Coco Schumann wurde 1924 als Heinz Jakob Schumann in Berlin geboren, er entdeckte im Teenageralter die von den Nazis als „Negermusik“ verbotene Jazz- und Swing-Musik für sich. Im März 1943 deportiert, wurde er in Theresienstadt Mitglied der Lagerkapelle Ghetto-Swingers, die im KZ buchstäblich um ihr Leben spielten. Ende April von den Amerikanern befreit, kehrte er nach Berlin zurück, seine Heimatstadt bis heute.
tip Coco Schumann, wie haben Sie das Kriegsende erlebt?
Coco Schumann?In äußerst schlechter Verfassung. Ich hatte eine üble Odyssee hinter mir. Von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau, von dort nach Kaufering, ein Außenlager von Dachau. Zum Schluss auf einen Todesmarsch in einen Talkessel hinter Pasing, in dem schon die Maschinengewehre bereitstanden, um uns den Rest zu geben. So weit kam es nicht: Eines Tages war die SS weg. Panzer knatterten vorbei. Deutsche Einheiten, die sich zurückzogen. Und irgendwann kamen die mit dem Stern – Amerikaner. Aus einem Panzer stieg ein evangelischer Geistlicher aus. Der segnete dann uns Häufchen Juden!
tip Sind Sie dann sofort nach Berlin zurückgekehrt?
Coco Schumann Nein, ich hatte mir auf dem Todesmarsch Flecktyphus eingefangen. So wäre ich am Ende nach der Befreiung fast doch noch krepiert. Ich kam ins Lazarett Föhrenwald in Wolfratshausen und war tagelang im Fieberwahn. Ich sah meine Eltern auf einer Wiese stehen und nach mir rufen. Dann schlug ich die Augen auf und sah ins Gesicht einer Krankenschwester. Es waren ungarische Krankenschwestern, die mich gesund gepflegt haben. Andere Häftlinge brachten mir eine Wandergitarre mit, die sie in einem leer stehenden Haus gefunden hatten. Diese Gitarre hat mich dann nach Berlin begleitet.
tip Wie war das Wiedersehen mit der Familie?
Coco Schumann Meine jüdische Mutter hatte, nachdem sie der Gestapo entwischt war, zusammen mit meinem „arischen“ Vater in den Wäldern Schlesiens überlebt, bis sie von den Russen befreit wurden. Aber meine Großeltern waren ebenso wie viele Tanten und Großtanten, Großonkels und Cousinen von den Nazis umgebracht worden. Als ich in Berlin eintraf, war ich erst bei meinem Onkel Max, der in einer Laubenkolonie in Pankow versteckt gewesen war. Der brachte mich mit einer Pferdekutsche nach Halensee, wo mein Vater schon wieder eine Polsterei aufgebaut hatte. Meine Mutter hielt mich in den Armen und weinte stundenlang.
tip Was für einen Eindruck machte die Stadt auf Sie?
Coco Schumann So hatte ich Berlin nicht zurückgelassen, als man mich im März 1943 nach Theresienstadt deportierte. Ich hatte zwar schon die ersten Bombenangriffe miterlebt, aber Berlin in diesem Mai 1945 war eine einzige Trümmerwüste. Ich ging über den Ku’damm, überall Brandruinen und Schutthalden, nur die Straßenbahn fuhr schon wieder, die 76er. Und dann, das war Nähe Uhlandstraße, hörte ich Musik, vertraute Musik. Und siehe da – da hatte jemand schon einen Musikclub aufgemacht: die Ronny Bar. Und all meine Freunde und Musikerkollegen, Bully Buhlan zum Beispiel, saßen da und spielten Swing! So wie früher im Groschenkeller oder in der Rosita Bar.
tip Wie war das Wiedersehen? War es nicht schwer, mit deutschen Musikern zusammenzuspielen, nach allem, was Ihnen passiert ist?
Coco Schumann Die hatten alle gedacht, ich sei tot, und haben mich angeschaut wie ein Gespenst. Aber wenn mich einer fragte, was los war, wie es mir ergangen ist, wollte ich nicht darüber sprechen. Ich habe einfach nur „So so“ gesagt … Theresienstadt, Auschwitz, Dachau! Ich konnte ihnen nicht erzählen, was ich erlebt habe – und wollte es auch selbst aus dem Kopf bekommen: das Bild der Kinder, die mich angeschaut haben, während ich für sie „La Paloma“ auf dem Weg ins Gas spielen musste.
tip Aber die Musik hat Sie alle wieder zusammengebracht?
Coco Schumann Ja, über den Jazz haben wir uns kennengelernt, der Jazz hat uns zusammengehalten. Auch etwas später, als Helmut Zacharias wieder da war. Er war in Deutschland berühmt wie ein bunter Hund – durch seine Swing-Musik auf den Soldatensendern. Die durfte dort gespielt werden. Mit ihm bin ich dann wieder auf Tour gegangen, mit einer Roger-Gitarre im Gepäck: Wir haben „Honeysuckle Rose“ von Fats Weller gespielt und „Summertime“ aus der Aufnahme von Sidney Bechet. Mit „Summertime“ bin ich in die Nachkriegszeit gerutscht.
Interview: Karl-Hermann Leukert
Foto: Harry Schnitger / tip Bildarchiv
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