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Geschwister Pfister: „Kitsch ist die Sehnsucht der falschen Gefühle“

Neun Jahre ist es her, dass die Berliner Musikkabarettisten Geschwister Pfister mit einem eigenen Programm auf der Bühne standen. Ihr neues Programm „Relaxez-Vous!“ lässt sich also als eine Art Comeback verstehen, auch wenn sie nie weg waren. Wir trafen Andreja Schneider, Christoph Marti und Tobias Bonn, die Personen hinter Geschwister Pfister, und sprachen mit ihnen über Liebe in Bern, Lieder in Rüdesheim, die Bar jeder Vernunft, Geschlechterrollen – und Berlin.

Die Geschwister Pfister (v. l. n. r.): Tobias Bonn, Christoph Marti und Andreja Schneider. Foto: FOKKE & Held

Erster Blick auf das neue Programm der Geschwister Pfister

Ein überaus geräumiger Probenraum in einer Steglitzer Fabriketage. Vor einem riesigen Spiegel sind drei muschelförmige Sessel postiert, das Mobiliar der neuen Show. Als allererster Außenstehender überhaupt darf tipBerlin Zeuge einiger Songs und Conférencen aus dem neuen Programm „Relaxez-Vous!“ der Geschwister Pfister werden. Kaum ist das Playback-Band mit der Musik gestartet, findet eine Metamorphose statt: Aus Andreja Schneider, Christoph Marti und Tobias Bonn werden Fräulein Schneider, Ursli und Toni Pfister, jene Kunstfiguren, mit denen das Trio seit über drei Jahrzehnten große Erfolge feiert. Begonnen hat alles 1991 mit dem Programm „Melodien fürs Gemüt“, damals noch ohne Andreja Schneider, dafür mit Max Gertsch und Lilian Naef. Es folgten etliche Programme mit so schmissigen Titeln wie „Have a Ball“ oder „On the Run“. Seit 2013 und ihrem Toskana-Programm „Wie wär’s, wie wär’s?“ sind alle drei Pfisters erstmals wieder vereint mit einer eigenen Show auf der Bühne zu sehen.

Dazwischen traten die drei Allrounder mal getrennt, mal zusammen in Inszenierungen an der Komischen Oper, in der Komödie am Kurfürstendamm, im Tipi oder Marti und Bonn als Duo in Erscheinung.

Primär geht es am Tag unseres Interviews bei den Proben um die korrekten Abläufe auf der Bühne, um Übergänge und Choreografien. Die Arrangements des musikalischen Leiters Johannes Roloff stehen längst. Zum Glück, denn alle drei sind gesundheitlich etwas angeschlagen, müssen aber stimmlich nicht die volle Leistung bringen. Zu sehen sind: schmissige Songs auf Deutsch, Japanisch oder Schwyzerdütsch. Dazu: launige Conférencen. Unterstützt werden die Künstler vom stets bestens aufgelegten Ko-Regisseur und Choreograf Christopher Tölle.

Danach: ein rund 90-minütiges Gespräch mit drei Profis, die reflektiert, offen und pointiert Auskunft über ihr Schaffen geben.

Geschwister Pfister: Weniger Show, mehr exklusive Essenseinladung

tipBerlin Frau Schneider, Herr Bonn, Herr Marti, die neue Show „Relaxez-Vous!“ hat ein musikalisches Gourmet-Menü als losen Handlungsstrang?

Tobias Bonn Eine unserer ersten Conférencen im Programm beginnt mit „Willkommen zu der Show“ …

Christoph Marti …und dann fährt Ursli dazwischen und sagt: „Das ist interessant, dass du dazu ,Show‘ sagst!“ Das Ganze entspricht eher einer exklusiven Essenseinladung, aber statt Gängen gibt es hier Songs. Alle sollen sich entspannen, und wir helfen dabei, auf Augenhöhe und live. Nach einigen sehr aufwändigen Programmen hatten wir den Wunsch, alles runterzufahren, also ohne 400 Kilo schwere Showtreppe zu agieren.

„Wie wär‘s, wie wär‘s – Geschwister Pfister in der Toscana“, Premiere 2013. Foto: Jan Wirdeier/Fokke

tipBerlin Man wird ja auch nicht jünger …

Andreja Schneider So ist es. Unser Songtitel Nummer zwei war: „Der erste Lack ist ab“ von Grethe Weiser.

Christoph Marti Diese ganzen Prozesse begannen noch vor Corona. Die Pandemie hat uns, wie allen anderen auch, richtig ein Bein gestellt.

Tobias Bonn Ich hatte Jahre zuvor schon das Bedürfnis, mal ein Sabbatical einzulegen, aber welcher freie Künstler kann sich so etwas leisten? Dann kam diese Pause, aber sie war nicht so entspannend wie erhofft.

Christoph Marti Und wir wussten nicht: Wie viele Mieten kann ich noch bezahlen, wenn wir kein Einkommen haben? Das hätte in letzter Konsequenz für mich bedeutet, dass ich im Haus meiner Eltern in der Schweiz leben muss.

Tobias Bonn: „Man muss schauen: Wo scheint die Sonne? Was gibt es noch Schönes? Und welches Lied kann man singen?“

tipBerlin Aber Sie haben doch als Firma Förderung beantragt?

Tobias Bonn Für eine Zwei-Mann-Firma als GbR wie unsere hat die Förderung am Anfang nicht gegriffen. Es gab die Berliner „Soforthilfe für alle“, das war gut, aber damit waren wir schnell durch. Später hieß es: Selbstständige können vereinfacht Zugang zur Grundsicherung bekommen. Ich habe für diesen Antrag 100 Seiten abgegeben! Aber ab November wurde die Förderung dann deutlich besser.

Christoph Marti Ich erinnere mich an den Bescheid, nach dem wir wussten, dass ich nicht in die Schweiz zurückziehe. Wir sind durch manches Raster durchgefallen, aber letztendlich wurden wir unterstützt, und da kann man auch mal Danke sagen.

Tobias Bonn Das alles ist bis heute eine große Wunde und im Nervensystem verankert. Und mit all dem Scheiß, der in letzter Zeit noch dazugekommen ist, nagt das sehr an den Leuten. Das hat uns für das Thema unseres Programms bestärkt:„Relaxez-Vous!“ Man muss schauen: Wo scheint die Sonne? Was gibt es noch Schönes? Und welches Lied kann man singen?

Christoph Marti Da kommt der Kitsch ins Spiel. Kitsch ist die Sehnsucht der falschen Gefühle danach, echt zu sein. Es gibt Songpassagen wie Poesiealbumsprüche: „Vergeude keine Stunde“, „Freu dich am Leben“ – da kann es einem ja schnell den Magen umdrehen. Aber dann denkt man plötzlich: Bahnt sich da etwa Weisheit an?

Tobias Bonn: „In früheren Programmen hätte Ursli hier einen Giftpfeil abgeschossen“

tipBerlin Wird denn die Leitidee des musikalischen Menüs durch Kostüme unterstützt?

Christoph Marti Nein, aber die Kostüme sind ganz schön unverschämt, wenn man bedenkt, dass der Abend im Grunde kein Thema hat. Wobei es sich Ursli natürlich nicht nehmen lässt, gleich zu Beginn zu sagen: „Some of you decided to dress simple.“ In früheren Programmen hätte er hier einen Giftpfeil abgeschossen. Jetzt aber sagt er: „It’s okay!“ Das ist gleichzeitig freundlich und gemein.

tipBerlin Ich habe für das Interview heute extra ein ziemlich buntes Hemd angezogen …

Christoph Marti Ich habe das sofort registriert und mich sehr gefreut!

tipBerlin Die meisten der Songs, die Sie bei der Probe eben vorgestellt haben, kannte ich nicht. Nimmt man sich da nicht den Vorteil des Wiedererkennungswertes beim Publikum?

Tobias Bonn Das stimmt. Aber die großen Gassenhauer wären hier fehl am Platze.

Christoph Marti Viele Menschen werden sich bei der aktuellen Liedauswahl fragen: „Wo habt ihr das denn her?“

tipBerlin Ja, wo haben Sie das denn her?

Tobias Bonn Das hat ja auch seinen Reiz, so eine Ausgrabung.

Christoph Marti Es gibt eine zeitliche Klammer bei der Liedauswahl: frühe 60er bis Anfang 70er. Aber es gibt auch Lieder auf Japanisch und Schwyzerdütsch.

tipBerlin Wie lange vorher beginnt das Nachdenken über eine neue Show?

Andreja Schneider Meistens Jahre zuvor. Wir haben die Angewohnheit, uns Pfistergarderoben-CDs zusammenzustellen und stoßen dafür auf Songs, die „pfisterig“ genug sind.

Christoph Marti Wir sind sehr gut darin, uns Sachen zu merken. Und da wir sehr viel zusammen auf Reisen sind, auch mit den Musikern, gibt es immer wieder Situationen, die merke ich mir. Auch für die Conférencen.

Andreja Schneider „Selbst das schrägste Lied gewinnt immer auch durch die Live-Situation“

tipBerlin Entstehen bei der finalen Auswahl der Lieder denn keine Konflikte?

Tobias Bonn Frustration kommt schon vor. Es hängt ja auch stark davon ab, was der musikalische Leiter Johannes Roloff zu einem Lied sagt, weil er die Cover-Versionen ja für uns drei- bis fünfstimmig bearbeitet. Wir haben aber Vertrauen zueinander, das Richtige zu finden. 

Andreja Schneider Und was man auch nie vergessen sollte: Selbst das schrägste Lied gewinnt immer auch durch die Live-Situation.

Christoph Marti Ich genieße unglaublich die Zeit, die wir zusammen verbringen mögen, etwa bei einem Tag in Rüdesheim am Rhein. Wir finden so einen Ort dann gleichzeitig fürchterlich und großartig. Dann höre ich eines Nachts um drei im Schweizer Radio Gus Backus mit dem Lied „Little Street In Rüdesheim“ und sage: Voilà! Und wir können dann sogar eine Geschichte dazu erzählen, die wir wirklich erlebt haben.

tipBerlin Ich liebe diese leicht angeranzte Atmosphäre an Rhein und Mosel …

Tobias Bonn Das ist ja auch etwas, das wir gerne bedienen: einen Glanz vergangener Jahre.

Die Bühnenshows der Geschwister Pfister sind stets was Besonderes. Foto: tan kadam

tipBerlin Gibt es innerhalb der Geschwister Pfister eine Hierarchie? Sind Sie gleichberechtigt?

Andreja Schneider Tobias ist der Manager, Christoph ist der künstlerische Leiter, und ich bin die Kontaktperson und bringe neue Personen ins Spiel.

Tobias Bonn Wir kennen uns einfach schon sehr lange und nehmen aufeinander Rücksicht.

Christoph Marti Jeder von uns kann jederzeit und ununterbrochen die Nerven verlieren. Wir sind oft auch verzweifelt, Tränen fließen reichlich. Was mir aber wichtig ist, und da reagiere ich sehr allergisch: Ich hasse es, wenn ich das Gefühl bekomme, dass sich jemand, der intern dazugehört, aufwerten will. Denn alle haben die allergrößte Wertschätzung zueinander.

tipBerlin Kommen wir zu Ihren Anfängen. Sie, Christoph, und Sie, Tobias, haben sich 1984 in der staatlichen Schauspielschule Bern kennengelernt.

Christoph Marti Am ersten Tag unserer Aufnahmeprüfung.

tipBerlin Haben Sie sich da schon lieben gelernt?

Christoph Marti Ich ja. Es war am 22. März 1984. Bei so einer Aufnahmeprüfung wird ja eine Weiche fürs Leben gestellt. Ich war total gestresst. Und dann habe ich Tobi gesehen, er stand da mit seinen roten Schuhen und seinem beige karierten Hemd, die Sonne schien und er war so deutsch und entspannt. Mein erster Gedanke war: Den nehmen sie! Und mein zweiter Gedanke: Den würde ich auch nehmen!

tipBerlin Max Gertsch und Lilian Naef waren auch auf dieser Schule?

Tobias Bonn Ja. Während des Studiums hat der heutige Theaterregisseur Stefan Huber mit uns vieren ein Tingeltangelprogramm einstudiert. Das wurde von der Schule nicht gerne gesehen.

Christoph Marti Die Show durfte nicht beworben werden, denn es gab im ersten Jahr ein absolutes Auftrittsverbot. Aber schließlich waren die Leute total begeistert, und die Schule hat sich dann sogar damit gebrüstet.

tipBerlin Hatte die Berner Kombo einen Namen?

Christoph Marti Die Hot Cats!

tipBerlin Herrlich! Wie ging es weiter?

Tobias Bonn Christoph, Max und Lilian hatten nach dem Studium Engagements in Berlin, ich war zuerst in Göttingen und bin dann auch nach Berlin gezogen. Und wir wollten wieder so etwas machen wie damals auf der Schauspielschule.

Christoph Marti: „Die ersten Erfahrungen am Theater waren extrem frustrierend“

tipBerlin Aber nur nebenher?

Tobias Bonn Zuerst ja, weil es eben am Theater langweilig und frustrierend war. So ist unser erstes Programm „Melodien fürs Gemüt“ entstanden.

Christoph Marti An dieser Stelle muss ich ein Zitat aus einem Film über Marlene Dietrich einstreuen. Dort sagt Maximilian Schell: „Nichts ist schmerzhafter, als sich in traurigen Zeiten an ein vergangenes Glück zu erinnern.“ Denn die ersten Erfahrungen am Theater waren extrem frustrierend. Unsere Treffen waren wie eine Therapie, wir haben wieder angefangen, Musik zu machen. Das erste Stück war „Apple Blossom Time“ von den Andrew Sisters. Lilian hat dann gesagt: „Wenn wir jetzt schon so viel Zeit investiert haben, sollten wir auch etwas daraus machen!“ Sie hat dann die ersten Auftritte in Bern organisiert. 

Tobias Bonn Der Erfolg war überraschend groß und wir haben gemerkt, dass wir davon die Miete bezahlen können.

Christoph Marti Und wir haben Leute kennengelernt wie Andreja Schneider. Sie kellnerte damals noch in der Bar „Rost“ und ist immer wieder mal auf den Tresen gestiegen, um zu singen.

Andreja Schneider Ich war zu dieser Zeit frustrierte Schauspielerin und frustrierte Kellnerin zugleich und kannte die Freundin von Max, der mich zum Programm der Geschwister Pfister einlud. Ich habe das gesehen und dachte: Geile Scheiße! Mein Vater war Jazzmusiker, wir hatten einen Plattenschrank voller Easy Listening und Closed-Harmony-Gesängen. Die Pfisters sind nach ihren Auftritten immer in meine Bar gekommen, sie hatten einen reservierten Tisch.

Christoph Marti Wir haben Andreja dann singen hören und immer öfter zu uns in die Show als Gast eingeladen.

tipBerlin Sie haben auf der Bühne genau definierte Kunstfiguren geschaffen: Ursli mit dem amerikanischen Akzent ist der Bruder von Toni mit dem Schweizer Akzent. Toni wiederum ist mit Fräulein Schneider mit dem bulgarischen Akzent verheiratet. Warum dieses Stilmittel?

Christoph Marti Weil wir auf diese Weise wunderbar mit den Bühnenfiguren spielen können. Mittlerweile trennen inzwischen alle komplett zwischen Bühne und Marke und dem, wer wir tatsächlich sind. Wir wollen privat bitte komplett unsere Ruhe haben.

tipBerlin Haben diese Kunstfiguren also immer auch eine Schutzfunktion?

Andreja Schneider Für mich hat sie vor allem eine tragende Funktion. Damit kann man viel besser etwas übertragen als mit einer privaten Person. Als Andreja Schneider würde ich nie sagen: „Ich habe zuhause eine Kuh in der Küche stehen“, wie jetzt im neuen Programm.

Christoph Marti Wir saßen zum Beispiel mal im Frühstücksfernsehen und sollten da innerhalb von zwei Minuten etwas Lustiges sagen. Thank God for the Kunstfigur! Denn ich als Ursli Pfister und du als Fräulein Schneider, wir können jederzeit einen Spruch loslassen.

Tobias Bonn Die Fernsehredaktionen dachten sich ja oft: „Wir brauchen noch etwas Lustiges, laden wir also die Geschwister Pfister in eine Talkshow ein.“ Aber mit uns als Kunstfiguren kann man über kein reelles Thema reden, das funktioniert nicht. So etwas müsste man mit uns als Privatpersonen machen. Das ist ein Dilemma.

Mut zur Farbe: „Have a Ball“ hieß die Show der Geschwister Pfister im Jahr 2002. Foto: Fokke

tipBerlin Der große „Kleinkunst“-Hype begann zeitgleich mit Ihrem Aufstieg Anfang der 1990er-Jahre. Wie haben Sie diese Entwicklung damals verfolgt?

Christoph Marti Es gab neue Spielstätten, die so jemanden wie uns auch haben wollten. Dann hat das damals neue Privatfernsehen etliche von diesen neuen Künstlern wie Michael Mittermeier oder Martina Brandl abgegriffen. Wir waren einmal mit Sissi Perlinger in einem Comedyformat zugange und haben schnell gemerkt, dass wir da fehl am Platze sind. Das, was wir meinen, funktioniert nur live auf der Bühne. Entscheidend für uns war die Bar jeder Vernunft: ein Ort als Zuhause, mit Kollegen wie Pigor und Eichhorn, Gayle Tufts, Max Raabe, Meret Becker oder Maren Kroymann. Da gab es einen Austausch, der bis heute anhält.

tipBerlin Gab es niemals Ambitionen, selbst zu komponieren und zu texten?

Christoph Marti Niemals! Denn das, was ich mit meiner Kunst meine, ist etwas, was es gibt. Man würde ja auch nie auf die Idee kommen, einen Schauspieler zu fragen, ob er nicht selber so etwas wie Shakespeare schreiben möchte. Unser Fundus an Liedern ist grenzenlos, und so begreife ich mich. Das hat auch alles mit meiner Jugend in der Schweiz in den 70er-Jahren zu tun. Ich, jung, schwul, in der Schweiz, ich wusste nicht, ob es auch noch jemand anderes gibt, der so ist wie ich und der das nicht sein soll. Da kannst du nicht anders als anfangen zu träumen. Es gab nur mich und meinen Plattenspieler. Da konnte ich sein. Es hat sich ja mittlerweile alles zum Positiven gewandelt: Ich lebe seit rund 40 Jahren mit einem höchst liebenswerten Mann zusammen, die Eltern waren alle auf der Hochzeit. Aber dennoch trage ich dieses Gefühl von damals in mir.

Christoph Marti: „Der Theaterbetrieb war damals zu hundert Prozent hetero-normativ.

tipBerlin Ein großer Aspekt in Ihrer Kunst war immer das Aufheben von Geschlechterrollen …

Christoph Marti In der Bar jeder Vernunft ging das. Die wollten das.

Tobias Bonn Wir sind von Beginn an völlig unverkrampft mit dieser Thematik umgegangen. Einer der Geschwister Pfister ist ja nun eindeutig schwul, obwohl das nie ausgesprochen wird.

Christoph Marti Vor der Premiere unseres allerersten Programms wollten wir die Reaktion des Publikums testen und haben vor der Gedächtniskirche in Kostümen gesungen. Ich hatte eine Höllenangst, dass ein Kollege vom Schiller-Theater um die Ecke biegt und sagt: „Das kannst du auf keinen Fall machen, dich hier so zu präsentieren.“ Der Theaterbetrieb zu dieser Zeit war zu hundert Prozent hetero-normativ. Schwulsein war kein Thema, außer es wurde problematisiert, dann durfte es stattfinden. Jeder zweite Regisseur hat zu mir gesagt: „Christoph, du musst männlicher werden, sonst wird das nichts.“

tipBerlin Wie nehmen Sie die derzeitige Genderdebatte wahr?

Christoph Marti Ich lese gerade das „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon. Ich erkenne die literarische Qualität durchaus und identifiziere mich sehr mit Ort und Handlung. Das ist faszinierend. Auf der anderen Seite ist diese gendergerecht geschriebene Sprache wahnsinnig anstrengend zu lesen, man braucht fast eine Gebrauchsanweisung.

Andreja Schneider Meine grundsätzliche Haltung ist (mit bulgarischem Akzent): „Eine deutsche Sprache ist eine schwierige Sprache.“ Eine Sprache muss lebendig bleiben, sie muss sich erneuern. Aber man sollte sich immer über das Patriarchale einer Sprache bewusst sein, gerade im Deutschen.

Tobias Bonn Ich gendere manchmal, wenn ich an eine größere Gruppe von Menschen schreibe, die ich nicht alle gut kenne. Im täglichen Gebrauch und beim Sprechen mache ich das nicht, das ist einfach zu umständlich. Die Diskussion darüber ist aber gut und notwendig, sonst wäre sie ja auch nicht so aufgeregt.

tipBerlin Welche Rolle spielt Berlin für die Geschwister Pfister?

Tobias Bonn Ganz pragmatisch ist Berlin zuallererst der Ort, wo wir bis heute die besten Auftrittsmöglichkeiten haben.

Christoph Marti Für mich bedeutete Berlin von Beginn an die Abwesenheit von allem, was ich zuvor kannte: meinen ganzen Schweizer Background. Wenn ich mir heute ansehe, was wir alles an Legende und Erfindung kreiert haben, wäre das außerhalb von Berlin nicht möglich gewesen.

Andreja Schneider Ich bin in der Nähe von Köln in einem Ort namens Bergheim aufgewachsen. Mein Wunsch damals war: Ich will einfach groß leben! Ich will an einem Ort sein, wo es ganz viele interessante Menschen gibt und ich ganz viel Abenteuer erleben kann. Und das war für mich Berlin, der Ort, wo man das Flirrende teilen kann.

Tobias Bonn Ich lebe gerne in Berlin und möchte auch nirgendwo anders leben. Auch weil ich diese Stadt schön finde und weil ein historischer Wind hier um jede Ecke weht.

Andreja Schneider Ich habe vor meinem Umzug nach Berlin eine Zeitlang in Münster gelebt und wusste, hier will ich nicht bleiben. Daraufhin habe ich mir am Kiosk die neueste Ausgabe des tip gekauft und dort in den Kleinanzeigen meine erste Wohnung in Berlin in der Beusselstraße 70 gefunden.

  • „Relaxez-Vous!“ in der Bar jeder Vernunft Schaperstr. 24, Wilmersdorf, Termine und Tickets hier

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