Diese Stadt ist nicht mehr das, was sie mal war“, beschwert sich jemand im U-Bahnhof. Und weil auch mein Bindegewebe nicht mehr das ist, was es mal war, hätte ich ihm fast zugerufen: „Ja, und? Ansonsten sind wir doch noch spitzenmäßig drauf, verdammte Best Ager sind wir!“
Denn bei allen Abnutzungserscheinungen – rechtes Knie und Brillenbedarf bei mir, Wohnungsnot und Nahverkehrsproblematik in Berlin – funktioniert diese Stadt als ewige Wundertüte für Entdeckungen aller Art. So kann ich seit fast 20 Jahren über die Event-Auswüchse des hauptstädtischen ADHS-Syndroms berichten. Und weil nun auch noch ein offizieller Frauen-Feiertag hinzukommt, reise ich nach Neukölln, um mental schon mal vorzuglühen: bei „Multispaß für Ladies“ (sic!). Ich erwarte noch nie erlebtes Entertainment, nämlich die angekündigte Symbiose aus Yoga und Kosmetik für null Euro. Programmpunkte sind die Herstellung einer Beauty-Gesichtsmaske sowie eine Gesprächsrunde über gesunden Lebensstil. Gastgeber ist der Polnische Sozialrat e.V., und da ich schon gute Erfahrungen mit polnischen Kollegen gesammelt habe, halte ich dies für ein super Omen. Mit Beata jobbte ich in den frühen 90-ern in dieser Boutique für nuttige Klamotten am Ku’damm. Beata sprengte meinen musikalischen Horizont, indem sie mich zu meiner ersten „GI-Disco“ überhaupt mitnahm. Sie hatte den besten Black-Music-Geschmack, den man sich nur denken kann, doch leider entdeckte ich nur eine Woche später Techno, und Black Music versank in der persönlichen Bedeutungslosigkeit – bis heute! Die Erinnerung kehrt zurück, als ich in Neukölln eintreffe und die „Rix Box“, eine mobile Kaffeestation, mit diesem unfassbaren Black-Music-Update den Alfred-Scholz-Platz beschallt, ein Mix aus Trap, Funk und HipHop. Das Leben auf der Straßenkreuzung gerät zu einer Art Live Musical und ich säße vermutlich immer noch mit meinem Kaffee da, würde nicht 30 Meter weiter der besondere Event beginnen, für Menschen wie mich: Frauen.
„Hallo!“, grüße ich in die Runde, bestehend aus einer polnischen Geologin, einer tschechischen Studentin, einer syrischen Geschichtslehrerin, Alexandra aus Kreuzberg und einer Altenpflegerin aus Polen. Kurz darauf liegen wir in Leggins auf Matten, während einzelne Körperteile von Alexandra aufgefordert werden, ganz „eeeent- spannt“ zu sein. Aus den Ecken des Raumes erklingen internationale Stoßseufzer. Das anschließende Gespräch über gesunden Lebensstil schweift etwas aus. Es geht um Hitler, den Mauerfall und Gentrifizierung.
Am Ende werden wir albern, und statt Gesichtsmasken aufzutragen, imitiert die syrische Geschichtslehrerin den Gang eiliger Berliner. Zudem beklagt die Geologin das Fehlen von deutschen Restaurants in Neukölln. „Das kann dir in Brandenburg nicht passieren!“, werfe ich ein. Deshalb sind wir fürs nächste Mal zum Ladys-Spaß in der Brandenburger Version verabredet.
In Neukölln ist es dann am 22. Februar wieder soweit. Das Angebot in der Stadt ist nämlich auch nicht mehr das, was es mal war. Es ist noch viel besser.