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Berliner Sänger

Eine Familiengeschichte wie aus einem Opern-Libretto: Björn Casapietra

Er will Konsens herstellen auf seinen Konzerten: Konsens gegen die Zerstörer der Zivilgesellschaft. Warum der Opernsänger Björn Casapietra an jene Orte geht, wo rechte Schläger und Nazikampfsportler im Stadtrat sitzen

Foto: Uwe Arens

Es ist einer dieser typischen Casapietra-Momente. Bürgerfest im Schloss Bellevue. Björn Casapietra steht auf der Bühne und hat gesungen, was sein Publikum gerne hört. Die großen Tenor-Romanzen: „Nessun Dorma“, „O Sole Mio“, das Wiegenlied von Brahms. Jetzt kommt er zu dem, was seine persönliche Leidenschaft ist: die jiddischen Lieder aus der untergegangenen Schtetl-Kultur Galiziens und die hebräischen Chansons. Doch ehe er die heimliche Nationalhymne Israels, „Jeruschalajim schel Sahav“ („Jerusalem aus Gold“) anstimmt, lässt er noch einen Satz auf das Publikum los, der inzwischen zum Programm gehört: „Ich hoffe, dass wir eines gelernt haben in diesem Land: dass wir Nazis nicht wählen, egal, in welchem Kostüm sie auftreten.“

Da steht ein Mann auf, ruft „Pfui“ und verlässt unter hämischem Applaus der übrigen Gäste seinen Platz. Er ist ein hochrangiges und inzwischen auch gerichtsbekanntes Mitglied der AfD. Ein Volltreffer, wenn man so will. Denn wann hat man die Gelegenheit, den Rechtspopulisten dabei zuzuschauen, wie sie sich selbst als Nazis enttarnen?

Dabei ist Casapietra gar nicht auf Krawall aus: Er will in seinen Konzerten Konsens herstellen – Konsens gegen jene, die den Konsens der Zivilgesellschaft zerstören wollen, den Kitt aus gegenseitigem Respekt und Toleranz. Der Satz ist eine Art Security Check – nicht beim Bundespräsidenten, sondern bei den Bürgern. Bis zu 100 Konzerte gibt Björn Casapietra im Jahr in Schlössern, Opernhäusern und großen Sälen, aber auch in kleinen Dorfkirchen.

Er geht dorthin, wo’s wehtut, in Orte wie Wurzen, wo manch andere Musiker die Klappe halten, wo rechte Schläger und Nazi-Kampfsportler im Stadtrat sitzen und die Kirche im Dorf oft die einzig feste Burg gegen Hass und Hetze ist. Eine Selbstvergewisserung: Bin ich noch richtig hier? In diesem Land, an diesem Ort?

Daran äußern manche Zweifel, besonders, wenn man mit Vornamen Björn (auf schwedisch „Bär“) und mit Nachnamen Casapietra (auf italienisch „Steinhaus“) heißt und das Ergebnis einer für DDR-Verhältnisse mehr als ungewöhnlichen Verbindung zwischen einem deutschen Dirigenten und einer genuesischen Kammersängerin ist. Eine „Deutsche Vita“, wie „Die Zeit“ titelte.

Das Kennenlernen der Eltern hätte dann auch aus dem Libretto eines Opern-Dramoletts stammen können. Celestina Casapietra, zu jener Zeit schon eine bekannte Sängerin mit Scala-Erfahrung, saß in der Loge des Konzerthauses am Gendarmenmarkt mit einem riesigen weißen Hut, während Herbert Kegel, Chef der berühmten Dresdner Philharmonie, dirigierte – und dabei weniger Augen für sein Orchester hatte als für den Paradiesvogel, der sich da in den SED-Staat verirrt hatte. Sie heirateten und Björn wurde, um spätere Passkalamitäten zu vermeiden, in Genua zur Welt gebracht, sozusagen als frisch geborener Reisekader mit der Lizenz, am Ku’damm einkaufen zu dürfen.

So einer gehörte in der DDR nicht dazu

Die Eltern führten ein Leben abseits der Ost-Berliner Bohème, in einem Haus mit Seegrundstück auf Rauchfangswerder, das auf drei Seiten von Wasser umgeben ist. Im Sommer mochte die Halbinsel wie ein Stück italienische Riviera in der sozialistischen Tristesse gewirkt haben. Doch schon am anderen Ufer, in der Schule von Schmöckwitz, wartete die Realität – und Jungs, die ihn verspotteten: „Du kannst ja vor Kohle kaum loofen.“ Ein Spießrutenlauf, wenn die extravagante Mutter ihn mit dem schneeweißen Mercedes abholte – so einer gehörte nicht dazu!

Sein engster Freund war Alex, der Sohn eines anderen Wanderers zwischen den Welten: Dean Reed, amerikanischer Sänger und Schauspieler, der „rote Elvis“, den es ebenfalls nach Rauchfangswerder verschlagen hatte. In den Achtzigerjahren kamen Reed Zweifel, ob die DDR tatsächlich der antifaschistische Staat auf deutschem Boden war, für den er ihn immer gehalten hatte. Am 13. Juni 1986 fand man Dean Reed tot im Zeuthener See – Selbstmord, so heißt es. Einen Tag zuvor hatte er sich noch West-Comics bei Björn ausgeliehen. „Der Platz, den wir damals hatten, war der zwischen allen Stühlen“, erinnert sich Casapietra heute.

Die Wende änderte alles. Plötzlich saßen auch jene zwischen den Stühlen, die es sich vorher im DDR-Staat gemütlich gemacht hatten. Und für Björn Casapietra war es Zeit, sein Refugium zu verlassen. Seine Eltern hatten sich schon vorher getrennt. Aus der neuen Beziehung seines Vaters ging Uwe Hassbecker hervor, der heutige Silly-Gitarrist, mit dem er in der Vergangenheit öfter auftrat. Casapietra wurde Schauspieler, Sänger und als lyrischer Tenor berühmt – und als ob seine deutsche Vita nicht für zwei Leben gereicht hätte, verliebte er sich auch noch in Israel, schrieb in einer Berliner Tageszeitung eine vielbeachtete Serie über vergessene jüdische Orte in Berlin.

Wie deutsch ist Casapietra? Natürlich ist Ostdeutschland seine Heimat wie er sagt, aber weil ihm jemand schrieb, dass er für ihn „kein Deutscher“ sei, hat er noch ein weiteren Satz in seine Konzerte eingefügt: „Bitte sorgt dafür, dass ich keine Angst in meinem Heimatland haben muss.“ Dafür bekommt er spontanen Applaus, auch in der ostdeutschen Provinz. Noch!

Jubiläumsprogramm „Christmas Love Songs“ mit Björn CasapietraPassionskirche, Marheinekeplatz 1–3, Kreuzberg, Sa 7. 12., 19 Uhr, Tickets: VVK ab 36,50 € zzgl. Gebühren

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