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Wiedereröffnung

Neue Nationalgalerie: So gut ist die neue Ausstellung

Die Neuen Nationalgalerie öffnet wieder. „Die Kunst der Gesellschaft“: Im restaurierten Mies-van-der-Rohe-Bau gibt die frisch geordnete Sammlungspräsentation Aufschluss über den veränderten Geist im Haus. Autor Ronald Berg hat sich due Ausstellung angesehen.

Die Neue Nationalgalerie öffnet mit einer neuen Ausstellung. Foto: BBR/Thomas Bruns

Neue Nationalgalerie wieder offen: Neuer Blick auf die Kunstgeschichte

Nicht alles ist neu bei der Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie nach sechs Jahren Restaurierung, weder bei dem Mies van der Rohe-Bau selbst noch bei den Inhalten. Die neue, zweijährige Dauerausstellung etwa zeigt ab 22. August viel Altbekanntes – allerdings nur aus der Zeit von 1900 bis 1945. Diese Klassische Moderne soll ab 2026 ohnehin die Domäne der Neuen Nationalgalerie sein. Der Rest des Säkulums wird dann im Museum des 20. Jahrhunderts präsentiert, das nebenan am Kulturforum entsteht. 

Der Mies-Bau, selbst das größte Kunstwerk der Nationalgalerie, ist Produkt der 60er-Jahre. Bis etwa zu dieser Zeit war die Menge der Sammlungsstücke noch eher bescheiden, der Publikumsandrang überschaubar und die Kunstwerke blieben eher kleinformatig, sodass sie durch die vergleichsweise winzigen Türen der oberen Ausstellungshalle passten. Trotzdem wirkt der Mies-Bau heute nicht antiquiert, sondern wie ein zeitlos moderner Klassiker. Die Barcelona-Sessel, die als Sitzgelegenheit jetzt wieder Besuchern zu Verfügung stehen, hat Mies sogar schon in den 20er-Jahren entworfen. Sie fügen sich gut in die Schau im Obergeschoss, wo eine Einzelausstellung den Bildhauer Alexander Calder würdigt, neben einer Soloschau der Berliner Künstlerin Rosa Barba zu Mies’ Architektur eine weitere Ausstellung im Haus.

„Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands“ von Hannah Höch. Foto: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Jörg P. Anders / Hannah Höch/VG Bild-Kunst, Bonn 2021 / Erworben aus Mitteln der BASF, Ludwigshafen

Die neue Dauerausstellung im Untergeschoss aber soll nun mit rund 250 Werken nicht bloß die altbenannten Publikumslieblinge zeigen (Picasso, Beckmann, Munch, Klee usw.), sondern wagt einen neuen, etwas anderen Blick auf die Kunstgeschichte. Ihr programmatischer Titel „Die Kunst der Gesellschaft“ ist absichtlich mehrdeutig gewählt. Zum einen geht es um das in der Sammlung dominierende Thema des Gesellschaftlichen – in sozialer, politischer und historischer Hinsicht. 

Neue Nationalgalerie: Themen statt Stile

Verluste etwa durch den Nationalsozialismus und deren Kompensation in Zeiten der deutschen Teilung prägen die Sammlung der Nationalgalerie. Zum anderen beinhaltet der Titel auch, dass die Kunst von der Gesellschaft definiert und bewertet wird. Er ist zudem eine Anspielung auf das gleichnamige Buch von Niklas Luhmann, in dem der Soziologe den Kunstbetrieb als autonomes Subsystem der Gesellschaft vorstellt, das jedoch nicht abgekoppelt von der Gesellschaft als ganzer funktioniert. 

Dementsprechend sind Auswahl und Kontextualisierung der Kunstwerke in dieser Ausstellung das Produkt aktueller gesellschaftlicher Umstände. Und insofern entkommen etwa die bekannten Bilder des Expressionismus mit ihrer Südsee-Sehnsucht der aktuellen Diskussion um (De-)Kolonialisierung auch hier nicht. Eine Kunstgeschichte als Abfolge von Stilen gibt es nun nicht mehr. Vielmehr orientieren sich die Kapitel an Themen wie Großstadt, Krieg oder Übersinnliches – letzteres am Beispiel der Abstraktion bei der schwedischen Malerin Hilma af Klint. 

„Abend über Potsdam“ von Lotte Laserstein. Foto: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Roman März / Lotte Laserstein/VG Bild-Kunst, Bonn 2021 / Erworben mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland, der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und anderer

Die Wahl von Klint zeigt zudem das Bemühen des kuratorischen Teams (Joachim Jäger, Dieter Scholz und Irina Hiebert Grun), den Frauenanteil im Museumskanon stark zu erhöhen. Daher gibt es auch eigens ein Kapitel zu den „Künstlerinnen der Galerie Sturm“ von Herwarth Walden. In der ersten Ausstellung dieser Galerie waren 1912 mit Gabriele Münter, Natalija Gončarova und Elisabeth Epstein bereits drei Malerinnen vertreten. Walden nahm vor dem Ersten Weltkrieg mit seiner Galerie und einer gleichnamigen Zeitschrift eine Schlüsselstellung für die künstlerische Avantgarde ein.  

Dieses Augenmerk auf den früher weitgehend übersehenen Anteil von Frauen ist zugleich Ausweis der These der Schau: Die Kunst wird von der Gesellschaft gemacht. Tatsächlich unterliegt die Schau damit einer Art Zirkelschluss: Die Frauen waren wichtig, weil wir sie als wichtig zeigen. Genauso aber funktioniert Kunst beziehungsweise Kanonbildung. Alles ist Behauptung. Das gelingt, solange man Zustimmung erwarten darf, also solange das Museum als Agent eines gesellschaftlichen Konsenses akzeptiert wird. 

Viel Platz für Erklärungen in der sanierten Nationalgalerie

Der Blick auf Kunst(geschichte) als Widerspiegelung des Gesellschaftlichen ist zwar nicht unbedingt neu, bedarf aber der Erläuterung. So empfanden es jedenfalls die Kuratoren. Mitten in der Sammlungspräsentation haben sie eigens einen Raum für „Bildung und Vermittlung“ eingefügt, der die Wandtexte und die frei im Raum platzierten Textfahnen ergänzt. Im zugehörigen Katalog handelt die Mehrzahl der Kapitel von Frauen, etwa von Hannah Höch, von dem Brücke-Mitglied Rosa Schapire, den weiblichen Modellen der Künstlergruppe Brücke und der „Debatte um den Abtreibungsparagrafen“ nach 1919, an der sich unter anderem Käthe Kollwitz mit einem Plakat beteiligte.

Manche historischen Umstände werden auch anekdotisch anhand einzelner Werke vorgestellt. So erzählt Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“ aus dem Jahr 1930 eindrücklich von einer melancholischen Stimmung vor der nationalsozialistischen Machtübernahme. Laserstein sollte in der NS-Zeit ins Exil gezwungen werden. Ihr in realistischer Manier gemaltes Bild wird gleich zum Auftakt der neuen Dauerausstellung dem abstrakten „Bogenschützen“ von Sascha Wiederhold von 1928 gegenübergestellt. Die Bilder kontextualisieren sich gegenseitig und veranschaulichen damit die Prämisse, dass es im Blick auf die Kunst der Moderne nicht isoliert um Stile gehen kann, sondern deren Pluralität und Gleichzeitigkeit das Zeichen für die gesellschaftliche Situation war, einer Situation, die schließlich in Faschismus und Krieg mündete. 

  • Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, 22.-29.8. Mo-So 10-20, sonst Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, 14/ 7 €, bis 18 J. frei, Zeitfenstertickets: smb.museum, 22.8.2021–13.2.2022
  • Katalog/ Sammlungsführer DCV Verlag, ca. 27 €, Kompletter Bestandskatalog: 2 Bde. 180 € und online unter: smb.museum/Bestandskatalog-1905-1945

Dieser Text ist stammt aus unserer Printausgabe, im Handel oder über unseren Webshop erhältlich.


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