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Interview

Popup-Buchmesse in Leipzig: Gunnar Cynybulk über Trotzreaktionen

Der Berliner Verleger Gunnar Cynybulk hat nach der Absage der Leipziger Buchmesse die Popup-Buchmesse in Leipzig mitinitiiert. Ein Gespräch über Corona, den russischen Krieg gegen die Ukraine und Trotzdem!-Reaktionen – und warum er überhaupt nichts vom Begriff „Freedom Day“ hält.

Kanon-Verleger Gunnar Cynybulk. Foto: Kat Kaufmann
Popup-Buchmesse in Leipzig: Der Berliner Verleger Gunnar Cynybulk vom Kanon Verlag ist Mitbegründer. Foto: Kat Kaufmann

Popup-Buchmesse in Leipzig: „Es gibt keinen Grund, zu resignieren“

tipBerlin Herr Cynybulk, „Kann dieser Mann die Buchmesse retten?“, fragte die „Zeit für Sachsen“ kürzlich. Können Sie denn?

Gunnar Cynybulk Das ist eine unseriöse Überschrift, die mir nicht so gefallen hat. Ich mache das ja nicht alleine. Ich habe die Popup-Buchmesse mit Leif Greinus (vom Leipziger Verlag Voland & Quist, Anm. d. Red.) initiiert, und viele Leute machen mit. Und es geht auch nicht darum, die Buchmesse zu retten, sondern darum, jetzt etwas auf die Beine zu stellen, das uns nicht mit leeren Händen dastehen lässt.

tipBerlin Die Popup-Messe fällt genau auf die Tage, in der die pandemische Notlage endet. Ist das Super-Timing oder das Glück des Tüchtigen?

Gunnar Cynybulk Nein, das war abzusehen. Wir alle und im Übrigen auch die großen Verlage, die abgesagt haben, haben ja Sachbuchautoren in ihren Reihen, die sich mit den Themen befassen. Jeder vernünftige Mensch, mit dem man gesprochen hat, sagte: Es wird sich auf dieses Wochenende hin fokussieren, es wird Lockerungen geben. Das hat nichts mit Glück zu tun. Es ist eben ein Übergang in eine endemische Situation. Und es ist trotzdem noch gefährlich, da muss man aufpassen. Aber es gibt keinen Grund, zu resignieren.

Gunnar Cynybulk: „Was heißt denn ,Freiheitstag‘?“

tipBerlin Inwieweit spielt der 20. März, an dem die allermeisten Corona-Eindämmungsmaßnahmen eigentlich wegfallen sollten, für Sie eine Rolle? Manche reden vom „Freedom Day“.

Gunnar Cynybulk Ich stehe diesem Begriff total kritisch gegenüber. Was heißt denn „Freiheitstag“? Wir jagen keine Besatzer davon. Corona ist ja auch nicht weg als Phänomen, das wird uns im Herbst in irgendeiner Form wieder ereilen. Und es ist einfach eine Aufgabe, damit umzugehen und verantwortungsvoll zu leben.

Popup-Buchmesse in Leipzig: Hauptort Werk 2. Foto: Falk Kohnke

tipBerlin Die Absage der Leipziger Buchmesse war mit der Omikron-Welle begründet worden. Hatten Sie mit dem Aus gerechnet?

Gunnar Cynybulk Es hat mich überrascht, ich war ehrlich gesagt auch sauer. Ich hatte gerade mit meinem Messebauer gesprochen, in der Tischlerei sollte ein Messetisch zugesägt werden. Mit uns hat vorher keiner kommuniziert. Ich hatte aber am Tag vorher ein paar Journalisten-Anrufe, es gäbe das heiße Gerücht, das die Messe abgesagt werden würde.

tipBerlin Danach taten sich einige Konfliktlinien auf. Große Konzernverlage gegen Unabhängige Verlage, Ost versus West. Wo sehen Sie sich dabei?

Gunnar Cynybulk Ich sehe mich da überhaupt nicht. Ich bin auch nicht bereit, die anzunehmen. Es gibt eine komplexe Lage, und es ist primitiv und banal, jetzt einfache Schuldzuweisungen auszusprechen. Was mich aber grundsätzlich stört, ist eine allgemeine Gleichgültigkeit. Nichts zu machen, stört mich. Die Dinge einfach absacken zu lassen, stört mich. Weil ich weiß: Das sind Verluste, die man sehr schwer wieder wettmachen kann.

Biografische Bezüge zu Leipzig: „Eine der Wiegen der deutschen Buchkultur“

tipBerlin Ist es Zufall, dass sich zwei Verleger mit biografischen Bezügen in Leipzig zu einer Adhoc-Messe in Leipzig zusammenfinden?

Gunnar Cynybulk Nein. Greinus hat in Leipzig studiert, ich bin dort aufgewachsen, wir kennen die Messe – als Jugendliche, als junge Erwachsene. Und wir wissen, dass Leipzig eine der Wiegen der deutschen Buchkultur ist. Und dass man diese Vision einfach aufrechterhalten muss, ohne jetzt pathetisch zu sein. Aber es ist so absurd, wenn man sieht, wie viele Verlage dort gegründet wurden – und wie viele von denen jetzt abgesagt haben. Das ist so dumm.

tipBerlin Direkt nach der Absage haben Sie gleich mal demonstrativ eine Facebook-Einladung zu einem Kanon-Verlagsabend herumgeschickt – vor Ort in Leipzig.

Gunnar Cynybulk Der hätte sowieso stattgefunden. Aber wir haben dann daraus eine Trotzdem!-Reaktion gemacht. Das habe ich mir nicht nehmen lassen.

tipBerlin Für die Popup-Buchmessen-Idee haben Leif Greinus und Sie nicht viel länger gebraucht. Wie kam es dazu?

Gunnar Cynybulk Als die Gerüchte von der Absage der Buchmesse aufkamen, habe ich mit vielen Verlegerinnen- und Verleger-Kollegen telefoniert und gehört, wie überrascht alle waren. Alle Unabhängigen, mit denen ich sprach, haben gesagt: Wenn die Messe stattfindet, fahren wir natürlich. Dann dachten Leif und ich: Diese Energie! Wenn alle fahren wollen, können doch alle fahren. Und dann machen wir einfach was draus.

Buchmesse binnen vier Wochen: „Die Solidarität ist super-toll“

tipBerlin Sie stampfen die Messe binnen vier Wochen aus dem Boden. Hatten Sie schon einen weinenden Oliver Zille, den Leipziger-Buchmesse-Direktor, auf der Mailbox?

Gunnar Cynybulk Nein, kein weinender Oliver Zille. Ich habe mit ihm telefoniert, er hat uns auch beglückwünscht, aber hat natürlich ambivalente Gefühle. Aber die Messe-Leute sind sehr supportive, die bündeln das jetzt auch kommunikativ in Leipzig.

tipBerlin Wie sieht gerade Ihr Alltag aus?

Gunnar Cynybulk Der fängt meistens morgens um acht mit Calls zur Popup an. Und das geht bis abends um halb zehn. Oder auch bis zehn. Nicht nur mein Alltag im Übrigen. Kolleg:innen organisieren die Lesungen, das sind Kristine Listau vom Verbrecher Verlag, Anna Jung von Jung und Jung, Verena Knapp von Klett-Cotta. Und gerade habe ich erfahren, dass das Literaturhaus Berlin den Samstag bei uns streamen will, was technisch relativ aufwändig und mit Kosten verbunden ist. Aber Sonja Longolius und Janika Gelinek (Leiterinnen des Literaturhauses, Anm. d. Red). waren sofort dabei. Die Solidarität ist super-groß. Das ist toll.

Popup-Buchmesse: 60 Verlage nehmen teil, 120 wollten

tipBerlin Immerhin 60 Verlage nehmen an der Messe teil. Sie hatten 120 Anfragen. Sind Sie überrascht von dieser Resonanz?

Gunnar Cynybulk Ja, schon. Und ich glaube, dass die Verlage, die abgesagt, die Leipzig abgeschrieben haben, verwundert waren über das Momentum, das da entstanden ist. Über die Wut, über die Energie, über den Aufschrei in der Öffentlichkeit. Und es zeigt sich gerade auch im Kontext des Ukraine-Themas, wie wichtig so eine auch auf Osteuropa ausgerichtete Messe ist. Wir organisieren mit dem PEN und Christoph Links zusammen ein Ukraine-Panel in Leipzig, vor neun Jahren war die Ukraine ja Gastland auf der Buchmesse. Da zeigt sich, wie wichtig die Messe ist. Und was fehlt, wenn es sie nicht gibt.

tipBerlin Sie haben mit anderen den Kanon-Verlag erst Ende 2020 mitten in der Pandemie gegründet. Schon mal froh gewesen, dass Sie keine Glaskugel hatten, was da alles noch an Ungemach auf Sie zukommen würde?

Gunnar Cynybulk Nein, ich habe die beste Zeit meines Lebens! Auch wenn ich viel arbeite. Ich habe noch nie erfüllter und bewusster gearbeitet als jetzt. Die Popup gehört dazu. Jemand, der jetzt positive Signale setzt, kriegt viel Support, viel Sympathie. Und das spüren wir jetzt.

tipBerlin Wird die Popup die letzte Buchmesse sein, die Sie organisieren?

Gunnar Cynybulk Hoffentlich!

  • Zur Person Gunnar Cynybulk lebt in Berlin. Der gebürtige Leipziger, der mit 14 die DDR verließ und nach Bayern ging, leitete die Verlage Aufbau und Ullstein, bevor er im Herbst 2020 mit Gesellschaftern den unabhängigen Kanon-Verlag gründete.
  • Buchmesse Popup Werk 2 (Hauptort), Kochstr. 132, 04277 Leipzig, Fr 18.– So 20.3., Infos & Termine: buchmesse-popup.de
  • Ukraine-Panel uf der Popup-Buchmesse mit Marjana Gaponenko (Ukraine), Michail Schischkin (Russland), Volha Hapeyeva (Belarus), Karl Schlögel (Berlin), Deniz Yücel (Berlin): Werk 2, Halle D,Sa 19.3., 20 Uhr

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