Es gibt keine getrennten Umkleidekabinen. Wenn sich Julia Fikus im Moabiter Box-Gym umziehen will, steht ihr Trainer vor der Tür. Die Jugendlichen türkischer oder arabischer Herkunft müssen draußen warten: „Da ist gerade ein Mädchen drin.“ Julia Fikus ist an diesem Abend die einzige Frau im Ring.
„Anfangs war das echt schwer, die haben mich einfach nicht ernst genommen“, erzählt die 24-Jährige. Die zierliche Blonde musste sich ihren Stand im Beusselkiez erst erkämpfen. Mittlerweile ist es kein Problem mehr, einen Sparringspartner zu finden. Die meist schwergewichtigen Jungs mit Migrationshintergrund begrüßen Julia Fikus sogar. „Hier schlägt sie sich mit allen und gewinnt. Im Park würde das aber nicht so funktionieren“, erklärt ihr Trainer Daniel Hiller. Denn das Studio tickt im Dreiminutenrhythmus, das heißt: drei Minuten Kampf, eine Minute Pause – ein Reglement, das es auf der Straße nicht gibt.
Und was macht eine Boxerin, wenn sie angegriffen wird? „Ich habe einen extrem langen Geduldsfaden. Aber ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand anfasst.“ Erst neulich wollte es jemand genau wissen. „Der hat meine Freundin blöd angemacht und mich dann am Oberarm gepackt. Ich habe dem Typen auf den Brustkorb gehauen – der hat keine Luft mehr gekriegt. Alles Weitere hat ein Türsteher erledigt.“
Am 5. April findet Julia Fikus’ erster Profiboxkampf statt. Und dafür trainiert sie täglich bis zu zwei Stunden. Eigentlich ist sie eine erfolgreiche Thaiboxerin. Doch anders als in Thailand, wo man bis zu 10.000 Euro Preisgeld pro Kampf erhalten kann, ist es in Deutschland unmöglich, von den Fußtritten, Faust-, Ellenbogen- und Knieschlägen zu leben. Nicht mal, wenn man wie Julia Fikus auf Platz drei der Weltrangliste bis 55 Kilogramm steht. Deshalb versucht das Fliegengewicht es nun im Profiboxen, wo es unter anderem Dank der Boxerin Regina Halmich Fernsehauftritte und Sponsoren gibt. Wenn sie mal nicht boxt, kümmert sie sich um ihre sechsjährige Tochter Ginger. Sie ist aber auch bei jedem Kampf und beim Training dabei, als Tattoo auf Mutters muskulösem Oberarm – und als großer Fan direkt am Ring. „Ginger kann schon alles, was ich auch kann, das ist echt lustig.“
Julia Fikus ist schnell, und sie weiß, was sie will: gewinnen. „Schon für Ginger, damit sich die ganze Arbeit gelohnt hat.“ Doch auch, wenn sie verlieren würde, ginge ihr Leben geordnet weiter. Denn ihren Lebensunterhalt verdient die gelernte Einzelhandelskauffrau bei Rap-Star Bushido. Sie arbeitet in seinem Street-Style-Laden hinter dem Einkaufszentrum Alexa in Mitte, direkt unter den S-Bahnbögen. Und er unterstützt sie auch bei ihrer Boxkarriere. „Anfangs war es nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, aber jetzt findet er es total toll.“ So toll, dass manche Bushido-Fans sogar glauben, das blonde Mädchen Ginger wäre seine Tochter. Doch das stimmt natürlich nicht. „Ihr Vater ist Thaiboxer in Magdeburg.“ Und dort startete Julia Fikus auch vor neun Jahren ihre Karriere.
Erst im Oktober letzten Jahres kam sie nach Berlin, „ins Zentrum des Wahnsinns“ – und verletzte sich schwer. „Bei einem Kampf wurde mir durch Tieftritte das Schambein gebrochen.“ Als sie wenige Wochen danach wieder in den Ring stieg, wusste ihre Gegnerin genau, wo sie treffen musste. „Ich stand in der Ecke, konnte kaum noch laufen, und die Ringrichter haben keine Minuspunkte verteilt.“ Das hat sie wirklich getroffen.
„The left hook“, so ihr Spitzname wegen ihrer schlagkräftigen linken Hand, hat noch einige Stunden Training im Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen und im Box-Gym in der Beusselstraße vor sich. Vor dem großen Kampf muss sie noch lizensiert werden. Das übernimmt einer der altgedienten Trainerstars in Moabit. Werner, 77, ehemaliger Fremdenlegionär und Profiboxtrainer, lächelt verschmitzt: „Sie ist ganz gut, die Julia.“
Text: Britta Geithe
Fotos: Jens Berger
Universal Hall, So 5.4., 18 Uhr, Karten: ab 15 Ђ, www.amadun.de, www.whos-next.net
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