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Premierenkritik

„Berlin Non Stop“: So gut ist Thomas Hermanns’ Nachtleben-Musical

„Berlin Non Stop“: Das neue Musical aus der Feder von Quatsch-Comedy-Club-Legende Thomas Hermanns und Komponist Thomas Zaufke, das das Nachtleben einer Sommernacht im Jahr 2010 zelebriert, feierte am 16. Juli 2024 Premiere im Pfefferberg Theater. Unser Kritiker wollte hinterher sofort ins Möbel Olfe gehen. Unsere Premierenkritik.

„Berlin Non Stop“: Drei erlebnishungrige Touristen im Party-Berlin von 2010. Foto: th-entertainment

„Berlin Non Stop“: Zurück ins Jahr 2010

Ach ja, Berlin im Jahre 2010. Verdammt lange her schon.

Heute dagegen? Herrjeh. Halbsommermärchenhafte Heim-EM vorbei, Frankreich von Macron in die Unregierbarkeit ego-shootet, in drei Ost-Bundesländern demnächst womöglich Stinkefingerwahlen. Und hört uns bloß auf mit Trump im November.

Als Thomas Hermanns, 61-jährige Quatsch-Comedy-Club-Legende mit altersresistent jungenhaftem Charme, und Thomas Zaufke, Komponist mit besonderer Balladenbegabung, vor acht Jahren begannen, an einem Musical über das Berliner Nachtleben zu grübeln, ahnten sie erstens nicht, dass es diese acht Jahre brauchen würde, es tatsächlich, und frei finanziert, auf die Bühne des Pfefferberg Theaters zu bringen. Sie ahnten zweitens sicher nicht, wie beschissen sich diese Zeit gerade anfühlen würde. Und drittens konnten sie allenfalls darauf hoffen, wie sehr man sich heutzutage nach besseren Zeiten sehnen würde. Ein bisschen besser würde ja schon reichen.

Am Dienstag, 16. Juli, feierte „Berlin Non Stop“ im bis auf den letzten Platz besetzten Pfefferberg Theater seine Premiere. Langer Jubel bis unters Dach. Wir waren dabei.

„Berlin Non Stop“: Drei Touristen mit viel Erlebnishunger

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Berlin im Jahr 2010 also. Jenes Jahr, in dem das Tempelhofer Feld für Spaziergänger, Kite-Surfer und Roller-Blade-Ballerinen geöffnet wurde, ein gewisser Klaus Wowereit die Eröffnung dieses lustigen neuen Flughafens für das kommende Jahr avisierte und Touristinnen und Touristen in Scharen aus Easy-Jet-Fliegern bollerten, bis zur Halskrause voll mit der großen Sehnsucht nach den Verheißungen der Berliner Nacht.

Vorhang auf also für drei jungen Touristen mit erheblichem Erlebnishunger, der für 24 Stunden reichen soll, als sie in Berlin-Tegel landen, ja, genau, TXL stand damals ja auch noch offen. Juan (horny as hell: Manuel Lopez) aus Barcelona: schwul, Basecap, Glitzershirt, Bauchtasche. Chris aus Birmingham (sehnsüchtig sonnig: Oliver Edward): gelbes Designer-Hemd mit korrespondierenden Shorts und knöchelhohen Sneakern in weißen Socken. Und Benni (wunderbar dorftrottelig und grandios slapstickbegnadet: Markus Fetter) aus Bad Bevensen – der extra mit dem Zug nach Köln gefahren ist, denn: „Anreise mit Easy Jet gehört zur kulturellen Berlin-Experience.“

2010 war ja auch das Jahr, in dem man über solche Sätze noch gelacht hat. Ungefähr zwei Jahre später stand dagegen in Kreuzberg ein ruppiges „Touristen fisten“ an den Wänden.

Aber wir sagen mal so: Wenn es konsensual geschieht, warum denn nicht?

„Berlin Non Stop“: Guck mal, wie es glitzert. Foto: th-entertainment

Autor Thomas Hermanns weiß, wie wichtig Taxis für das Nachtleben sind

Die Bühne: effektiv spartanisch und variabel konstruiert (Bühnenbild: Ariane Stamatescu). Im Zentrum eine drehbare Kasten-Konstruktion mit Stufen, die im Laufe des Musicals vom Ankunftsschalter des Flughafens Tegel unter anderen zum Möbel Olfe am Kotti, zur sagenhaften schlampigen Bar Rauschgold, zu einem Döner-Laden mit diversen Nebenfunktionen und schließlich, na klar, zum Berghain werden wird. Endstation Sehnsucht.

Im Hintergrund eine dreiköpfige Band, die im Laufe des Abends einiges auffahren wird, vom gemäßigten Poprock über bollernden Euro-Trash bis zum Disko-Bumms zur Bühnen-Polonaise, wobei der Sound zumindest in den ersten 20 Minuten etwas schärfer definiert sein könnte. Doch sind die gefühlvollen Balladen, wie oft beim Komponisten Zaufke, die emotionalen Ankerpunkte des Stücks (musikalische Leitung: Damian Omansen). Drama, baby!

Der Wahlberliner Thomas Hermanns, der einst mit dem „Quatsch Comedy Club“ Standup-Comedy aus New York nach Deutschland brachte, seit mehr als 20 Jahren in Berlin lebt und bereits bei seinem allerersten Musical, der Hape-Kerkeling-Film-Adaption „Kein Pardon“, mit Thomas Zaufke zusammenarbeitete, hatte ja vorher im großen tipBerlin-Interview betont, wie wichtig eine kundige Taxi-Begleitung für eine gelungene Berliner Nachtleben-Erfahrung ist.



So landen die drei Touristen-Boys bei der knuffigen Helga (herzallerliebst: Stefanie Dietrich), „Berlinerin durch und durch“ mit ostdeutschem Hintergrund, im Auto und ziehen fortan gemeinsam durch die Stadt der Exzesserwartung. Kleiner Spaß am Rande: Helgas Lenkrad ist eine Schallplatte (Regie: Fabian Gerhardt).

Das geht ja gut los. Das geht auch gut weiter.

Die ganze Klaviatur der Berlin-Mythen

Natürlich spielt „Berlin Non Stop“, das hauptsächlich in gut verständlichem Englisch gehalten ist, aber auch hin und wieder ins Deutsche wechselt und selten auch ins Spanische, mit Powerchords die ganze Klaviatur der Berliner Mythen rauf und runter, und zwar mit Herz, Schnauze und großen Überdrehmomenten. Das geht los mit einem ehrfürchtigen Gruß an Christopher Isherwood, dessen grandioses Buch „Goodbye to Berlin“ die Vorlage für den Musicalfilm „Cabaret“ lieferte. Es gibt die prototypischen Präsenz eines Berliner It-Girls zu bestaunen, Isa aus Island (verführerisch glamourös: Lukas (Lucii) Sandmann) mit Sonnenbrille, weißblonder Perücke, Netzstrumpfhosen und schier meterlangen Überkniestiefeln, das in einer angesagten Mitte-Galerie performt und in das sich Chris vergucken wird, aber sowas von.

Und es fehlt auch nicht ein queerer Berliner Bombshell-Barkeeper, nämlich Max (ganzköperbetont mit Clark-Gable-Vibes: Jan Nicolas Bastel), bei dem das weiße Unterhemd und die schwarzen Lederhosen so eng sitzen, als wären sie ihm vorher in der Garderobe auf den Leib gebügelt worden (Kostümbild: Kemal Klempic). Im Möbel Olfe legt Max einen verdammt eindrücklichen musikalischen Fußabdruck hin: „I’m a post-gay, post-queer, post-post-posterboy“. Und diesen dahergeflogenen Touristen trichtert er vernünftiges Berlin-Benehmen ein. Was auch bitter nötig ist, mitunter.

Zur Pause bemerkt ein Zuschauer: „Die Touris im Rauschgold werden schon ziemlich realistisch dargestellt.“ – „Nee“, versetzt der Mann daneben. „Die waren aggressiver.“

„Berlin Non Stop“: Erst Nofretete, dann Möbel Olfe

„Erst Nofretete, dann Möbel Olfe am Kotti“, könnte ein Motto des Musicals sein, oder auch: „Berlin is not the fucking Reeperbahn“. Der Spanier will Sex, zur Not auch via Grindr, Benni will den Fernsehturm sehen. Und Chris will alles. Als ein Fachmann rumgeht, wird im Publikum fachkundig gemutmaßt: „GHB?“, es wird gefeiert, gesoffen, gevögelt, gekotzt und geliebt, Selfis werden gefertigt, auf den Handgelenken verschmieren die Stempel.

Und auch in der kleinsten Einheit des Berliner Partylebens, die 24 Stunden umfasst, ist noch Platz für große Gefühle, großes Drama und viel trockenen Witz. Man merkt, der Autor des Stücks kennt sich mit Comedy aus, mit Timing.

Thomas Hermanns hat die Stand-up-Comedy nach Deutschland gebraucht. Foto: © Mak
Musical-Autor Thomas Hermanns hat die Stand-up-Comedy nach Deutschland gebracht. Foto: © Mak

Dabei ist der Cast stimmig und divers, wobei hier ein besonderes Shout-out an Bettina Meske geht, die gleich in fünf lustigen Rollen durch das Musical marodiert, von der sprachholperigen Flughafen-Angestellten Edith über Effi Beast mit ihrer „gefürchteten Mitternachtsshow“ im Rauschgold bis zur polnischen Kebab-Regentin mit diversen Nebenjobs.

An einer Stelle wird inbrünstig „Berlin, du hast Probleme. Berlin, du hast kein Geld“, intoniert, und in der dritten Stuhlreihe, Mitte, sitzt Klaus Wowereit, genau, der mit „arm, aber sexy“, und amüsiert sich wie Bolle.

Der Rausch und der Kater, die Trunkenheit und die Träume

Und letztlich schwebt über allem die Frage, ob man sich als Berliner in Touristen verlieben kann oder sollte, denn mit den Gefühlen zwischen den Berlinern und den Touristen ist das so eine Sache, weil im Nachtleben darauf qua Werkseinstellung das Ablaufdatum „24 Stunden“ steht.

Aber manchmal möchte man für einen Moment, dass die Gefühle auch länger halten, wenn schon nicht für immer, dann aber doch für ein halbes Leben oder wenigstens bis zum nächsten Flug nach Berlin.

„Berlin Non Stop“: Sollte man sich in Touristen verlieben? Foto: th-entertaiment

Und so ist es vielleicht bei diesem stimmungsvollen, knallbunten, glitzernden, zwischen Melancholie und Euphorie temperierten Berlin-Musical dieser eine Dialog, der dieses ganze Dilemma, die Sehnsucht und die Ernüchterung, den Rausch und den Kater, die Trunkenheit und die Träume, auf einen Punkt bringt: „I think, I love you.“ – „Oops!“

Nach rund zwei Stunden (mit Pause) „Berlin Non Stop“ vermisst man dieses 2010 vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Aber das Rauschgold ist ja noch da, das Möbel Olfe auch, vielleicht trifft man sich ja dort mal wieder. Und trinkt auf gute halbalte Zeiten.

„Berlin Non Stop“ läuft noch bis zum 3. August im Pfefferberg Theater.

  • Berlin Non Stop im Pfefferberg Theater Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg, bis 3.8., ab 31,50 €, weitere Infos und Tickets hier

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