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Umzug wider Willen: Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst

Eine Ära endet: Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) muss die Kreuzberger Oranienstraße verlassen. Bis ihre neue Bleibe fertig ist, macht sie an mehreren Orten Station. Auch in Hellersdorf, wo bereits eine ihrer Arbeitsgruppen eine Ausstellung zu Lithium zeigt.

Das Ausweichquartier der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Karl-Liebknecht-Str. 13. Foto: Nihad Nino Pušija
Das Ausweichquartier der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Karl-Liebknecht-Str. 13. Foto: Nihad Nino Pušija

NGBK: Kooperation mit kanadischen Studierenden

Die Peripherie kann anziehend sein. Aus dem fernen Kanada ist eine Gruppe von Studierenden nach Berlin-Hellersdorf gereist, in die Station Urbaner Kulturen, die der in Kreuzberg ansässige Kunstverein Neue Gesellschaft für Bildende Kunst seit 2014 dort betreibt. Die Studierenden haben Stühle nach draußen geholt und debattieren in der durchaus apart angelegten, aber nicht übermäßig genutzten Fußgängerzone über ein aktuelles Projekt der NGBK, über „The Driving Factor“. Eine fünfköpfige Arbeitsgruppe der NGBK (Elisa Bertuzzo, Jan Lemitz, Daniele Tognozzi, Mercedes Villalba und Neli Wagner) geht darin der Frage nach, wie grün die Energiewende tatsächlich ist.

Nicht zuletzt die Batterien, also die Speichersysteme für die mal grün, mal grau erzeugte Energie, stellen ein großes Problem dar, vor allem wegen der Verwendung verschiedener Mineralien, die unter zum Teil ökologisch fragwürdigen Umständen aus der Erde geholt werden.  „Wir wollen anhand der Lithiumbatterie die materiellen Grundlagen nachvollziehen und sie auch in ihren sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen verstehen“, sagt Elisa Bertuzzo. „Darüber hinaus wollen wir Verbindungen schaffen zu den Orten, an denen die Extraktion der Rohstoffe stattfindet und an denen zum Teil sehr prekäre Verhältnisse herrschen.“ Von dem Vorhaben berichtet im Inneren der Station eine Ausstellung, eine Art Werkstattbericht unter anderem mit Videos und grafischen Arbeiten.

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst: Aus Kreuzberg verdrängt

Dieser globale Ansatz und die breit gestreuten Forschungsinteressen von „Driving Factor“ haben die Studierendengruppe aus Kanada nach Hellersdorf gezogen. Für die Station Urbaner Kulturen aber beginnt gerade eine neue Phase. Lange Zeit hat es sich um einen Satellitenstandort der NGBK gehandelt, der auch als ein Symbol für die Verdrängung aus der Berliner Innenstadt Berlins in die Zonen jenseits des S-Bahnrings galt. Inzwischen ist die Verdrängung nicht mehr nur symbolisch, sondern real.

„Zum 15. Juli verlässt die NGBK die Ausstellungsräume in der Oranienstraße 25 und gibt die Räumlichkeiten an den Vermieter zurück“, sagt Sprecherin Wayra Schübel. Damit enden 37 Kreuzberger Jahre Ausstellungen des 1969 gegründeten, inzwischen institutionell geförderten Vereins, in dem kein Direktor, keine Direktorin, sondern die Mitglieder über das Programm bestimmen. Zunächst in Charlottenburg beheimatet, zog die NGBK in den 1980er-Jahren an das  Tempelhofer Ufer in Kreuzberg, 1992 folgte der Einzug in die langgestreckten Räume im ersten Hof der Oranienstraße 25. Große Einzelschauen fanden hier statt, etwa von Sanja Ivekovic, Doppelschauen etwa von Jochen Klein und Wolfgang Tillmans und vor allem Gruppenausstellungen zu aktuellen politischen Themen.

In Kreuzberg: die Auszugsfeier der NGBK im Hof der Oranienstraße 25, vor einer Wandarbeit von Lois Weinberger Foto: Benjamin Renter
In Kreuzberg: die Auszugsfeier der NGBK im Hof der Oranienstraße 25, vor einer Wandarbeit von Lois Weinberger. Foto: Benjamin Renter

Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst erhält eigenen Bau

Seine Büroräume in der Oranienstraße kann der Verein wohl noch bis 2023 nutzen. Einzelne Veranstaltungen werden hier noch stattfinden, etwa ab August in der Reihe „X Properties – Zur De-/Finanzialisierung der Stadt“. Aber die Verdrängung ist offensichtlich. Der Buchladen Kisch & Co., der die Ladenfront im Erdgeschoss nutzte, musste trotz zahlreicher Proteste das Haus bereits 2021 verlassen.

Für die NGBK wird die Station in Hellersdorf nun elementar. Denn erst im nächsten Jahr kann sie ein Ausweichquartier in einer ehemaligen McDonald’s-Filiale am Alexanderplatz beziehen. Für 2027 ist der Bau eines Pavillons in der Karl-Marx-Allee geplant. Das soll der neue permanente Standort werden. Bis zum Bezug der Übergangslösung am Alex sollen Ausstellungen am eigenen Standort in Hellersdorf sowie an zentral gelegenen Orten gemeinsam mit der Berlinischen Galerie und dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien verwirklicht werden. Die NGBK hat also eine Zukunft.

Von der Zukunft der NGBK zur Zukunft des Planeten

Die Zukunft des Planeten dagegen sieht eher gemischt aus, wie die Untersuchungen zur Energiewende bei „The Driving Factor“ zeigen. So sind in der Hellersdorfer Ausstellung auch Filme über die Rohstoffgewinnung in Südamerika zu sehen. „Lithium Stories“ von Leni Roller erzählt von ökologischen Problemen des Lithiumabbaus in Bolivien. Und auch davon, wie bei der Gewinnung des Elements die sich aus einer Salzlake ausbreitenden Seen die Lebensbedingungen der Anwohner:innen verändern. Roller stellt die indigene Kreislaufwirtschaft und einen eher pflegenden Umgang mit Natur und Landschaft einer westlichen Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften gegenüber.

Doch „The Driving Factor“ blickt nicht nur in die Ferne. Exkursionen des Projekts haben von Hellersdorf zu den Überresten der Stromgewinnung in Berlin-Oberschöneweide geführt. In der Station sind skelettierte Kabel aus der Produktion des einstigen DDR-Werks KWO zu sehen. Von dort aus ging es zum Tesla-Werk in Grünheide, diesem wegen der massiven Wassernutzung hoch umstrittenen Symbol der E-Mobilität. Weitere Exkursionen gingen in die vom Kohle-Tagebau verwüsteten und teilweise renaturierten Regionen von Lausitz und Erzgebirge. Im Erzgebirge, einst Förderstätte von Silber, Zinn, Wolfram, Kupfer und Uran, wird nun mit der Gewinnung von Lithium experimentiert. „Zum Teil wird dabei das alte Abbaugestein, das auf Halden lagert, neu auf Lithium untersucht“, berichtet Jan Lemitz, der an der Tour teilnahm.

Zu den Mitbringseln aus dem Erzgebirge zählt eine handgroße Plastik, die einen Bergmann darstellt. Sie ist aus einem weißen Material gefertigt, das wie Gips wirkt. „Es handelt sich um Geopolymer. Es ist ein neuer Baustoff, eine Alternative zu Zement, und kann aus dem Abraum produziert werden“, erläutert Lemitz. Die Bergbauakademie Freiberg arbeitet bereits an der Entwicklung von Geopolymeren und hofft auf ein Ohr der Politik, um eine Produktion in größeren Umfängen entstehen zu lassen. Die kleine Bergmannsplastik aus Geopolymer dient daher auch als Hoffnungsträger in einem sonst von kritischen und bedenklichen Aspekten geprägten Projekt in der Station Urbaner Kulturen.

Text: Tom Mustroph

  • Station Urbaner Kulturen Auerbacher Ring 41 (Eingang Kastanienboulevard), Hellersdorf, Do+Sa 15–19 Uhr, bis 27.8.
  • „X Properties“ NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, nach Ankündigung auf www.ngbk.org

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