Ein Däne in Marzahn, so ließe sich das Projekt des Kopenhagener Fotografen Asger Hunov beschreiben: „Wir Marzahner – Eine fotografische Liebeserklärung“, heißt sein Buch, das gerade im BeBra Verlag erschienen ist. Darin finden sich gut 70 Bilder, natürlich von den berühmten Plattenbauten, aber vor allem auch den Menschen, die in den Häusern leben. Hunov hat sie besucht, sie fotografiert und mit ihnen gesprochen. Entstanden ist so ein einfühlsames Porträt eines Bezirks, der viel zu oft hinter den Klischees, die über ihn kursieren, verschwindet.
In den 1980er-Jahren realisierte sich in Marzahn der Traum vom sozialistischen Wohnungsbau
Früher war Marzahn ein Dorf. Offiziell gehörten die schmuck um den alten Anger angelegten Häuser und die Mühle zwar zu Berlin, wer dort wohnte, hatte mit dem Stadtleben aber nicht viel zu tun. Doch in Ost-Berlin herrschte Wohnungsknappheit, zudem verfielen die alten Mietskasernen in Prenzlauer Berg und Mitte. In der Hauptstadt der DDR kamen in den 1970er-Jahren Stadtplaner auf die Idee, in Marzahn eine gewaltige Plattenbausiedlung zu errichten. In Rekordzeit schossen die riesigen Bauten aus dem Boden und boten zigtausenden Menschen eine neue Heimat. Im Gegensatz zu den Altbauten im Stadtkern, in denen noch Kohleöfen standen und sich die Toiletten auf halber Treppe befanden, waren die modernen Wohnungen in Marzahn eine attraktive Alternative, vor allem für junge Familien. Spätestens in den 1980er-Jahren realisierte sich in Marzahn der Traum vom sozialistischen Wohnungsbau.
Nach der Wende verlor Marzahn seinen Reiz, die Altbauten mit den Dielenböden und Stuckdecken erwiesen sich für Neuberliner als interessanter, und nach massiven Sanierungen der innerstädtischen Ost-Berliner Bezirke entwickelten sich Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain zu den beliebtesten Wohngegenden der Stadt. Marzahn blieb etwas zurück, die Plattenbauten galten als unfreundlich und anonym, Marzahn wurde zum Synonym für die Berliner Ost-Provinz. Klischees von Menschen mit rechter Gesinnung vervollständigten das Bild. Tatsächlich kennen die meisten Berliner und auch die Touristen Marzahn gar nicht, die Vorurteile aber schon.
Asger Hunov: „Das Erste, was mir auffiel, waren die vielen Grünanlagen und insbesondere die wunderschönen Häuser mit farbenfrohen Mustern an den Fassaden“
Asger Hunov sind solche Vorurteile egal. Der sympathische Däne kaufte sich irgendwann eine Wohnung in Berlin, eine gute Anlage für Skandinavier, damals, als Wohnungen hier noch spottbillig waren, zumindest im Vergleich zu Städten wie Oslo, Stockholm oder eben Kopenhagen. Der professionelle Fotograf arbeitet seit vielen Jahren an einer Fachhochschule in der dänischen Metropole, Berlin besuchte er so oft es ging, und irgendwann wurde ihm das Stadtzentrum zu langweilig. Er nahm sein Fahrrad und radelte einfach in die andere Richtung. Mit dem Fernsehturm im Rücken erreichte Hunov schnell Lichtenberg und fuhr immer weiter nach Osten, bis er schließlich in Marzahn landete.
„Das Erste, was mir auffiel, waren die vielen Grünanlagen und insbesondere die wunderschönen Häuser mit farbenfrohen Mustern an den Fassaden“, schreibt er im Vorwort zu seinem Fotoband „Wir Marzahner – Eine fotografische Liebeserklärung“. Er verliebte sich in den Bezirk: „Für mich ist das Fotografieren immer auch eine gute Möglichkeit, Neues aufzunehmen und zu erleben.“ Während seiner Fototouren, wurde er immer wieder von Anwohnern angesprochen, die sich über den älteren Herren auf dem Fahrrad wunderten, der die Plattenbauten in denen sie wohnen, fotografierte. Das ist doch nicht interessant, sagten sie, doch, antwortete Hunov und so entstand die Idee, nicht nur die Häuser, sondern auch die Menschen, die in ihnen wohnen, festzuhalten.
Eines kam zum Anderen und Hunov landete in Wohnzimmern und Küchen, trank viel Kaffee mit den Marzahnern, traf Alteingesessene und Neuzugezogene, ältere Paare, Familien und Jugendliche, einmal führte ihn sein Weg sogar in einen Judoclub, ein anderes Mal begegnete er einer Polizistin. Mit ihnen allen sprach er über das Leben, über Probleme, Wünsche und natürlich immer auch über Marzahn.
„Hier gibt es alles, was man zum Leben braucht“, sagen Hildegard und Bernd, Dörthe organisiert einen Chor und bringt so Menschen zusammen: Alex sinniert über den Wandel im Bezirk, macht in seiner Freizeit Musik und befürchtet, dass das grüne Marzahn irgendwann verschwindet, weil immer mehr gebaut wird. Und Matthias beschäftigt das Problem der Kinderarmut in seiner Nachbarschaft. So entstand ein vielfältiges Porträt – eine Liebeserklärung nennt Hunov sein Buch selbst – eines gar nicht so uniformen Stadtteils, den es sich vielleicht doch einmal zu entdecken lohnt! Ein guter Anfang dafür, ist Asger Hunovs „Wir Marzahner – Eine fotografische Liebeserklärung“.
- Wir Marzahner – Eine fotografische Liebeserklärung von Asger Hunov, BeBra Verlag, 144 Seiten, 20 €
- Buchpremiere: Mark-Twain-Bibliothek, Marzahner Promenade 54 / 55, Marzahn, Mo 30.10., 20 Uhr (ausverkauft)
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