Theater

„Der Zauberberg“ von Sebastian Hartmann: Eine Frage der Zeit

ANZEIGE

„Der Zauberberg“ nach Thomas Mann ist ein Mammutroman – Sebastian Hartmann nimmt sich im Deutschen Theater der seitenintensiven Lektüre an. Als allzu provokante Leitfrage wählte der Theaterrebell a.D. „Was ist die Zeit?“

Sebastian Hartmann inszeniert Thomas Manns "Der Zauberberg" am Deutschen Theater. Vorabfoto: Tilo Baumgärtel
Sebastian Hartmann inszeniert Thomas Manns „Der Zauberberg“ am Deutschen Theater. Vorabfoto: Tilo Baumgärtel

Schon einmal inszenierte Sebastian Hartmann den Bildungsroman über Hans Castorps jahrelangen Aufenthalt in einem Sanatorium im Gebirge. Thomas Manns Roman gilt eigentlich als unspielbar. Der Regisseur strich heraus, kondensierte, ließ nahezu nur Dialog und entsprechende Fetzen übrig. Und kam dennoch auf fünf Stunden Spielzeit am Leipziger Centraltheater. Stunden, die es in sich hatten, die dem Publikum nicht nur physisches Durchhaltevermögen abforderte, doch das ist typisch Hartmann: Er möchte, dass die Vorstellung in den Köpfen der Zuschauer*innen weiterspielt.

„Der Zauberberg“: Hartmanns Aufbegehren gegen sich selbst

Kein leichtes Verlangen nach derartiger Epik. Das plakative, das fordernde Element, der Bombast allein der Vorstellungsdauer, all das mag erwartbar sein bei einem Stück dieses Regisseurs. Was allerdings überraschte, war die Texttreue der Inszenierung. Nur lose koppelt sich Sebastian Hartmann normalerweise an die literarischen Werke, die er verwendet. Ein Bruch mit sich selbst also.

Inwieweit sich die Livestream-Premiere am 20. November von der gewaltigen, auch im Gletschermassiv der Bühne imposanten Vorstellung vor zehn Jahren unterscheidet, ist fraglich, denn Hartmann gibt sich bislang kryptisch. Doch: Da ist die Zeit als Leitmotiv. Da ist der rätselhafte DT-Pressetext, der mit einem ellenlangen Zitat Thomas Manns weitere Fragen aufwirft.

Eine Ankündigung, die Fragen anregt

„Ein Geheimnis“ sei die Zeit, Bewegung, Veränderung und noch mehr Bewegung. Zeit, schreibt Mann, ist „Bewegung und Veränderung, die man fast ebensogut als Ruhe und Stillstand bezeichnen könnte; denn das Damals wiederholt sich beständig im Jetzt, das Dort im Hier.“

Sebastian Hartmanns erneute Adaption von „Der Zauberberg“ wird sicherlich nicht ein bloßer Wiedergänger. Vielmehr wirkt das Verwirrspiel um Erwartungen bereits wie ein Teil der Inszenierung. Wird die Hauptfigur Hans Castorp wieder in vollends absichtlichem Versehen Castorf genannt? Wird das Zerwürfnis Settembrinis und Naphtas erneut über einer Gulaschsuppe mit reichlich Geschnibbel ausgetragen? Arbeitet sich erneut die Schwere von Manns Roman aus spitz überzeichnetem Klamauk heraus, der mit fortschreitenden Akten allmählich in Ernsthaftigkeit umschlägt? Wird es Nebel geben?

Zeit erleben, Zeit mitbringen

All diese Fragen vermag erst die nun digitalisierte Premiere beantworten können. Selbst über die Rollenverteilung des Ensembles aus Elias ArensManuel HarderPeter René LüdickeMarkwart Müller-ElmauLinda PöppelBirgit UnterwegerCordelia Wege und Niklas Wetzel ist nichts bekannt; einzig Samuel Wiese ist als Verantwortlicher für Musik bereits eingeordnet. Letztlich wissen wir nur so viel: Die Beantwortung der Leitfrage wird einige Zeit in Anspruch nehmen.

  • „Der Zauberberg“ nach Thomas Mann hat seine Online-Premiere am 20.11.2020 um 19.30 Uhr auf der großen Bühne des Deutschen Theaters und wird 24 Stunden auf der Website des Hauses abrufbar sein. Die physische Premiere ist für den 13.12.2020 geplant.
  • Deutsches Theater Berlin Schumannstr. 13a, Mitte, www.deutschestheater.de

Mehr Theater in Berlin

Sebastian Hartmann verbinden viele Inszenierungen mit dem Deutschen Theater. Dort collagierte er bereits Knut Hamsuns „Hunger“ mit Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Und er verband einen Assoziationsreigen zu Shakespeares „Lear“ mit einem Gedankenhochbeschleunigungsmonolog von Wolfram Lotz. Mit Regisseur Rosa von Praunheim sprachen wir über die AfD und Hitlers Sexleben. Am DT inszenierte zuletzt Jossi Wieler das Stück „Zdeněk Adamec“ von Peter Handke. Auch im DT: René Polleschs „Melissa kriegt alles“ – Revolutionspathos, Trance und viel Stoff zum Dechiffrieren.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad