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Schriftstellerin Ruth Herzberg: Die Queen vom Prenzlauer Berg

Schriftstellerin Ruth Herzberg liebt, leidet und sinniert ganz und gar großartig in ihren Texten und Büchern: Unglück mit Männern, Single-Mom in High-Heels, Pandemie und Wahnsinn. Ihr neuer Roman: „Die aktuelle Situation“. Ein Treffen mit der Queen vom Prenzlauer Berg.

Schriftstellerin Ruth Herzberg, die „Queen of Prenzlauer Berg“. Foto: Hannah Herzberg

Schriftstellerin Ruth Herzberg: Pandemie, Mietenwahnsinn, Schuld

Alles ihre Schuld. Die krassen Mieten in Prenzlauer Berg. Und die Corona-Pandemie. Ja, auch die. Ruth Herzberg war das alles. Oder die Protagonistin in ihrem neuen Roman „Die aktuelle Situation“? Lässt sich schwer trennen, das. Autofiction is a bitch.

Anfang der Nullerjahre zog Ruth Herzberg, gebürtige Pankowerin, mit ihrem damaligen Mann in den Prenzlauer Berg. Ihr Freundeskreis: Pärchen, die sich gern trafen. 2008: die Trennung vom Mann. Passiert. Wenig später waren die anderen Pärchen auch hinüber. Alle brauchten freie Wohnungen im Kiez. Die waren knapp. Stiegen also die Mieten. Weiter und weiter. Weil sich Ruth Herzberg als erste getrennt hatte. Schreibt Ruth Herzberg. Die Trennsetterin, sozusagen.

Vorhang auf also für die ganz und gar einmalige Schriftstellerin, Bloggerin, Kolumnistin, Lesebühnenautorin. Ihr Twitter-Claim: „The Queen of Prenzlauer Berg“. Ruth Herzberg erscheint  an einem Freitagnachmittag zum Gespräch am alten Stadtbad Oderberger Straße. Vor dem Hotel, das dort jetzt ist, kann man sich an Tische setzen. Man kriegt jetzt allerdings noch keinen Latte-dies-und-das, Service erst ab 17 Uhr. Nur stilles Wasser aus dem Lobby-Spender, in dem bleiche Gurkenscheiben träge treiben.

So ein Unglück mit den Männern: Der Liebhaber heißt nur „Der Böse“

Herzberg setzt ihre Sonnenbrille ab, kurze Begrüßungs-Irritation, Fist-Bump trifft auf Handshake, pandemische Restverwirrung. Um die Augen sieht sie leicht, nein, nicht übernächtigt, sondern, nun ja: übertäglicht aus. Default-Status: Erschöpfung.

Wie man sich irgendwie auch die Hauptfigur ihrer beiden Romane vorstellt; der erste, Anfang 2021 beim Berliner Indie-Verlag Mikrotext erschienen, hieß „Wie man mit einem Mann unglücklich wird“.

Ruth Herzbergs große Kunst ist, dass sich ihre Handlung scheinbar im Kreis dreht und doch immer wieder woanders aufschlägt. Ihre Hauptfigur ist ja durchaus häufig mit Männern eher unglücklich. Beziehungspartner, Liebhaber, Kurz-Affären, egal. Was natürlich ziemlich traurig ist, aber eben auch gut als Grundrauschen für die famose Prosa, die Ruth Herzberg daraus schöpft. „Die aktuelle Situation“ ist, unter vielem anderem, eine Art Corona-Tagebuch, das als Blog begann, im Frühjahr 2020 einsetzt. Plötzlich ist die „Pause von Allem“ da, die die Heldin sich gewünscht hat fürs Leben: Lockdown. Pause. Stop.

„ICH FÜHLE MICH SCHULDIG“, ruft sie geradezu ins Buch hinein, tatsächlich in Versalien.

Single Mom in High-Heels bei der Elternversammlung

Der französische Vater ihrer beiden Töchter, hier: Eric Blanc, mit dem sie seit einem Jahr Schluss macht, jetzt aber wirklich, sowas dauert halt, sitzt in Paris fest. Der reichlich toxische Lover a.k.a. „Der Böse“ (die Männer kriegen alle sehr funktionale Bezeichnungen – „der Großkünstler“, „Meister Y“, etc.) steht auch nicht zur zusehends dringlichen Triebabfuhr zur Verfügung, sie fühlt sich „horny und haltlos“. Allerdings hat sie den Bösen geblockt, auf fünf Kanälen, er sie auch, „aber SMSe sollten eigentlich noch ankommen“. 

Und wer jetzt sagt: Geilo, das hat mir ja gerade noch gefehlt nach zweieinhalb Jahren Dreckspandemie: ein Corona-Tagebuch! – Doch, dieses Buch hat gefehlt. Aber hallo.

Diese Protagonistin ist eine stets latent überforderte Single-Mom, die den Nervenzusammenbruch im Vorbeigehen grüßt und es irgendwie schafft, doch nicht unterzugehen, das aber mit wehenden Fahnen. Die auf der To-do-Liste nur das Angenehme erledigt, „die Not-to-do-Liste aber, wie immer, vollständig“ abarbeitet. Oder die bei der Elternversammlung auf die „Armee der Gebundenen“ trifft, wo alle „durchschnittlich teuer frisiert“ sind, und sich hinterher hektisch auf dem Schulklo weiter aufdonnert – High-Heels, Leggings, Pelz –, um dann zum Großkünstler aufs Motorrad zu steigen. Und los geht’s zur angesagten Galerie.

Schöne Sexszenen: Da liegen keine Pappkameraden beieinander

Und wenn Ruth Herzberg über Sex schreibt, liegen da nicht Pappkameraden beieinander. Da vögeln echte Menschen. Oder eben doch nicht. Der Schriftsteller Andreas Merkel befand einmal in der „Süddeutschen“, ihre Sexszenen würden sich „wie Porno-Verarschungen“ lesen. Porno? Joah. Verarschungen? Nicht so sehr. Begehren ist hier nicht ironisch. Es ist wilder Ernst. Das pocht, das will, das muss.

Aber alles ist in Unordnung, aus dem Lot, ziemlich im Arsch: „Ich habe wirklich NIEMALS darum gebeten, mich abwechselnd wie die Hauptdarstellerin in einem Zombie- oder einem Rainer-Werner-Fassbinder-Film zu fühlen“, schreibt sie. Oder, mit dieser grandios komischen Lotter-Lakonie: „Ich liebe zum Beispiel das Spielplatzverbot. Endlich muss man da nicht mehr hin.“ Und dann dieser blöde Computer. „Ich will Dates, keine Updates, was ist daran so schwer zu verstehen.“

Im Juni 2020 war ja wirklich Ruth Herzbergs Beziehung in die Brüche gegangen. Sie hatte kein Gegenüber mehr. War auf sich zurückgeworfen. Die Depression nicht fern. Das Schreiben, es rettete sie. Der Blog. Leute , die das lesen. „Da war dann dieser Austausch wieder da, der mir so gefehlt hat“, erzählt sie.

Die Prenzlauer-Berg-Boheme: „Selber Teil des Klischees“

Jemand hat ihr mal gesagt: „Du bist der gute alte Prenzlauer Berg.“ Wie er war, als sie hier ankam. Bohème, Galerien, Partys. Sieben, acht Jahre, bevor Henning Sußebach 2008 in der „Zeit“ den „Bionade-Biedermeier“ erfand. Bevor das Geld kam, das Betongold, die Erben. „Ich bin ja selber Teil des Klischees“, sagt sie. „Aber ich fühle mich super hier.“

Im Buch nennt sie sich auch: „Lady Macbeth vom Kollwitzplatz“, „Kassandra von Prenzlauer Berg“. Eine Aura, die in alle Richtungen strahlt. Last Woman Standing.

Was ja auch so bemerkenswert ist an ihr: dass sie es nicht darauf anlegt, von allen gemocht zu werden. Eine Unerschrockenheit, sich in die Texte zu werfen. Das hat sie vielleicht bei Joachim Lottmann gelernt, dem Popliteraten, der sich, überraschend für sie, als Fan outete. Bei der der DDR interessiert zugewandten „Berliner Zeitung“ (wo sie auch Kolumnen schrieb) war so richtig Kirmes auf der Leserbriefseite, als Herzberg 2020 mit der köstlichen Arroganz der Ost-Berliner Bohème, in der sie selbst erst in Weißensee, dann in Pankow aufgewachsen war, den Arbeiter-und-Bauernstaat abmeierte: „Kleinbürgertum, Duckmäusererei, heimliches Gemaule und schlechter Geschmack.“

Ihre Mutter war früher Schauspielerin, ihr Stiefvater ist ein immer noch bekannter Dramatiker. Christa Wolf wohnte schräg gegenüber. Apropos „Kassandra”.

Jüdische Großeltern mütterlicherseits, Wehrmacht-Opa väterlicherseits

Ihre jüdischen Großeltern mütterlicherseits entkamen, anders als andere aus der Familie, der Vernichtung durch Hitler noch rechtzeitig. Ihr Opa väterlicherseits wiederum, Wehrmacht-Soldat, soll sich bei der Niederlage Nazi-Deutschlands erschossen haben. Ihr nächstes Buch wird auf diese Dinge rekurrieren. Der große jüdische Familienroman. Aber sehr viel fiktionaler.

Falls nicht doch wieder was dazwischenkommt. Ein neuer Mann fürs Un/Glück. Eine neue Welle. Oder ganz einfach: das Leben.

  • Die aktuelle Situation von Ruth Herzberg, Mikrotext, 248 S., 20 €
  • Buchpremiere Brotfabrik, Caligariplatz 1, Weißensee, Mi 29.6., 19.30 Uhr, 6/4 €

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