Weil die Konzerthäuser und Clubs weiterhin dicht sind, bereitet sich die Veranstaltungsbranche auf den Open-Air-Sommer vor. Führt ausgerechnet die Pandemie dazu, dass die Berliner Freiluftkultur wieder aufblüht?
Konzertveranstalter müssen kreativ werden: Im vergangenen Sommer erprobt
Als die Stadt im vergangenen Jahr im sommerlichen Pandemieschlaf ruhte, als die Clubs geschlossen und die Klagen der Kulturszene laut waren, schnappte sich André Jegodka ein Fahrrad – und trug die Kultur hinaus in die Stadt. Jegodka ist Konzertveranstalter und verantwortet unter anderem die Indie- und Postpunk-Partyreihe „What Difference Does It Make“. „Nachdem die Konzerte weggebrochen sind, hat man im vergangenen Jahr erst mal einen Monat lang nicht gewusst, was man machen soll“, sagt er. Dann kam ihm die Idee für seine Veranstaltungsreihe „Fahrradsubkulturen“.
Das Konzept: 30 Leute treffen sich an einem geheimen Startpunkt und fahren zu einem ebenso geheimen Ziel, wo schließlich ein Konzertabend wartet. Die Reihe führte ihn und seine Gäste zum Tegeler See, in die Domäne Dahlem, in die Britzer Gärten oder auch ins FEZ. Wenn die Konzerthallen geschlossen und die Open-Air-Flächen rar sind, so Jegodkas Idee, muss man sich den öffentlichen Raum eben so zurückerobern.
Berlin tut sich seit einiger Zeit schwer mit der Open-Air-Kultur
Die Beziehung zwischen Berlin und seiner Open-Air-Kultur ist kompliziert. Für viele sind Draußenfeiern und Kultur unter freiem Himmel ein schützenswertes Stück Berliner Lebensart und -qualität – für andere schlicht eine Zumutung. Seit Jahren kritisieren Interessensvertreter*innen der Club- und Kulturszene, dass Gentrifizierung und die Regulierungswut des rot-rot-grünen Senats das Kultur- und Partyleben immer mehr nach drinnen verdrängen würden. Jetzt aber ruhen die Hoffnungen der Veranstaltungsbranche auf der Open-Air-Saison.
Im Januar sagte Kultursenator Klaus Lederer (Linke), dass die Bühnen vor Ostern nicht wieder öffnen werden. Auf Konzerte in geschlossenen Räumen, erst recht auf Clubabende, wird man noch viel länger verzichten müssen – gefeiert werden könnte nur draußen. Führt ausgerechnet eine Pandemie, die Kultur- und Clubbranche verzweifeln lässt, zu einer Rückkehr zum Berliner Freiluft-Laissez-faire?
Schon im vergangenen Sommer hatte Lederer angekündigt, die Open-Air-Kultur zu fördern. Gemeinsam mit den Linken-Bezirksbürgermeistern von Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow erklärte er, die Grünflächen der Bezirke, Straßen und Plätze für Kunst, Theater und Musik nutzen zu wollen. Passiert war relativ wenig. Mit der Initiative „Draußenstadt“ will die Senatsverwaltung nun Open-Air-Förderung im größeren Stil ermöglichen. Über diese Plattform, die Lederer im vergangenen September vorstellte, sollen Projekte und Initiativen unterstützt werden, die Kulturaktivitäten in der Pandemie ermöglichen – vor allem unter freiem Himmel. Dem Senat ist das Ganze sieben Millionen Euro wert.
„Draußenstadt“ gegen Event-Loch: Neue Spielwiesen entstehen
Eine Initiative, die im Rahmen von „Draußenstadt“ gefördert wird, ist der „Baupalast“ auf dem Kreuzberger Dragonerareal. Auf dem lange umkämpften Kreuzberger Gelände, das nun offiziell „Rathausblock“ heißt, entsteht gerade ein neues Stadtquartier.
Das Projekt „Baupalast“ will die Umgestaltung des fünf Hektar großen Geländes begleiten – mit einer Art Stadtlabor, mit Veranstaltungen und Aktionen, eben auch unter freiem Himmel. „Ziel des Projekts ist es, einen Ort zu schaffen, wo die Zivilgesellschaft Ideen ausprobieren und die Baustelle begleiten kann“, sagt die Architektin Silvia Gioberti, die Teil des Projekts ist.
Die Initiative Baupalast baue auf einer Reihe von Werkstätten auf, erklärt ihr Kollege Alexander Römer. „Manche von ihnen sind auch diskursiver oder performativer Art. Diese Werkstätten werden über das kommende Jahr die Möglichkeit haben, kleine Veranstaltungen zu organisieren.“ Für die erste Veranstaltungsreihe gab es nun eben Geld von „Draußenstadt“.
Kreuzberg, Wilmersdorf: Neue Spielwiesen für die Kulturszene
Aber nicht nur in Kreuzberg eröffnet sich gerade neuer Raum für Open-Air-Kultur. Auf dem Wilmersdorfer Areal zwischen Bundesallee, Meierotto- und Schaperstraße, wo sich die Universität der Künste, das Haus der Berliner Festspiele und die Bar jeder Vernunft befinden, könnte bald ein großes Open-Air-Kulturquartier entstehen. Eine Bürgerinitiative setzt sich seit fast 20 Jahren dafür ein, dass das alte, graue Parkhaus auf dem Gelände abgerissen und die Fläche zur Freiluftspielwiese umgestaltet wird. Nun könnte das bald passieren, sofern der private Investor, dem ein Teil des Areals gehört, seine Fläche verkauft.
Aber auch wenn sich neue Räume für Open-Airs auftun, bleibt ein Problem bestehen: die Lärmschutzverordnung und deren Durchsetzung, die in den vergangenen Jahren immer rigider wurde. Schon im Sommer 2020 hatte Kultursenator Klaus Lederer die Behörden zu mehr Toleranz aufgefordert. „Die Krise zwingt alle Beteiligten, noch einmal stärker darüber nachdenken, wie wir unter freiem Himmel Aktivitäten ermöglichen, die in geschlossenen Räumen derzeit nicht gehen“, sagte Lederer etwa im Interview mit der „Berliner Morgenpost“. Den landeseigenen Park-Betreiber Grün Berlin und die Ordnungsämter kritisierte er dafür, zu sehr „business as usual“ zu betreiben. Damals war etwa ein Konzert von Andrej Hermlin auf dem Kollwitzplatz abgebrochen worden.
Keine juristische Handhabe für die Einforderung von mehr Toleranz
Das Schwierige: Eine juristische Handhabe für mehr Kulanz im öffentlichen Raum gibt es nicht, auch nicht in Pandemiezeiten. „Tatsächlich reden wir aber gerade mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und über selbige erstmal mit den Straßen- und Grünflächenämtern über eine mögliche Kooperation“, sagt Anja Scholtyssek, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Kultur. „Auch darüber, wie man passende Flächen für Kulturveranstaltungen finden kann, weil es notwendig ist, ein Verständnis für Kultur, aber auch für Umwelt- und Anwohner*innenschutz durch den Dialog zu fördern.“
Senatsgelder für Draußenprojekte, neue Flächen für Freiluftveranstaltungen – und unter Umständen kulantere Behörden: eigentlich keine schlechten Aussichten. Trotzdem ist die Unsicherheit aktuell groß, die Veranstalterinnen von Großevents wie CSD oder Bergmannstraßenfest halten sich mit verbindlichen Zu- oder Absagen noch bedeckt. „Alle Veranstalterinnen sind gerade in Wartehaltung, weil man nicht weiß, wie es mit den Corona-Verordnungen weitergehen wird“, sagt André Jegodka. „Das macht es schwierig, mit Bands zu planen, die ja wiederum auch eine gewisse Vorlaufzeit brauchen. Das Hygiene-Konzept ist auch nur ein Punkt. Das Aufstellen vom Awareness-Team, Poster, Ticketverkauf – all das sind im Voraus fast größere Probleme als das Coronakonzept.“ Pläne hat er trotz allem: Am Samstag, dem 8. Mai, will er zur ersten „Fahrradsubkulturen“-Tour der Saison aufbrechen.
Der Kulturprojekte-Chef van Dülmen spricht über Corona und Planung? „Alles Mist“. Im vergangenen Sommer machten vor allem illegale Raves, unter anderem in der Hasenheide, viele Probleme.