Die Passionsgeschichte als farbenfrohes Rockmusical: Andreas Homoki inszeniert Andrew Lloyd Webbers und Tim Rice’ Frühwerk „Jesus Christ Superstar“ in einem Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Der eigentliche Star ist aber nicht der Heiland, sondern die Musik.

Komische Oper Berlin eröffnet mit „Jesus Christ Superstar“ ihre Spielzeit am Flughafen
Bereits zum dritten Mal eröffnet die Komische Oper Berlin ihre Spielzeit im Hangar 4 des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Philipp Stölzl, der in Berlin regelmäßig an der Deutschen Oper und der Staatsoper Unter den Linden inszeniert, gestaltete das Bühnenbild, das gleichermaßen an ein antikes Freilufttheater und eine Rockarena erinnert. Die Zuschauer:innen sitzen erhöht zu drei Seiten und blicken auf eine Bühne, die den Raum zur Hälfte teilt und zu einer Showtreppe führt, die eine Rückwand säumt. Auf der Erhöhung befindet sich eine Band, deren Kostümierung und Perücken an den Sleaze Metal der 1980er-Jahre erinnern. Hinter den Rockmusikern spielt das Orchester unter der Leitung von Koen Schoots.
Das zu Beginn des Abends auf der unteren Bühne befindliche, opulente Kreuz mit zahlreichen weißen Glühlampen entschwindet rasch nach oben, und 350 Statist:innen strömen in den Raum. Anders als bei „Das Floß der Medusa“ und „Messias“ kommt diesmal nicht dem Chor, sondern einem Ensemble aus Tänzer:innen eine wichtige Rolle zu. Ihre Kostümierung mit langen Gewändern scheint von Hollywood-Monumentalfilmen der 1950er- und 1960er-Jahre inspiriert zu sein. Die Euphorie der Anhänger:innen des noch abwesenden Jesus konterkariert Judas (Sasha Di Capri) – muskulös, langhaarig und mit kratzigem Timbre. Er zweifelt daran, dass es sich bei Jesus um Gottes Sohn handelt.

Jesus mit wallender Mähne
Der junge US-amerikanische Broadway-Star John Arthur Greene verkörpert Jesus. Er erscheint, ganz in Weiß gekleidet, mit wallender Mähne. Die Männer und Frauen sind nun kaum noch zu halten; sie jubeln ihm begeistert zu wie einem Rockstar. Doch dieser kann mit seiner Rolle nichts anfangen – Greene spielt das überzeugend. Seine Haltung wird durch präzise Mimik und eine ablehnende Körperlichkeit deutlich – noch bevor er warnt, in religiöser Verzückung das Hier und Heute zu vergessen. Ebenfalls stimmlich begeistert Maria Magdalena (Ilay Bal Arslan), die Jesus ein Schlaflied singt. Die Prostituierte trägt ein rotes, eng anliegendes und hochgeschlossenes Kleid.
Die durch Bühnenbild und Band suggerierte Verbindung von biblischer Geschichte und Rock-Business wird größtenteils nicht eingelöst. Regisseur Andreas Homoki, der die Komische Oper bis 2012 und bis zum Sommer dieses Jahres das Opernhaus Zürich leitete, bleibt eng bei den letzten sieben Tagen Jesu, wenngleich weitere Figuren wie Herodes – großartig verkörpert von Jörn-Felix Alt – mit langer violetter Schleppe scheinbar das Blitzlicht suchen und sich einer überdrehten Selbstinszenierung hingeben.
Pontius Pilatus (Kevin(a) Taylor Walker) trägt eine goldene Fantasieuniform, deren Schnitt an blutrünstige Diktatoren erinnert. Doch fast verzweifelt versucht er, Jesus zu retten. In der Tat regierte der römische Präfekt in Judäa mit harter Hand, setzte aber auch auf Deeskalation. Die Massen, die die Exekution („Kreuzigt ihn“) fordern, versucht er mit der Auspeitschung Jesu zu beruhigen. Diese wird stilisiert durch Pyroeffekte dargestellt; ohnehin verzichtet die Ausstattung auf klassische Symbole wie Dornenkrone oder Jesus am Holzkreuz.

Stattdessen wird er mit einem pinken Umhang auf einer Sänfte getragen; er wirkt steif, fast wie ein Objekt. Die einstigen Anhänger:innen feiern. Klatschend animieren sie das Publikum, mitzumachen – ein beklemmender Moment. Dann knallt die Konfettikanone, und gelbe Papierschnipsel regnen in den Bühnenraum.
„Jesus Christ Superstar“ ist akustisch beeindruckend – und ziemlich laut
Letztlich verzichtet die Inszenierung auf eine neue Lesart und auf eine allzu starke Psychologisierung – das liegt auch an der Vorlage: „Jesus Christ Superstar“ war vor der ersten szenischen Umsetzung 1971 ein Konzeptalbum. Das erklärt die fehlenden Dialoge zwischen den Songs, die zum Teil nahtlos ineinander übergehen. Die Musik ist der Star des Abends: perfekt gespielt und akustisch in der monumentalen Halle beeindruckend. Nach dem Schlussapplaus wird aber auch deutlich, wie laut sie ist. Das gedämpfte Hören hallt lange nach.
- Flughafen Tempelhof – Hangar 4 Columbiadamm 10, Tempelhof, Premiere war Fr 19.9. weitere Termine: 27.9., 28.9., 30.9., 1.–5.10., 7.–9.10., jeweils 19.30 Uhr, Karten 35 bis 79 €, mehr Infos und Tickets hier
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