei in Wittenberg. Die hohen Print-Ausgaben schlagen ins Kontor – in einem Gewerbe, das sowieso schon auf Kante genäht ist. Für viele andere Dienstleistungen muss Böttchers Verlag nämlich auch noch bluten. Fürs Lektorat sowieso, aber auch für Porto oder Lieferlogistik. Böttcher spricht von einem „Preisproblem“, „Terminproblem“ und „kalkulatorischen Problem“.

Der Papiermangel beeinflusst Erscheinungstermine von Büchern

Die Mangelwirtschaft im Land von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des modernen Buchdrucks, sorgt für Chaos. Es gibt Verlage, die Veröffentlichungstermine um Monate verschieben; manche Werke werden gar nicht erst publiziert. Im Lukas Verlag erscheint der Band „Die Chronologiemaschine“ sechs Wochen später als geplant, ein Buch über den verblüffenden Geschichtsatlas des Universalgelehrten Jacques Barbeu-Dubourg, der im 18. Jahrhundert, also im Zeitalter der Aufklärung, lebte.

Der Comic-Verlag Reprodukt hat sogar eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um sich aus einer pekuniären Schieflage zu befreien. Das Papier-Elend ist einer der Gründe für das Schwächeln dieser Institution aus dem Wedding. Zur Kampagne geht es hier.

Grafisches Papier: Mangelware in der Verlagsbranche. Foto: Andy Nowack/stock.adobe.com

Wer nach Ursachen der Papierkrise forscht, verliert sich in einem Netz von ökonomischen Interdependenzen. Sie künden von der Digitalisierung und globalisiertem Warenverkehr, den Folgen der Corona-Pandemie und kletternden Energiepreisen.

Eine Rolle spielen dabei Modernisierungen in der Papierindustrie. Einige Firmen haben sich vom Markt für grafisches Papier zurückgezogen und sind mittlerweile auf Verpackungsmaterialien spezialisiert. Ein Kundensegment, das jahrzehntelang gute Geschäfte garantiert hatte, ist weniger ­bedeutsam geworden: die Medienbranche. In Zeiten von Online-Portalen und Newsfeeds sind die Auflagen von Printmedien gesunken. Die Nachfrage von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen nach kapitalen Druckaufträgen auf grafischem Papier hat daher abgenommen. „Das Druckvolumen ist insgesamt gesunken“, sagt Bettina Knape, Sprecherin beim Bundesverband Druck und Medien.

Begehrte Waren sind heutzutage hingegen Kartons und andere Behältnisse aus Zellgewebe – gefragte Güter für den wachsenden Markt der Lieferdienste.

Ein Business, das umso lukrativer wurde, als Bestell-Services wie Amazon & Co., die ­Profiteure der Corona-Krise, ihre Popularität ausgebaut haben. Wegen solcher Umwälzungen haben sich wiederum Lieferengpässe für grafisches Papier aufgetan.

Der Papiermangel und das Problem mit den Lieferketten

Ein weiteres Problem sind stockende Lieferketten. Nachdem sich die Konjunktur im vergangenen Jahr von der pandemischen Wirtschaftsflaute erholt hatte, reaktivierten Unternehmen aus Salzgitter, Seattle oder Shanghai ihre Geschäfte – und verursachten damit Stau und zähfließenden Verkehr auf den internationalen Handelsstraßen. Wie anfällig Transportwege für Turbulenzen sein können, hat sich anhand eines haarsträubenden Unfalls im März 2021 gezeigt. Der Havarie des Containerschiffs „Ever Given“ im Suezkanal.

Noch ein Schlamassel erschwert die Papierproduktion: dass weniger Altpapier im Umlauf ist. Weil nämlich seltener gedruckt wird, ­zirkuliert auch weniger Recycling-Papier – eine Abwärtsspirale. Ein Beispiel für eine Massenpublikation, die es überhaupt nicht mehr gibt, ist der einst dickleibige „Ikea“-Katalog.
Verschärft wird die Krise von heftigen Energiepreisen. Klar, dass die Hersteller von Papier die Mehrkosten auf ihre Rechnungen draufschlagen. Müssen nun letztlich die Buchkäufer mehr berappen?

Frank Böttcher, der Geschäftsmann am Ende der Lieferkette, erwägt Preiserhöhungen. „Irgendwann schaffen wir das nicht mehr“, schildert er den finanziellen Druck. Und hadert zugleich: Höhere Beträge könnten Leser:innen abschrecken. Dann ist da noch die Buchpreisbindung, die dem betriebswirtschaftlichen Geist manchmal Limits setzt.

Die Offenheit für staatliche Zuschüsse ist allerdings auch begrenzt. Finanzspritzen mit großem Volumen würden am Unternehmerstolz in den Verlagshäusern kratzen. „Ein Verlag ist kein öffentliches Theater“, erklärt Frank Böttcher für seinen Lukas Verlag.

So bleibt als Ausweg nur mehr Risikobereitschaft. Mit anderen Worten: eine andere Euro-Zahl auf den Preisetiketten.


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Von Suhrkamp bis Underground: Berlin ist ein Zentrum der Verlagsbranche. Die Stadt ist außerdem bekannt dafür, dass viele berühmte Schriftsteller hier gelebt haben. Zu den interessanten Neuveröffentlichungen jüngerer Autor:innen gehört übrigens das autobiografische Buch „Nullerjahre“ des Zugezogen-Maskulin-Rappers Hendrik Bolz. Mehr über Literatur, Comics, Lesungen und mehr findet ihr in unserer Bücher-Rubrik.

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