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Oratorium

Händels „Messias“ an der Komischen Oper: Im Angesicht des Todes

Die Komische Oper eröffnete am 21. September mit der Premiere des Händel-Oratoriums „Messias“ die neue Spielzeit. Regisseur Damiano Michieletto inszeniert das barocke Mega-Werk in einem Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof – und fügt Händels Erzählung aus dem Leben Jesu Christi eine zweite Erzählebene hinzu, die das Publikum mit dem eigenen unausweichlichen Tod konfrontiert. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber hat sich von dem Monumentalwerk im Flughafen umhauen lassen.

„Messias“ von Händel: Mit dem Oratorium hat die Komische Oper im Flughafen Tempelhof die Spielzeit eröffnet. Foto: Jan Windszus Photography

Die Komische Oper bespielt den riesigen Flughafen-Hangar

Die Komische Oper hat ein Faible für die szenische Inszenierung von Oratorien, insbesondere derjenigen von Georg Friedrich Händel. Zuletzt konnte das Haus, das sonst hauptsächlich für glitzernde Heiterkeit, für Operetten und Musicals steht, zum Beispiel mit Inszenierungen der Händel-Oratorien „Saul“ oder „Jephtha“ begeistern. Und mit der umjubelten Eröffnung der vergangenen Spielzeit mit Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“ hat die Komische Oper bewiesen, dass sie sogar die Inszenierung eines Oratoriums in einem riesigen Flughafen-Hangar draufhat.

Nach diesem Erfolgsrezept wurde nun auch die neue Spielzeit eröffnet, wieder in einem alten Hangar, wieder mit einem Händel-Oratorium, und zwar dem wohl populärsten des Barockmeisters. Unter dem Motto „Händel im Hangar“ inszeniert Damiano Michieletto den „Messias“ im stillgelegten Flughafen Tempelhof, diesmal im Hangar Nummer vier. Der misst ganze 4.500 Quadratmeter, davon sind 1.200 Quadratmeter Spielfläche. Und die braucht Michieletto auch: Für das stimmgewaltige Oratorium, das bisweilen schon mit der schieren Masse von knapp 3.000 Sängern aufgeführt wurde, hat der italienische Regisseur über 300 Sänger aus verschiedenen Berliner Laienchören in einem Projektchor versammelt, den er den Chorsolisten der Komischen Oper an die Seite stellt.

Der Hangar ist riesig, doch auf der Bühne ist gar nicht so viel Platz, wenn alle Sänger für die großen Chornummern auf ihr zusammenkommen. Foto: Jan Windszus Photography

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Händel erzählt in seinem „Messias“ das Leben von Jesus Christus im Schnelldurchlauf, also von der Verheißung über die Geburt, Passion, Tod und Auferstehung hin zu Himmelfahrt und Erlösungsversprechen der Menschheit. „Erzählen“ ist dabei allerdings das falsche Wort, denn Händel ließ seinen Librettisten Charles Jennens vielmehr mehr oder weniger zusammenhängende Bibelzitate aneinanderreihen, so dass sie einigermaßen sinnvoll das Leben Christi erzählen.

„Messias“: Regisseur Michieletto konfrontiert nicht Jesus mit dem Tod

Regisseur Michieletto erzählt aber eine ganz andere Geschichte: Hier wird nicht Jesus, der Messias, mit dem Tod konfrontiert, sondern eine junge, namenlose Frau, die völlig unvermittelt erfährt, dass sie an einem tödlichen Hirntumor erkrankt ist, und nur noch wenige Monate zu leben hat. Der dramatische Lebenslauf kommt nicht von ungefähr; Michieletto hat sich vom Schicksal der US-Amerikanerin Brittany Maynard inspirieren lassen, die 2014 im Alter von 29 Jahren ebendieses Schicksal ereilte.

Die junge Frau entschied sich damals für einen assistierten Suizid, sie wollte nicht in qualvollen Schmerzen dahinsiechen, sondern selbstbestimmt in Würde sterben. Ihre Reise teilte sie in den sozialen Medien, ihr Schicksal ging um die Welt, und erzeugte nicht nur Mitgefühl und Zuspruch. Sogar der Papst höchstpersönlich brachte damals seine Missgunst über ihre Entscheidung zum Ausdruck.

Das Leben und Sterben der jungen Brittany Maynard veranlasste Damiano Michieletto zu einem Nachdenken über den Tod, und den schwierigen Umgang mit diesem unausweichlichen Bestandteil des Lebens. Parallel zu den gesungenen biblischen Zeilen inszeniert er also lose die Geschichte von Brittany Maynard. Die junge Frau stellt er den vier Solisten des „Messias“ an die Seite, die die Rollen der Ärztin (umjubelter Sopran: Julia Grüter), der Eltern (Alt: Rachel Wilson und Bass: Tijl Faveyts) sowie des Ehemanns der Todkranken (Tenor: Julien Behr) einnehmen. Die Frau wird ausdrucksstark und mit viel Bewegungsanteil gespielt von der Schauspielerin Anouk Elias, die bis auf einige aus dem Off gesprochene Gedanken komplett stumm bleibt.

Am Tag der „Messias“-Premiere stieg auch das Drachenfest am Tempelhofer Feld

Michielettos neu erdachte Handlung passt mal mehr, mal weniger zu Händels kolossaler Bibelmusik. Das macht es manchmal schwer, sich auf beides gleichzeitig zu konzentrieren. Die Konzentrationsschwierigkeiten werden auch ein bisschen durch den Spielort selbst verstärkt, etwa wenn durch die halbtransparenten Hangar-Wände ein Feuerwerk auf dem Tempelhofer Feld die Bühne erhellt. Ein ganz amüsantes, wohl zufälliges Zusammenspiel von innen und außen stellte am Tag der Premiere ein großer, knallroter Papierdrache dar, dem in Michielettos „Messias“-Inszenierung eine symbolische Bedeutung zukommt – während draußen auf dem Feld das jährliche Drachensteigen zu Ende ging.

Ansonsten beschränkt sich das Bühneninventar auf einige wenige Requisiten wie einen symbolisch aufgeladenen Lorbeerbaum, einen Computertomographen oder einen riesigen roten Ball, der wohl den Tumor der jungen Frau symbolisieren soll. Es ist aber auch gar nicht allzu viel Platz auf dieser 1.200 Quadratmeter großen Bühne, wenn alle Sänger für die großen Chornummern auf ihr zusammenkommen, oder vielmehr aus allen Himmelsrichtungen zusammenströmen, und auf der Bühne eine riesige, bewegliche Klangmasse bilden.

Szene aus „Messias“: Der Ball soll den Tumor der jungen Frau symbolisieren. Foto: Jan Windszus Photography

Wie immer an der Komischen Oper sieht man den Beteiligten, insbesondere aber den vielen Laiensängern, die ihren Job unter der Leitung von David Cavelius wirklich gut machen, ihre enorme Spielfreude an. Zwar muss der Chor bei dieser ersten Aufführung am Samstag anfangs noch ein bisschen in Händels gewaltige Musik hineinfinden. Das „Halleluja“ haut einen noch nicht ganz vom Hocker, aber beim Schluss-Amen, da stehen die Sänger zwischen Moos und Gras im Halbdunkeln und verabschieden die junge Frau in ihren selbstgewählten Tod, von oben regnet es – und das ist dann endlich der Moment, bei dem man wirklich und vollends überwältigt wird von der Klangmasse dieses Projektchors.

Die Akustik im Hangar ist leider nicht optimal

In den weniger lauten Momenten kann das Oratorium allerdings nicht die mystische Wirkkraft entfalten, die es in einem Sakralbau oder einem Konzerthaus erreichen könnte, aber das liegt nicht etwa an einem zu schwachen Orchester – im Gegenteil, das spielt hervorragend unter der Leitung von George Petrou – oder einem zu zaghaften Chor, sondern vielmehr an der schlicht suboptimalen Akustik dieses riesigen Hangars.

Auch wenn die Handlung oft nicht so ganz zur Musik und ihrem Text passen will, evoziert das mitreißende Spiel von Anouk Elias doch ein wichtiges, unangenehmes Nachdenken über den Tod, konfrontiert Michielettos Inszenzierungs-Kniff jeden einzelnen Zuschauer mit dessen Vergänglichkeit, gelingt der Komischen Oper auch am Ausweich-Spielort ein großer Spielzeitauftakt.

Damiano Michieletto ist mit seinem zweigleisigen „Messias“ keine inszenatorische Offenbarung gelungen, aber einen Besuch ist dieses etwas andere Oratorium dennoch unbedingt wert.

  • Komische Oper Berlin im Hangar 4 Flughafen Tempelhof, weitere Termine: 24., 25., 27. 28., 29.9., 2.–6.10., jeweils 19 Uhr, 2 Stunden 50 Minuten, Sprache: Englisch, Infos und Karten hier

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