Weddinger Mischung: Die noch recht junge Lesereihe „nochnichtmehrdazwischen“ organisiert eine Open-Air-Lesung mit zwei flanierenden Autorinnen aus dem Wedding
Am Anfang war es eine Schnapsidee. Im wahrsten Sinne. Sara Trapp, Theresa Meschede und Insa-Hansen-Goos saßen in der Moabiter Kneipe Kallasch& bei der damaligen Lesereihe „Hauser & Tiger“. Und dachten über eine eigene Reihe nach. Es floss auch Alkohol.
„Nüchtern am nächsten Tag haben wir nochmal darüber geredet, ob wir das wirklich machen wollen“, erzählt Theresa Meschede. „Und dann haben wir ziemlich schnell eine Förderung bekommen.“ Seit zwei Jahren nun betreiben sie ihre Lesereihe „nochnichtmehrdazwischen“. Bisher organisierten die jungen Frauen vier Veranstaltungen pro Jahr im Mastul im Wedding. Mit einem „Wedding-Spezial“ kommt in diesem Sommer eine fünfte hinzu – im Hinterhof des Panke Culture, einem Bar-Café-Projekt eines Kreativkollektivs.
Der Anlass für das Spezial: Zwei Weddinger Autorinnen sind in der Anthologie „Flexen. Flâneusen* schreiben Städte“ vertreten. Flâneuse, das ist ein Neologismus, um mit dem klassischen Bild des Flaneurs als „weiß, männlich und gut situiert“ – man denke etwa an Walter Benjamin, Franz Hessel oder Charles Baudelaire – zu brechen. In „Flexen“ sind Texte von 30 Schriftsteller*innen vereint sind, die sich ihre Wege literarisch erlaufen und diese aus der Sicht von Marginalisierten, von Frauen, LGBTQI oder People of Color, beschreiben. Und natürlich: Neben Städten wie Jakarta, Mexiko-Stadt und Istanbul wird Berlin gleich aus mehreren Perspektiven geschildert.
Zwei Autorinnen dieser Anthologie widmen sich dem Wedding. Nadire Y. Biskin beschreibt in „Borderline“ die Wege von O durch das Viertel, während Anneke Lubkowitz in „Alleen und Frauen“ beginnend im Wedding so lange durch Berlin läuft, bis sie auf eine Straße stößt, die nach einer Frau benannt wurde.
Und hier kommt die Lesereihe ins Spiel, die „Flexen“ zum Anlass nimmt, um das „Wedding-Spezial“ mit Biskin und Lubkowitz zu organisieren. Was den Wedding so interessant für „nochnichtmehrdazwischen“ macht, erklärt Insa Hansen-Goos: „Hier gibt es kaum Literaturformate. Wir richten uns explizit nicht nur an den Literaturbetrieb, sondern vor allem an die Menschen, die hier leben. Deswegen machen wir viel Werbung vor Ort.“
Kennengelernt haben sich die jungen Frauen über den Verbrecher Verlag, bei dem sie arbeiteten oder ein Praktikum machen. Dass die Anthologie „Flexen“ jetzt ausgerechnet im Verbrecher Verlag erschienen ist, sei aber Zufall, wie die drei betonen. „Wir hatten beide Autorinnen schon länger auf dem Schirm, weil sie über den Wedding schreiben“, sagt Hansen-Goos. Sara Trapp ergänzt: „Anneke hat vor einiger Zeit einen Text bei Sukultur veröffentlicht, der sehr interessant war. Und Nadire bezeichnet sich ironisch als die ‚Hannah Arendt des Weddings auf Instagram.“
Bei allen Veranstaltungen von „nochnichtmehrdazwischen“ treten übrigens zwei Gäste auf. „Wir wollen weg von der klassischen Lesung und konzentrieren uns auf das Gespräch“, sagt Insa Hansen-Goos. Entsprechend werden etablierte Autoren wie Clemens Meyer oder Anke Stelling mit ungewöhnlichen Stimmen kombiniert. „Wir versuchen dabei auch, die Strukturen des Betriebs im Blick zu haben und unbekannte Gäste einzuladen“, sagt Trapp. „Bei der ersten Lesung beispielsweise saß Karl Clemens Kübler auf der Bühne, der online mit seiner Edition Bahia Übersetzungen publiziert, die im konventionellen Betrieb keine Chance hätten.“ Ein echtes Gespür für die Nische also.
Bleibt eine letzte Frage: Wie kommt man auf diesen schrägen Namen für eine Lesereihe? Eigentlich, so Insa Hansen-Goos, habe ein Freund einst die Musikrichtung einer Band als „noch nicht mehr dazwischen“ beschrieben. „Wir dachten uns: Das passt. Schließlich konzentrieren wir uns auf Literatur, die nicht so gut greifbar, fern des Konsens ist und gerne auch mal sperrig sein darf.“
Wie ungewöhnlich und sperrig Anneke Lubkowitz und Nadire Y. Biskin tatsächlich sind, wird die Sommerlesung „Wedding-Spezial“ zeigen.
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