Altes Spiel, neue Regeln: Der Hype um die Blockchain-Kunstwerke von Beeple, Grimes und Co. erschütterte unlängst den globalen Kunstmarkt. International ist das Interesse am digitalen Spektakel enorm, die deutsche Kunstszene hält sich momentan jedoch eher bedeckt. Hierzulande hüllt man sich beim Thema NFT-Kunst lieber in verdächtiges Schweigen. Wir haben uns gefragt: Berlin, wie viel Mut zur Crypto-Art steckt in dir und deinen Künstler:innen?
Eine Momentaufnahme von Berliner Künstlern, Kennern und Konsorten zum (Wahn-)Sinn in der Crypto-Welt – und dem Wunsch nach einem demokratisierten Kunstmarkt.
NFT und Blockchain: Ein Crypto-Crashkurs
Was verbirgt sich hinter dem – Achtung Wortspiel – kryptischen Namen einer Technologie, die spätestens seit dem rekordverdächtigen Verkaufspreis von 69 Millionen Dollar für Beeples „EVERYDAYS: THE FIRST 5000 DAYS“ (Auktionshaus Christie’s) die Kunstwelt weltweit beschäftigt?
Digitale Deko: Weiße Wände schmücken, kann man mit Crypto-Art (noch) nicht. Denn die NFT-Kunstwerke sind, wie jedes NFT, nichts anderes als Dateien. Doch im Gegensatz zu den JPGs oder GIFs, denen man sonst begegnet, gehört zum NFT auch eine virtuelle Urkunde, die den Käufer:innen Originalität und die digitalen Rechte am Werk garantiert. Das macht es geradezu unmöglich, die Crypto-Kunstwerke zu fälschen.
Bei den NFT oder „Non-Funglibe Token“ (zu dt. „Nicht-austauschbarer Token“) handelt es sich, anders als bei ihren Verwandten den „Fungible Token“, um Unikate. Die Basis beider Token, ob nun austauschbar oder nicht, bildet die sogenannte Blockchain. Diese ist – kurz gesagt – eine dezentrale, digitale Datenbank, deren Verschlüsselung auf einem kettenähnlichen Sicherheits-Prinzip basiert. Prominentestes Beispiel für die Fungible Token, ist wohl die Crypto-Währung Bitcoin, bei der jede Transaktion einer wechselseitigen Kontrolle durch alle Beteiligten ausgesetzt ist.
Angeboten werden die Originale anschließend auf großen Plattformen wie OpenSea oder ArtBlocks. Dort findet man, neben Crypto-Art, auch allerhand verrücktes Zeug wie Sammelkarten oder Einrichtungsgegenstände für virtuelle Welten, die gegen die Crypto-Währung Etherum oder Bitcoin eingetauscht werden können.
Crypto-Art – Ein fairer Handel?
Das kommt gut an: Auch in Berlin stellt sich die Szene auf, vom erfolgreichen Crypto-Art Duo „Looping Lovers“ bis zu Stephan van Kuyk, Berliner Robin Hood der NFT-Szene und Gründer der digitalen Künstler-Community „Artists Stop Being Poor“. Das geschieht weitestgehend noch fernab des Mainstreams, dennoch feiert der Non-fungible Token momentan seinen ersten, doch stetigen Siegeszug in die Kreativszene der Hauptstadt.
Für den selbsternannten Art-Anarcho Stephan van Kuyk (33), liegt hier der entscheidende Unterschied zum klassischen Kunstmarkt. Dort, wo die Galerien, Messen und Auktionshäusern die Oberhand hätten, würden sie oftmals ihre (finanziellen) Trümpfe gezielt gegen Künstler:innen ausspielen.
„Es gibt einfach keinen lukrativen Sekundärmarkt für Künstler. Der klassische Kunstmarkt ist eher eine Spielwiese für Investoren geworden, als dass er die Künstler unterstützt und ihnen dient. Dazu kommt, dass in jedem Kunstmagazin immer nur die gleichen Galerien und Künstler gezeigt werden. Dabei gibt es doch so viele gute Künstler:innen und Projekte, die man nie zu sehen bekommt. Warum ist es denen nicht erlaubt mit den Big-Playern zu spielen? Im NFT-Markt können wir Künstler:innen endlich selbst bestimmen wo es lang geht. Frei nach dem Motto: Scheiß drauf, wir bauen uns unseren eigenen Spielplatz!“
Stephan van Kuyk, 2021
Mit seinem Projekt „Artists Stop Being Poor„, einer Community-Plattform für Jungkünstler und Emerging Artists aus der ganzen Welt, strebt van Kuyk schon seit einigen Jahren eine langfristige Demokratisierung des Kunstmarktes zugunsten von Künstler:innen an. Ein selbstbewusster „alternativer Kunstmarkt“ dank Blockchain-Technologie, ist für ihn nur der nächste, logische Schritt in eine faire und kreative Zukunft.
Ähnlich euphorische Klänge erreichen uns auch von dem Crypto-Artist und Grafikdesigner Michael Tan. Der junge Berliner ordnet sich und seine NFT-Bewegtbilder (Siehe Abb. oben) einer aussichtsreichen Tendenz der zeitgenössischen Kunst zu.
NFT’s, along with blockchain technology, are a long awaited revolution. The current state might be short lived, but it will morph and change over time to be here for the long term.
Michael Tan, 2021
Digital Artists auf dem Vormarsch
In der Welt der NFT scheint alles erlaubt zu sein und noch mehr: Altbekannte Gesichter der Kunstwelt sucht man vergeblich. Hier regieren Newcomer wie Philipp Ries und Thomas Mayer, die als Crypto-Art Duo „Looping Lovers“ mit ihren digitalen Kunstwerken schon heute eine große Fangemeinde begeistern. Zentrales Thema ihrer Arbeit sind surreale, humanoide Wesen, die sich frei und in endlosen, loopenden Bewegungen durch digitale Räume bewegen.
Weniger radikal, gleichermaßen optimistisch: Für das Künstler-Duo bedeutet ein Einstieg in den NFT-Markt keinen harten Bruch mit dem Establishment. Sie sehen in der neuen Technologie vielmehr eine Lösung für die langersehnte Gleichstellung digitaler Künstler:innen.
Bislang haben digitale Künstler dem klassischen Kunstmarkt und den dort wirkenden Kräften meist nur von außen betrachtet. Für den digitalen Markt mussten andere Wege zur Monetarisierung der eigenen Kunst dienen.
Looping Lovers, 2021
Die Digitalisierung des Kunstmarktes stellt die Thematik von Besitz und Eigentum infrage. Durch die NFT Technologie, die über die Blockchain verifiziert wird, entstehen digitale Einzelstücke oder limitierte digitale Serien die von Sammlern gekauft und gehandelt werden können. Durch diese Innovation kommt der digitale Künstler dem analogen auf Augenhöhe entgegen.
Crypto-Art made in Berlin & everywhere
Wie steht es nun um die Berliner NFT-Szene? Ja, es gibt sie, die NFT-Pioniere der Hauptstadt. Untereinander sind sie bereits eng vernetzt. Besonders über Plattformen wie Twitter, Instagram oder die Speaker-App Clubhouse findet ein reger und regelmäßiger Austausch zwischen den Crypto-Artists statt. Ob sich der klassische Kunstmarkt langfristig modernisiert oder im Einklang mit den Crypto-Art Plattformen koexistieren wird – hier herrscht noch Uneinigkeit. In einem sind sich dennoch alle einig: Die Ära Crypto-Art hat gerade erst begonnen. Und auch in Berlin trifft man sie, die digitalen Revoluzzer, die sich trauen.
Abseits der digitalen Kunstwelt, lohnt sich natürlich mal eine Tour durch Berlins reichhaltige Museen-und Galerielandschaft, wo man die Kunstwerke live bestaunen kann. Hier findet ihr eine Übersicht der geöffneten Ausstellungshäuser, das aktuelle Programm und alle weitere Infos rund um euren Besuch.