Es ist eine Nachricht, die Hoffnung macht in der Corona-Krise. Das Haus für Poesie hat angekündigt, das größte Berliner Lyrik-Lesefest des Jahres nicht abzusagen. Es verlegt das 21. Poesiefestival Berlin Anfang Juni stattdessen ins Digitale: #planetpgoeson.
Aber wie genau stellen sich die Macher den Planet P vor?
Vom 5. bis 11. Juni soll #planetpgoeson Talks, Panels, Interviews, länderübergreifend produzierte Videoformate und ein E-Learning Bildungsprogramm anbieten. Festival-Leiter Thomas Wohlfahrt: „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Und so haben wir uns entschlossen, das Festival nicht abzusagen, es soll weitergehen und online stattfinden – technologisch wie ästhetisch neu gedacht, nicht als verzweifelter Ersatz.“
Wie genau aber soll das funktionieren? Wir klären die wichtigsten Fragen. Pressesprecherin Silvia Jackson vom Haus für Poesie hat geantwortet.
„Wir wollen uns vom Streaming-Boom absetzen“
tip Frau Jackson, wie stellen Sie sich das Festival im virtuellen Raum konkret vor?
Silvia Jackson Wir sind noch in der Planungsphase. Eine Online-Plattform wird der eigentliche Festivalort sein, wo alle Informationen und alle Veranstaltungen in einer Mediathek gebündelt werden. Es gibt von Seiten der Künstler*innen und Projektleiter*innen einen großen Enthusiasmus, die Veranstaltungen in Onlineformate zu transferieren. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, mit Hilfe erfahrener Produzent*innen etwas zu entwickeln, dass im besten Falle mehr ist als eine abgefilmte Lesung und offen bleibt für Ergänzungen im Live-Format.
tip Streamen die Lyriker*innen dann Lesungen aus ihren jeweiligen Ländern? Aus ihren Wohnungen? In welchem Format? Gibt es die Diskussionen über Videokonferenzen?
Silvia Jackson Da wir etwas Vorlaufzeit haben, wollen wir uns ein stückweit vom Streamingboom absetzen, der gerade Facebook durchzieht. Wir gehen stattdessen in die Vorproduktion und versuchen adäquate Formate zu finden, die zur Lyrik passen und mit denen sich die Autor*innen wohlfühlen. Sie sollen aus ihren Ländern und Wohnungen filmen, es kann aber auch ein Hörsaal in der Hochschule sein, wo die Autorin arbeitet, wie bei Anne Carson. Live-Formate dürfen bei einem Festival nicht fehlen, es wird natürlich Raum für Diskussionen und Publikumsfragen geben.
Keiner im Haus für Poesie hat bisher ein Online-Festival organisiert. Es ist ein Lernprozess
tip Welche Ressourcen braucht das Haus für Poesie dabei für die Web-Architektur?
Silvia Jackson Keiner im Haus für Poesie hat bisher ein Online-Festival organisiert, es ist ein Lernprozess. Wir bauen gerade alle Pläne um inklusive der Budgets. Wenn ein Festival vom analogen Raum in den Online-Raum zieht, werden natürlich Mittel frei, aber sie sind an anderer Stelle wieder schnell gebunden, vor allem, was Produktion und Programmierung betrifft. Uns war es ein großes Anliegen, dass es weitergeht und wir jetzt nicht alle Veranstaltungen absagen oder auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschieben. Das soziale, das kulturelle Leben soll unbedingt weitergehen. Und: Wir wollen den Künstler*innen weiterhin ihre Honorare bezahlen und als Haus unserem Auftrag nachkommen, die Poesie zu fördern.
tip Gibt es eine Idee, für die Lesungen irgendeine Art von Paymodell aufzusetzen, um die entgangenen Eintrittsgelder wieder reinzuholen?
Silvia Jackson Ja, auch das prüfen wir gerade.
Nacht der Poesie: Blicke auf die Arbeitsplätze der Dichter*innen
tip Traditionell wird das Festival mit Weltklang – Nacht der Poesie eröffnet, einem vielstimmigen Lyrik-Fest. Wie sieht die Nacht diesmal aus?
Silvia Jackson Eigentlich fast wie immer! Die Autor*innen lesen und performen ihre Texte. Darin darf und soll sich die Ausnahmesituation widerspiegeln. Wir hoffen wieder einen Blick auf den Arbeitsplatz oder aus dem Fenster der Dichter*innen zu erhaschen. Statt des Readers können wir hoffentlich mit Untertitelungen oder einem Textfenster arbeiten. Auch eine Moderatorin wird es geben.
tip Was wird aus den wunderbaren Poets‘-Corner-Lesungen Berliner Lyriker*innen überall in der Stadt? Kann man die ins Netz transformieren?
Silvia Jackson An unseren Auftaktveranstaltungen mit den Berliner Dichter*innen halten wir fest. Dafür müssen wir hoffentlich nicht komplett auf die öffentlichen Plätze, Bezirke und Kieze verzichten, sie sollen Teil der Präsentationen sein, die als Serie angelegt werden. Vielleicht lernen wir aber auch das Zuhause von dem einen oder anderen Beteiligten besser kennen…
Die Fragen stellte Erik Heier.
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