Verschämte Leidenschaften sind out. Heute zeigt man, was man hat. Andere teilhaben zu lassen am eigenen Besitz, scheint doppelt glücklich zu machen. Bedeutet es doch Anerkennung und Kommunikation. Kunst erhöht den Status und die Lebensfreude. Für zeitgenössische Pinselware werden astronomische Preise bezahlt, und im Glanz des eigenen Geschmacks sonnt sich sein Besitzer erst so richtig, wenn die passende Schatulle in der Hauptstadt gefunden ist. In Berlin ist derzeit nicht nur ein Galerienboom zu erleben, sondern auch ein Zustrom der Privatleute, die es mit ihren Schätzen an die Öffentlichkeit drängt. Waren es früher die Museen, an deren Pforte sie um Einlass klopften, so sind mittlerweile viele bestrebt, ihre Ansprüche auf eigene Faust zu realisieren. Mehr Freiheit bedeutet mehr Vielfalt, ergo mehr Abwechslung für den Besucher, daneben aber auch den Willen, an der Kunstgeschichte mitzuschreiben.
Die Zeiten der zaghaften Öffnung von Privatwohnungen, die das Leben mit auserwählter Kunst auf sympathische Weise vorstellten, sind fast schon passй. Erika und der verstorbene Rolf Hoffmann, früher Blusenfabrikanten im Rheinland, machten den Anfang. Als ihr Museumsbau durch Frank Stella in Dresden an politischen Widerständen scheiterte, erwarben sie kurzerhand die Sophie-Gips-Höfe, eine ehemalige Nähmaschinenfabrik, und zogen nach Berlin. Sie verkauften ihr Luxuslabel van Laack und widmeten sich der Entwicklung der neuen Kunst-Mitte. Inzwischen gibt es rund ein Dutzend privater Kollektionen. Meist in Mitte, wo es auch die Touristen hinzieht. Ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wie kürzlich auf einer Pariser Tagung zur Zukunft der Museen im 21. Jahrhundert festgestellt wurde, kann sich der Tourismus heute nur noch mit Hilfe der (Event-) Kultur weiterentwickeln. Das gleiche gilt aber auch umgekehrt.
Natürlich hat das auch die Politik begriffen. Die Politik hat die Kunst entdeckt. Gerne zeigte sich der Regierende Bürgermeister und Kultursenator beim ersten Spatenstich für die privat finanzierte Temporäre Kunsthalle. Nach den großen Museumsleihgaben von Erich Marx und Friedrich Christian Flick im Hamburger Bahnhof erträumt man jetzt noch ein Gegenüber am Humboldthafen. Dort soll die Gegenwartskunst üppige Blüte austreiben, am besten wie in Bilbao das Guggenheim-Gewächs von Frank O. Gehry.
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Text: Andrea Hilgenstock