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Disgusting Food Museum Berlin: Wo Milben milde munden

Das neu eröffnete Disgusting Food Museum Berlin stellt, wie der Name schon sagt, eklige Gerichte aus aller Welt aus. Eine Schlachteplatte für den Geschmack. Aber Ekel ist immer Ansichtssache. Wir haben uns dort umgesehen. Und unter anderem Milbenkäse und Mehlwürmer probiert. Aber der Ekel-Hammer war ein anderer.

Die „mongolische Bloody Mary“ guckt ganz munter. Foto: DFM Berlin 2021

Disgusting Food Museum: Was ist das? 

Wie der Namen schon sagt: ein Museum für ekliges ­Essen (und auch Getränke) aus aller Welt. Es geht um Geschmacksgrenzen und -horizonte. In den Räumen unweit vom Checkpoint Charlie residierte übrigens zehn Jahre lang ein Weniger Disgusting Food Museum: jenes für die Currywurst.

Der Ekel in der einen Region der Welt ist der Genuss in der anderen. Wie die „mongolische Bloody Mary“: Schafsaugen in Tomatensaft, ein traditionelles Katerheilmittel, zumindest in der Mongolei. In Schweden schwört man auf den „Surströmming“, einen sechs Monate lang in Salzlake vergorenen Ostseehering von unfassbarem Gestank. Die Dose, in der der Fisch lustig weiter gärt, sollte man nie, nie, nie in geschlossenen Räumen öffnen. Und das „Berliner Schnitzel“ ist der abgerockte kleine Bruder des Wiener Schnitzels (aus Kalb). Es besteht aus einer Scheibe vom Kuheuter. Wohl bekomm’s.

Vorbild und Franchise-Geber für die Einrichtung der philoscience gGmbH mit Sitz in Nürnberg ist das Disgusting Food Museum in Malmö. Als Eintrittskarte des Museum gibt’s übrigens eine Kotztüte.

Disgusting Food Museum: In der Mitte ist Platz für Veranstaltungen. Foto: DFM Berlin 2021

Wie siehtʼs im Disgusting Food Museum aus? 

Clean, offen, fast arty. Ein großer, offener Raum mit weiß getünchten Säulen. Am Eingang geben großformatige Tafeln an Säulen einen, nun ja, Vorgeschmack. Auf einer Tafel steht ein Satz von Marcus Herz, einem deutschen Arzt und Aufklärer aus dem späten 18. Jahrhundert: „Der Ekel tötet alle Ideen von Schönheit.“ Eine andere Tafel ruft geradezu: „Ekel bildet! Ekel schmeckt.“ In Großbuchstaben. Ich beginne mich zu fragen, ob es eine gute Idee war, ohne Frühstück zum Termin mit Museumsdirektor Martin A. Völker nach Mitte herzukommen.

Zwischen dem Merch-Shop auf der linken Seite – mit Grillen (5,99 Euro), Insektenlutschern (2,99 Euro), „Das Insekten-Kochbuch“ (19,99 Euro) – und der „Tasting Bar“ für die finalen Kotz-, äh, Kostproben auf der rechten Seite geht es zur Ausstellung. Die rund 90 Expo­nate sind auf Metalltischen überaus kunstvoll zu einem Rundgang des Ekels arrangiert: teils echt, teils nachgebaut, teils in Dosen. „Wir verstehen uns als Punkband unter den Berliner Museen“, sagt Völker, ein Kulturwissenschaftler, Autor, Ästhetiker.

Der Pandemie-Tisch mit dem Baby-Pangolin

Als erstes lockt ein „Corona-Tisch“ mit thematischem Pandemie-Food. Das Baby-Schuppentier im „Pangolin-Stew“(Ghana) ist immerhin nicht echt, sondern eine Nachbildung. Bekanntermaßen galt das Pangolin zu Beginn der Pandemie als möglicher Überträger des Sars-Cov-2-Virus. Neben Fledermäusen. Die werden auf dem Corona-Tisch mit einer Fledermaus-Suppe (Guam) repräsentiert. Da kommt der Genuss gleich mal an seine Grenzen.

Das dritte pandemische Exponat auf dem Tisch stammt sogar aus Berlin: eine Pulle „Mampes bittere Tropfen“, erfunden 1852 gegen die Cholera. Kann dann ja wohl gegen Corona zumindest nicht schaden. Direktor Völker erläutert: „Schmeckt wie Knüppel auf den Kopf.“ Er muss es wissen. Ist ja auch eine Einstellungsvoraussetzung für Mitarbeiter:innen: „Die müssen wissen, wie das alles schmeckt. Falls die Gäste fragen.“

Exponat „Habuschu“ aus Japan: desillierter Reiswein mit Habu-Schlange. Angeblich wirkt die Schlange wie ein Aphrodisiakum. Foto: DFM Berlin 2021

Das Defilieren durchs Museum fühlt sich an wie ein brechreizender Foodmarkt: schwedischer „Bävergäll“-Schnaps aus mehrere Wochen in Alkohol eingelegter Biber-Analdrüse, chinesischer Reiswein mit ertränkten Babymäusen in einem großen Glasgefäß, gebratene Vogelspinne aus Kambodscha. Das angebrütete Ei aus China duftet sogar durch die FFP2-Maske aasig.

Wenn man seinen Geruchsnerven mal etwas richtig Schlechtes tun will, arbeitet man sich durch den „Altar of Stinky Cheese“. Klingt wie der Titel eines Monty-Python-Sketches, ist aber auch eine Art Corona-Test. Wer etwa unter den fünf Geruchsproben den Käse namens „Stinking Bishop“ aus Großbritannien nicht wahrnimmt, kann eigentlich direkt zum nächsten PCR-Test marschieren. Ohne Umweg über die Schnelltests, für die wir einen eigenen Blog haben. Bei einer Covid-19-Erkrankung verabschieden sich bekanntlich besonders oft Geruchs- und Geschmackssinn.

Die Gräßlichkeiten aus aller Welt sind nach Produktgruppen sortiert, nicht nach Herkunftsländern. Überhaupt gehe es nicht darum, andere Länder in ihren mitunter für uns bizarren Ernährungsvorlieben vorzuführen, erklärt Völker. Vielmehr zeigt das Museum, dass sich zu vielen internationalen Herausforderungen für den Geschmackssinn auch deutsche Entsprechungen finden lassen.

Zum sardischen „Casu Marzu“ – Pecorino-Käse mit Maden von Käsefliegen, der in der gesamten EU verboten ist und deswegen auch nicht in unserer Liste mit Berliner Käsespezialisten auftaucht – hat man hier deshalb zum Beispiel den „Würchwitzer Milbenkäse“ beigelegt, eine handgemachte Delikatesse aus Deutschland, die mit dem Kracherslogan „Der lebendigste Käse der Welt“ wirbt. Dazu später mehr.

Die Maden des „Casu Marzu“ werden übrigens jeden Abend einzeln abgesammelt und ins Kühlfach verlegt. Man muss dabei ein bisschen aufpassen. Die Maden können erstaunlich hoch springen. Nicht gut für die Augen. Unter anderem. Da möchte man wirklich nicht nach Dienstschluss der Letzte am Arbeitsort sein.

Disgusting Gäsestopfleber im Museum

Manchmal stellt sich der Ekel beim Anblick ein, manchmal beim Blick auf die Zutaten, manchmal auch durch den Produktionsprozess. Gänsestopfleber mundet beispielsweise vermutlich deutlich weniger, wenn man im Museum das Video gesehen hat, bei dem Gänsen das Futter brutal mit einem maschinellen Trichter in den Hals gepresst wird. Ein anderes Video von einem Hundemarkt in Indonesien, gedreht von einem Tierschutzverein, ist auch ein ziemlicher Schlag in die Magengrube.

Und da haben die Eingeweide noch einige Bewährungsproben vor sich. Vom peruanischen Frosch-Smoothie über gebackenes Meerschweinchen, auch aus Peru, bis zu Stinkwanzen aus dem südlichen Afrika. Martin Völker sagt: „Unser kulinarischer Horizont ist eigentlich sehr klein, der könnte viel größer sein.“

Na ja. Die einen sagen so, die anderen so.

Selfie-Wand im Disgusting Food Museum. Ein paar erfundene Ekel-Dosen hat das Museum eingeschmuggelt. Spoiler: „Tote Oma“ gibt es wirklich. Foto: DFM Berlin 2021

Der Ekeltest für daheim: „Disgust to go“

Der Rundgang endet normalerweise an der „Tasting Bar“, oder wie Völker es formuliert, „bei den Cheerleadern des schlechten Geschmacks, vom Klein- zum Großkäfer“. Die ist derzeit Corona-bedingt zu, es dürfen eben keine „Verweil-Orte“ geschaffen werden. Stattdessen bekommt man Proben nach Hause mit: „Disgust to go“.

Weil wir an diesem Tag allein im Museum und beide getestet sind, darf ich trotzdem ein paar Proben verkosten. Beziehungsweise: Ich soll. Ich muss. Eine Tafel an der Seite, überschrieben mit „Wall of Disgust“, verbreitet große Vorfreude: „Today‘s Special-DISGUST: Hàkarl, Milbenkäse, Salt Licorice, Heimchen“. Das kann ja heiter werden.

Der Würge-Test: Angriffskrieg in der Mundhöhle

Zum Start ein Schlückchen „Salgam Suyu“, das ist türkischer fermentierter Rübensaft, den man auch in Berlin bekommt, wenngleich eher im türkischen Supermarkt als in einer der schönen Berliner Strandbars. Schmeckt überaus, nun ja, intensiv. Weiter mit der australischen Gemüsepaste „Vegemite“, die auch erstaunlich gut ist. Dann dreht Völker den Ekel-Regler ein bisschen höher. Er reicht mit einem kleinen Spieß ein Stückchen „Hàkarl“ über die Bar und ermuntert: „Riecht wie ein Dixiklo auf einem Festival.“ Stimmt, ich erinnere mich dunkel. Nase zu und durch. Schmeckt fischig, das war ja klar, aber auch deutlich besser, als es riecht. Die Kehle zieht sich allerdings zusammen, als wollte sie sagen: Nicht mit mir, Freundchen.

Weiter mit dem „Würchwitzer Milbenkäse“: sehr milde, ein Hauch von Dung. Gar nicht übel. Man muss nur abstrahieren, dass der Staub darum eben aus Milben besteht. Die Buffalo-Würmer und die Heimchen-Grillen: beide crunchy, keksig, trocken. Der Likör „Bibergeil“ aus Brandenburg: so waldwürzig, dass man sofort eine märkische Kiefer niedernagen möchte. Die Junikäfer kommen zum Glück nicht aus der EU, dürfen deswegen nicht verkostet werden. Völker zerbröselt einen. Der ist innen nicht flüssig, wie man denken könnte, sondern auch staubig, nur nicht milbenstaubig, eher wie ein sehr feiner Sandkasten. In dem man aber auch nicht seine Kinder wühlen sehen möchte.

Der Hammer aber ist die Lakritze aus Island: salzig, penetrant, und scharf wie Hölle, Hölle, Hölle. Der durchdringende Geschmack will gar nicht mehr weichen. Nach einem Biss muss ich feststellen: Würgt schon.

Diese durchgeknallte Lakritze führt sich im Mund auf wie ein Angriffskrieg. 

  • Disgusting Food Museum Berlin Schützenstr. 70, Mitte, Fr–Di 11–19 Uhr, Mi+Do geschlossen für Gruppen, Schulklassen, Workshops, Events, Zeitfenstertickets: 12/erm. 9 €, Familie: 30 €, disgustingfoodmuseum.berlin

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