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Der Berliner Schriftsteller und Philosoph Alexander Graeff über Queerness in der Literatur

Ein Gespräch über deviante Kunst, den konservativen Literaturbetrieb und seine Arbeit in der neuen Queer Media Society

Foto: Hans Praefke

Queerdenker: Alexander Graeff (43) ist Schriftsteller und Philosoph. Sieben Jahre lang betreute er in der Brotfabrik die kürzlich eingestellte Reihe „Literatur in Weißensee“. Er verantwortet dort aber weiterhin die literarischen Veranstaltungen. Zuletzt erschien sein Gedichtband „Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont“ beim Verlagshaus Berlin.

tip Herr Graeff, erklären Sie mir als heterosexuellem Cis-Mann: Was sind queere Stoffe?

Das sind literarische Stoffe, die nicht nach heteronormativem Muster erzählt werden. Es geht darum, queere Geschichten, Biografien und Kontexte im gleichen Maße zu verwerten und in die Medien zu bringen, wie das mit den klassischen heteronormativen Stoffen passiert. Denn es ist Teil der Lebensrealität von Menschen.

tip Dafür wurde die Queer Media Society, deren Literatur-Sektion Sie leiten, gegründet?

Der Gedanke, den der QMS-Initiator, der Regisseur und Autor Kai S. Pieck, zudem hatte, war, dass man das politische Engagement mit Statistik unterfüttert: mit Studien für alle Medienbereiche – nicht nur für Literatur, auch für Film, Journalismus, Gaming. Wir müssen wegkommen von den gesellschaftlichen Mythen in Bezug auf queere Kontexte. Manche sagen, es gäbe 20 Prozent queere Personen, bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland. Andere sagen: vier oder sechs Prozent. Wenn man einen wissenschaftlichen Anspruch hat, ist das alles unbefriedigend.

tip Vor knapp einem Jahr trat die QMS bei der Berlinale erstmals  in Erscheinung. Seit wann gibt es die QMS-Sektion für Literatur, Graphic Novel und Verlagswesen?

Beim Film gibt es große Konzerne, die anders fördern können. Verglichen damit, sind auch die größten Literaturverlage kleine Handwerksbetriebe. Wir haben uns zum ersten Mal im Oktober letzten Jahres getroffen. Das Interesse in Berlin war sehr groß. Es kommen immer wieder neue Personen, so dass wir bei jedem Treffen eine Vorstellungsrunde machen müssen. Dann entstand der Wunsch, schon zur Leipziger Buchmesse im März einige Aktionen zu machen.

tip In den letzten ein bis zwei Jahren waren queere Stoffe ein Trend. Ich denke an Ocean Vuong oder auch an Eduard Louis.

Und Miku Sophie Kühmel, Christoph Hein, Jayrôme C. Robinet. Bei queeren Comics und Graphic Novels, womit ich mich mittlerweile auch beschäftige, ist es dagegen so, dass sehr viele Übersetzungen herauskommen, aber im deutschsprachigen Bereich eigentlich so gut wie nichts veröffentlicht wurde. Einige Verlage trauen sich da jetzt auch ran.

tip Verlegen deutsche Verlage so wenig queere Inhalte deutschsprachiger Autor*innen?

Ich würde die These aufstellen, dass das gar nicht so wenige Stoffe sind – dass aber die Autor*innen aufgrund mangelndem Selbstbewusstsein, aber vor allem aufgrund struktureller Gründe nicht sichtbar werden.

tip Welche Gründe sind das?

Eine trans Person zum Beispiel schreibt einen autofiktiven Roman. Der wird dann nach wie vor als „Biografie“ gelabelt, nicht als „Roman“. Weil man denkt: Als Roman hat der Text weniger Identifikationspotenzial als heteronormative Stoffe.

tip Gehört das Wort „queer“ auf den Buchrücken gedruckt?

Bei Ocean Vuongs Roman „Am Ende sind wir kurz grandios“ haben sie es gemacht. Wie ich hörte, kam prompt die Frage von einem Buchhändler an den Verlag, wieso man dieses Wort, das keiner kennt, da draufdrucken müsse.

tip Sie sind selbst auf vielen Feldern unterwegs: Lyriker, Essayist, Veranstalter. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Auf der einen Seite willst du sichtbar werden als queerer Autor. Auf der anderen Seite willst du aber genauso wahrgenommen werden wie deine nicht-queeren Kolleg*innen, also jenseits von Etiketten und Communitys. Für mich ist queere Lyrik eine Form der zeitgemäßen politischen Lyrik, eine Haltung. Queere Prosa hingegen präsentiert uns die Geschichten jenseits heteronormativer Heldenreisen.

tip Also: Queer wird Mainstream?

Wenn du für etwas kämpfst, für deviante Kunst, subkulturelle Kunst machst, musst du immer auch beim Mainstream mitspielen, weil du nur so das System in irgendeiner Weise ergänzen, erweitern und verbessern kannst. Der Literaturbetrieb ist eine der konservativsten Sparten, die ich kenne. Um etwas ändern zu können, muss man erstmal sichtbar werden.

tip Einige Literturfachleute zählen derzeit in den Verlags-Frühjahrsprogrammen die Bücher von Schriftstellerinnen und sind frustriert über den geringen Anteil. Gucken Sie Ihrerseits die Vorschauen nach queeren Themen durch?

Ja, aber nicht so systematisch, wie das #frauenzählen tut, wie das Projekt heißt. Zoe Beck und viele andere, nicht nur Frauen, sind da sehr engagiert.

tip Was plant die Literatur-Sektion der QMS auf der Leipziger Buchmesse?

Im Rahmen einer Veranstaltung am 12. März in Leipzig lesen Caca Savic, Donat Blum, Miku Sophie Kühmel und Patricia Hempel, Jan Trautmann moderiert. Dann werden wir noch zwei Podiumsdiskussion zusammen mit #verlagegegenrechts und dem Radio mephisto 97.6 zu queerer Literatur und Graphic Novel veranstalten.

tip Hilft eine Queer-Quote?

Kurzfristig sicher, mittelfristig vielleicht. Langfristig wünsche ich mir, dass die Mentalität das alles trägt und nicht extra erzeugte Strukturen notwendig sind. Um zu sagen: Wir brauchen diese Quote, so lange ihr so denkt, wie ihr denkt.

Die QMS im Netz: www.queermediasociety.org

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