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Musikfest Berlin

Rebecca Saunders im Interview: „Ich bin nicht schnell. Ich beneide die noch Langsameren.“

Rebecca Saunders, geboren 1967 in London, studierte Komposition und Violine. 2019 wurde sie mit einer der wichtigsten Musik-Auszeichungen, dem Ernst-von- Siemens-Musikpreis geehrt. Das Musikfest Berlin würdigt die Britin mit einem Werk-Porträt. Im Interview mit tipBerlin-Autor Kai Luehrs-Kaiser spricht Rebecca Saunders über Samuel Beckett, die Wirkung des Lockdowns auf die Musik – und sie verrät, weshalb sie keine Opern schreibt.

Die preisgekrönte britische Komponistin Rebecca Saunders lebt in Prenzlauer Berg. Foto: Astrid Ackermann
Die preisgekrönte britische Komponistin Rebecca Saunders lebt in Prenzlauer Berg. Foto: Astrid Ackermann

tipBerlin Frau Saunders, von Ihnen werden beim Musikfest sagenhafte 16 Werke aufgeführt. Ein Drittel von allem?!

Rebecca Saunders Tatsächlich, ich schätze, mein Gesamtwerk umfasst etwa 75 Werke. Mit dem Nummerieren habe ich nie angefangen, denn man müsste bewusst entscheiden, welches op. 1 sein soll. Jedes Werk ist ein eigenes Universum. Es sollte mit Vorsicht benannt, aber nicht durchgezählt werden.

Viele Briten sagen, dass Ihnen in Ihrer Heimat der Minderwertigkeitskomplex eingetrichtert wird, musikalisch ein „Land ohne Musik“ zu sein. Ihnen auch?

Es ist wahr, dass ich weg wollte. In Edinburgh, wo ich studiert habe, bekam ich glücklicherweise ein Stipendium, mit dem ich nach Karlsruhe gehen konnte. Ich hatte eine Kassette mit Musik von Wolfgang Rihm gehört, das hat mich irgendwie ergriffen. Ich fuhr mit dem Auto über Frankreich hin.

tipBerlin Was haben Sie dort gelernt?

Rebecca Saunders Den Sinn für Farben sowie die Bedeutung von Emotionalität und Gestik. Musik muss immer auf den Raum reagieren. In Großbritannien hatte ich das Gefühl, mir fehlt etwas, da ich keine melodische Linie schreiben wollte.

„Erschöpft, würde ich sagen, ist gar nichts, auch nicht die Melodie“

tipBerlin Glauben Sie, dass die Melodie überholt ist?

Rebecca Saunders Erschöpft, würde ich sagen, ist gar nichts, auch nicht die Melodie. Einen starken Grund, in der Gegenwart eine Melodie zu schreiben, finde ich aber auch nicht. Jeder, der etwas schafft, versucht einen neuen Rahmen für etwas zu finden, das schon da ist.

tipBerlin Es gibt kaum abendfüllende Werke von Ihnen. Warum nicht?

Rebecca Saunders Ich weiß nicht genau. Ich habe schon mal ein Stück von 85 Minuten geschafft – und mehrere von einer Stunde Dauer. Ich bin nicht schnell. Ich beneide die noch Langsameren.

tipBerlin Sie bewundern Samuel Beckett, zu dem Sie auch Musik komponiert haben. Was ist Becketts bestes Werk?

Rebecca Saunders Vielleicht die Novelle „Company“ und sein letztes Prosastück „Stirrings still“. Knappe Sachen. Meine Musik habe ich für einen Film von Gerhard Richter und Corinna Belz komponiert.

tipBerlin Warum schreiben Sie nicht mal eine Oper?

Rebecca Saunders Die Arena reizt mich nicht. Solo-Stücke sind mir opernhaft genug.

tipBerlin Sie dirigieren auch nicht.

Rebecca Saunders Ich habe eine Familie und eine Professur in Hannover. Ich komme auch so gut durch.

„Es ist gleichwohl erschütternd, wenn sich die Welt plötzlich nicht mehr dreht“

tipBerlin Wie hat Ihre Arbeit auf den Lockdown reagiert?

Rebecca Saunders Ich war in diesem Zimmer, die ganze Zeit. Alle Werke seit 23 Jahren habe ich in diesem Zimmer komponiert. In Klausur. Es ist gleichwohl erschütternd, wenn sich die Welt plötzlich nicht mehr dreht. Ich muss sagen: Es gab in dieser Situation zwei Sorten von Menschen: mit Familie und ohne Familie.


Rebecca Saunders’ Werke beim Musikfest Berlin

  • Philharmonie Berlin, Herbert-von-Karajan-Straße 1, Tiergarten, 9.9., 11.9, 14.9 (, 22.9., 10-36 €, Programm und Tickets: www.berlinerfestspiele.de

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