„You can name it storytelling. You can name it dance“, sagt der Mann mit der Piratenmaskerade und den jüdischen Schläfenlöckchen einmal. Und dann knallen die drei hypertrophen Sprechmaschinen in Trash-Kostümen weiter ihre Stummelsätze heraus, ohne Punkt und Komma und mit wechselnden Dialekten. Sie handeln von der letzten Diät, einem Grund, morgens aufzustehen und unbezahlten Schauspieljobs in russischen Fernsehserien. Denn „No Dice“ basiert auf über 100 Stunden mitgeschnittener Telefongespräche, die Kelly Cooper und Pavol Liska als heitere und erstaunliche Zeugen unserer Kommunikationskultur auf die Bühne bringen. Ihre fünf Performer tragen Knöpfe im Ohr. Live spielt ihnen der iPod ihren Text zu, den sie sofort herausschießen. Skurrile, launige, traurige Dialoge, die sie mit einer Reihe ebenso abgekupferter Gesten willkürlich kombinieren. Denn das Nature Theater of Oklahoma, gegründet von Pavol und Liska 2002 in New York, verarbeitet geklaute, beobachtete, abgelauschte Alltagsfetzen aller Art. Und beweist dabei nicht nur einen guten Sinn für Humor, sondern auch für Rhythmus, denn ihre Performances sind echte Mitwippstücke. Ob hier erzählt oder getanzt wird, ist im Grunde einerlei. Denn bei der nach einem imaginären Theater aus Kafkas „Amerika“-Romanfragment benannten Truppe ist beides dasselbe: ein ziemlich wilder und gekonnter Remix-Theater-Spaß.
Ihr Mangel an finanziellen Mitteln führte Cooper und Liska einst zurück zu den Grundlagen des Theaters, zu der Frage: Was ist der erste Impuls, Theater zu machen? Sie kamen zu dem Schluss: Im Grunde braucht es nur einen Performer, einen Zuschauer, eine Geschichte, und fertig ist die Chose. Heraus kommt ein mitreißendes Theater von großer Präzision und geringen Mitteln, eine Art höherer Dilettantismus voller Lust am Erzählen.
Sie setzen ganz auf ihre Performer. Und die – großartig, kauzig, stur und risikofreudig – lassen sie nicht im Stich. In „Poetics – A Ballet Brut“ verwandeln sie alltägliche Bewegungen in Choreografien. Erst mal hängen sie ausführlich vor dem geschlossenen Theatervorhang herum, trinken Coffee to go und halten sich an ihren Schultertaschen fest. Fast unbesehen beginnt eine Choreografie der Alltagsgesten, der verschränkten Arme und beiläufig taxierenden Blicke. Dabei berufen sich Cooper und Liska auf die Theatergeschichte: In „No Dice“ auf die Tradition der mündlichen Überlieferung, in „Poetics“ auf die Schlüsselkonzepte der aristotelischen „Poetik“: Nachahmung, Harmonie, Rhythmus, Furcht, Mitleid und Spektakel. Konzepte, derer sie sich allerdings recht eigenwillig und zeitgemäß bedienen. So ist es kein Wunder, dass das Nature Theater of Oklahoma seit seiner „Entdeckung“ durch eine Reihe europäischer Kuratoren 2007 bei fast allen wichtigen Festivals gespielt hat, vom Sommertheaterfestival in Hamburg bis zu den Salzburger Festspielen. Nun kommen ihre beiden frühen Stücke ans Berliner HAU.
Text: Esther Boldt / Foto: Peter Nigrini
Termine: No Dice
im HAU 3, Mi 25. bis Fr 27.11., 19 Uhr
Termine: Poetics – A Ballet Brut
im HAU 1, Fr 20. bis So 22.11., 19.30 Uhr
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