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Autobiografie von Rainald Grebe: Superrainald, was ist los mit dir?

Die erste Autobiografie von Rainald Grebe: Der lustig-melancholische Bühnenzauberer hat ein wild bebildertes, wunderschönes, zarttrauriges, anrührendes Buch geschrieben. Über das Leben, die Bühnen – und seine schwere Krankheit.

Bühnenzauberer Rainald Grebe: so viel mehr als „Brandenburg“. Foto: Imago/Brigani-Art/Heinrich

Autobiografie von Rainald Grebe: Jeder Akkord ins Herz

„Captain Krümel“. Einer dieser Grebe-Songs, die mich sofort gekriegt haben, damals, von jetzt auf gleich. Erst leise Klavierakkorde. Die Melancholie des Vorstadt-Westdeutschlands. Im Fernsehen Kurt Felix und „Verstehen Sie Spaß..?“ Kiffen und Königin Schwermut. Der Schampus von Aldi und die Schuhe von Goertz. Aber ungefickt zu sein ist nicht das einzige Problem.

So singt Rainald Grebe mit Drama und Dringlichkeit. Und hämmert dann ins Klavier, bäng, bäng, bäng. Jeder Akkord ins Herz. So schön. So uff.

Rainald Grebe ist ja so viel mehr als: „Brandenburg“.

Erst Jahre später kam ich darauf, dass diese großartige Melodie von Billy Joel stammte, dessen „Captain Jack“ der große Bruder, nein, der deutschsprachige ältere Klon von Grebes Krümel war. Egal. Ich rufe mir immer noch gern den Song auf Youtube auf. Von Grebe, nicht von Joel.

Rainald Grebe bleibt auf dem Teppich: „Brauchen wir bitte viel größer!“, Abbildung aus dem Buch. Foto: Simona Seifert

Jetzt hat Rainald Grebe, der Rheinländer aus Frechen kurz vor Köln, der vor 30 Jahren nach Berlin ging, seine Autobiografie geschrieben, nein: zusammengesammelt, übereinander geschichtet, ineinander verschraubt. Wüste und wilde und anmutige und traurige Geschichten, wie Erinnerungen, die kommen, wenn sie eben wollen, die kurz aufflackern wie Funken im Lagerfeuer und wieder verglühen. Die ihr kleines grelles Licht mal in diese, mal in jene abgelegene Ecke des Lebens werfen.

Was ist denn da wieder los?

Rainald Grebe und die lebensbedrohliche Krankheit: Sechs kleine Hirninfarkte

Über alldem hängt eine dunkle Wolke, die sich in sein Hirn schiebt. „Was ist mir nur passiert? Im Oberstübchen Stromausfall.“

Krümel, Krümel, was ist los mit dir?

Dieses Buch, es heißt „Rheinland Grapefruit“, wie der Fehlversuch eines verpeilten Namensgedächtnisses, brauchte einen Rahmen, damit es sich nicht selbst um die Ohren fliegt. März 2017, ein Auftritt in Düsseldorf. Bühne, Licht an. Plötzlich Blackout. Text weg. Alles weg. Schlaganfall, heißt es dann. Irgendwann die Diagnose: Kleingefäßvaskulitis. Das ist die dunkle Wolke. Im Januar 2021 erleidet Grebe sechs kleine Infarkte im Hirn. Am 15. Februar 2021 checkt er in der Reha-Klinik in Teupitz ein.

„Herr Grebe, willkommen im schönen Brandenburg“, sagt die Neurologin.

Damit beginnt das Buch. Von dort erinnert sich der Mann, dem die Erinnerungen durcheinander geraten, an sein Leben, in Schüben zwischen Therapie und Tagesablaufroutinen. Die Reihenhauskindheit in Frechen. Vogelkunde und Judo. Fotoecken von Foto Porst. Der holzvertäfelte Hobbykeller. Und in den Träumen der Superrainald, der Nazis vermöbelt, Mädchen rettet.

Rainald Grebe: Wild ist das Theater des Lebens

Grebe hat einen Karton auf dem Tisch ausgeschüttet, mit alten Fotos, Postkarten, Souvenirs. Bierdeckelpoesie made in Kneipe: „ich möchte auch nicht/mein ganzes leben/in der badewanne hocken/einmal im monat/wär schon gut (Bierdeckel 1991)“. Und mit Zeitungsausschnitten. Einer handelt vom zwölfjährigen Rainald, der sämtliche Vögel von Frechen in einem Buch sammelte.

Das Lokalblatt setzte „Buchautor“ in Grinse-Anführungsstriche, der Zwinkersmiley war noch nicht erfunden. Frechheit in Frechen.

Rainald Grebe in seiner Wunderheiler-Performance vor der Gedächtniskirche: wild-strichige, expressiv kolorierte Zeichnungen im Buch. Illustration: Chringel Farner

1991 geht Rainald Grebe nach Berlin, in den Osten der Stadt. Will es allein schaffen, ohne Geld vom Vater. Der Moloch Berlin macht es niemandem leicht. Einmal denkt sich Grebe ein Straßentheater aus, „mit einer Figur, die die Straßen atmet: dem Wunderheiler“. Vor der Gedächtniskirche gibt er eine Performance, die der Zeichner Chrigel Farner, der dem Buch überaus wild-strichige, expressiv kolorierte Zeichnungen beigab, in eine atemlos verballerte Ästhetik übersetzte.

Wild ist das Theater des Lebens. Vorhang auf. Reisen, Drogen, Frauen, Abstürze. Knast in Marokko wegen Drogenschmuggel. Überhaupt ständig diese Ideen im Kopf, die immer neue Haken schlagen. Grebe ist eine Kerze, die von beiden Seiten brennt. Bühnen, Preise, Theater, Fernsehen, Platten. Die Kapelle der Versöhnung. Der Kleinkünstler, der die Waldbühne und die Wuhlheide-Bühne bespielt, in viel zu kleinen Schuhen. Hinterher sind seine Nagelbetten zerstört.

Rainald Grebes großartiger Song „Captain Krümel“: „Das Leid der Welt liegt auf deinen Schultern.“

Und am Ende der Reha und des Buchs singt Rainald Grebe, langsamer als sonst, beim Abschiedsfest in der Klinik dann doch für alle in den Lehnstühlen: „Brandenburg.“ Jenes Lied, das ihn überleben wird.

Das eilt aber nicht.

  • Rainald Grebe: „Rheinland Grapefruit. Mein Leben.“ Mit Zeichnungen von Chrigel Farner, Voland & Quist, 336 S., 28 €

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