Früher lernte man Nähen in der Schule, zu jedem Haushalt gehörte eine vernünftige Nähmaschine. Denn bezahlbare Modekollektionen von der Stange gab es zu Omas Zeiten nicht. Später machte günstige Massenware den komplizierten Schnittmustern und oft öden Stoffen nicht nur Konkurrenz, sie machte ihnen sozusagen den „Garn aus“. Der Nähunterricht in der Schule wurde abgeschafft.
Seit einigen Jahren aber lässt sich eine neue Entwicklung beobachten: Nähen wird wieder en vogue. Wie inspirierend vor allem gemeinsames Nähen ist, veranschaulicht die in Berlin produzierte Web-Serie „Vernäht und Zugestrickt“, die auch in 22 bundesdeutschen TV-Regionalsendern zu sehen ist. Unter Anleitung von Claudia Weiler, Inhaberin der Kreuzberger Szene-Boutique Killerbeast, werden dort nicht nur drei ambitionierte Nähnovizen in die Finessen von Steppfüßchen oder Reversherstellung eingewiesen. Es entspinnen sich, ähnlich den Kochsendungen, auch regelmäßig interessante Gespräche, die das bloße Hobby weit hinter sich lassen.
Auch Ruth-Janessa Funk bemerkt das neu erwachte Interesse am Nähen. Ihre vor einem Jahr eröffnete Fashion School For Kids war eigentlich eine Mode- und Nähschule speziell für Kinder. Seit einiger Zeit bietet sie aber auch Abendnähkurse für Erwachsene an. Funk: „Viele Mütter finden es schön, was die Kinder bei uns machen, können aber selber nicht nähen.“ Im Kurs lernen sie, das zu schneidern, was ihnen gefällt: Taschen, Röcke, Hosen oder Kleider.
Dass Nähen wieder „salonfähig“ ist, stellte auch Sara Stratmann fest. Die gebürtige Schwedin betreibt den Kinderstoffladen Trollinge in Friedenau. Zu ihrer Kundschaft zählen vor allem junge, modebewusste Frauen bis Anfang 40. Aber „es gibt auch ältere Frauen, Tanten, Omas, Opas, Väter und Mütter, die Wert auf besonderes Design legen“. Sara Stratmann: „Im Kern geht es darum, eigene Ideen und den individuellen Geschmack umzusetzen.“
Tanja Gehrmann vom Stoff- und Nähladen Frau Tulpe sagt: „Ein Stück Stoff ist wie ein unbeschriebenes Blatt – man kann damit unglaublich viel machen.“ Sie warnt allerdings davor, dem Kaufreiz beim Anblick von sehr bunt gemusterter Ware zu erliegen. Denn die eignet sich meist nur für schlichte Schnittmuster. Für raffinierte Schnitte empfiehlt sie dezente Stoffe: „Ein glockiger Rock aus acht Bahnen kommt nicht zur Geltung, wenn das Auge durch aufgedruckte Äpfel, Bananen und Kirschen abgelenkt ist.“
Je komplizierter der Schnitt, desto schwieriger die Umsetzung. Eine Alternative zu den oft Monate vorher ausgebuchten Nähkursen der diversen Stoffläden oder Nähschulen bietet das Nähcafй Stitch’n Bitch: Hier gibt es stets einwandfrei funktionierende Nähmaschinen, die man für fünf Euro in der Stunde mieten kann – Rat von Cafйbetreiberin Linda inklusive. „Manch eine Kundin muss ich erst vom Trauma der alten Nähschule befreien. Bei mir geht es ganz locker zu“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Mit der Frage: „Wie nähe ich ganz schnell ein schönes Röckchen, wenn ich heute abend noch feiern gehen will?“ ist man bei ihr also genau an der richtigen Adresse. Nähen soll schließlich Spaß machen.
Text: Jana Marie Schwarz
Fashion School For Kids Sybelstraße 59, Charlottenburg,
Tel. 71 53 71 77 oder 54 71 05 50, www.fashionschoolforkids.de
Frau Tulpe Veteranenstraße 19, Mitte, Mo-Fr 10-20 Uhr, Sa 12-18 Uhr, www.frautulpe.de
Killerbeast Schlesische Straße 31, Kreuzberg, Mo 15-19.30 Uhr,
Di-Fr 12-19.30 Uhr, Sa 11-16 Uhr, Tel. 99 26 03 19, www.killerbeast.de
Nach Absprache veranstaltet Claudia Weiler (meist samstags) Näh-Workshops
Nähraum Senefelder Straße 9, Prenzlauer Berg, Mo-Do 10-17 Uhr,
Fr 10-15.30 Uhr, Sa 10-13 Uhr (plus zusätzlicher Kurs- und Nähtreffzeiten),
Tel. 66 30 36 58
Stitch ’n Bitch Wrangelstraße 80, Kreuzberg,
Di-Fr 13-22 Uhr, Sa 13-20 Uhr, www.linkle.de
Trollinge Varziner Straße5, Friedenau, Mo-Sa 10-13.30 Uhr,
Mo+Di, Do+Fr 15-18.30 Uhr, www.trollinge.de