Ein schwieriger Umzug, Pandemie und bald geht die Leitung: Savvy Contemporary schien zuletzt angezählt. Doch jetzt zeigt der Projektraum in Wedding mit „Garden of Ten Seasons“ eine umwerfend gute Schau – und geht seine Zukunft an.
Von Kathmandu in den Wedding
Savvy in Bestform: Die neue Ausstellung „Garden of Ten Seasons“ bei Savvy Contemporary ist eine Art Übernahme der neugegründeten Kathmandu Triennale, die aber von den Kurator:innen, Cosmin Costinaș, Sheelasha Rajbhandari und Hit Man Gurung für Savvy neu adaptiert wurde. Zu erleben ist eine Ausstellung, die Erd- plus Kellergeschoss mit Arbeiten aus dem indo-pazifischen Raum sinnlich und spirituell auflädt, ohne die Themen Entkolonialisierung und Pluralismus von Wetlanschauungen aus dem Blick zu verlieren.
Zu sehen sind technisch versierte Videoarbeiten und Installationen. Aber auch Webarbeiten und Positionen auf Baumrinde oder Kuhhaut wie die Arbeit der balinesischen Künstlerin Citra Sasmitas Kamasan „Garten der Träume“, die Traumvorstellungen mit den Realitäten des Klimawandels abgleicht. Auch die verstörende Realität der Geschlechterungerechtigkeit wird abgeglichen, etwa mittels Paubha, einer traditionellen Maltechnik aus Nepal. Nur von Männern ausgeführt, ist sie „Kunst“. Von Frauen ausgeführt, wird sie abgewertet: „Das sind dann halt nur Poster“, wie Kuratorin Sheelasha Rajbhandari aus Nepal sagt, die wie ihr Mitkurator Hit Man Gurung für die Ausstellung angereist ist. Bei Savvy haben sie beide Varianten einfach nebeneinandergestellt – kein weiterer Kommentar nötig.
Savvy Contemporary hat einen langen Weg hinter sich
„Garden of Ten Seasons“ ist eine für den Weddinger Projektraum Savvy typische Zusammenarbeit – und mit ihr zeigen sich Ausstellungsort und Team wieder als Einheit. Ein leichter Weg hierhin war es nicht, ein Umzug notwendig. Denn bevor Savvy 2020 an die Reinickendorfer Straße gezogen ist, war das Team nebenan im Kulturquartier Silent Green unglücklich. „Wir saßen dort quasi im Keller und waren sowas von weg vom Geschehen draußen“, sagt Anna Jäger vom Savvy-Team, „und das war nicht nur für unsere Arbeit schlecht. Wir waren auch schlecht auffindbar für unsere Besucher:innen. Wir brauchten also dringend einen neuen Ort.“
Unsichtbarkeit und mangelnde Vernetzung mit der Nachbarschaft sind gerade für eine immer noch finanziell wackelige Non-Profit-Institution wie Savvy schlecht. Zwar unterstützt der Senat projektweise, aber ohne internationale Kooperationen und großen Freundeskreis wäre eine Arbeit auf diesem Niveau wohl nicht möglich. Und in Neukölln, dort, wo Savvy 2009 als neuer Ort für dekoloniale Kunst und Praxis von dem nach außen wie innen wirkmächtigen Direktor Bonaventure Soh Bejeng Ndikung gegründet worden war, galt der Projektraum immer als selbstverständlicher Teil der Kulturszene und Nachbarschaft.
Savvy blickt über den westlichen Tellerrand hinaus
Als Savvy nach 2016 im Weddinger Silent Green ein wenig in Vergessenheit zu geraten drohte, musste ein neuer, guter Standort erst einmal gefunden werden. Was das Team dann entdeckte, lag aber ganz nah: nur quer über den Nettelbeckplatz, wo ein großes Eckgebäude an der Reinickendorfer Straße leer stand. Gleicher Teil von Wedding, aber sonst alles anders. Von Unsichtbarkeit keine Spur, sogar von der Ringbahn aus ist seit dem Umzug der große Bling-Bling-Schriftzug von Savvy bestens zu sehen. Auch, weil er sich hervorragend abhebt von der harten Fassade des Nachkriegsbaus, ein Haus, das mit seiner Glasfront sogar fast auf der Straße liegt. Und das sollte wichtiger werden als gedacht.
Denn der Umzug fiel mitten in die Pandemie, das neue Haus wurde entsprechend immer wieder geschlossen. „Wir konnten aber mit den Fenstern nach außen Ausstellungsfläche genieren. Und so Sichtbarkeit für uns und unsere Künstler:innen schaffen“, sagt Elena Agudio, die seit 2013 bei Savvy ist und mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung die künstlerische Leitung innehat. Oder: noch innehat. Nicht nur der prominente Wechsel Ndikungs an das Haus der Kulturen der Welt, dessen Intendanz er im Januar 2023 übernimmt, wird das Savvy verändern. Auch Agudio verlässt das Haus, Richtung Florenz.
Zurzeit sichtet eine dreiköpfige, externe Jury die Bewerbungen für die freigewordenen Ämter. Die Schreiben kamen zwar zahlreich, aber nicht waschkörbeweise. Wer der Jury angehört, wird geheim gehalten. Es handle sich um Menschen, die das Haus gut kennen, sagt Anna Jäger. Im Rennen seien im Juni noch 25 Bewerbungen gewesen, darunter einige von Teams. Wer es wird, entscheide sich Ende Juli. Was das Programm betrifft, sieht Elena Agudio dem Wechsel gelassen entgegen: „Savvy hat immer versucht, den westlichen Blick auf die Kunst zu weiten. Das ist und bleibt der Kern dieses Projekts. Und vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn jetzt noch einmal neue Impulse dazukommen.“
Jugend auf der Flucht
Was unter diesem „geweitetem Blick“ zu verstehen ist, zeigt sich gut in der aktuellen Ausstellung: Neben Entkolonialisierung, Klimawandel und Geschlechterungerechtigkeit thematisieren nicht wenige Arbeiten Massenauswanderung. Sie handeln von verlassenen Orten, in denen nur noch die Alten leben und von der Realität der Jungen, die ihr Glück auf der arabischen Halbinsel oder in Europa suchen. Aber die Triennale zeigt auch Arbeiten aus Südamerika und Neuseeland zu weiteren großen Zeitthemen der Kunst. Da wäre vor allem das „Mapping“ zu nennen, die Auflösung der von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen: Künstler:innen gleichen diese willkürliche Kartierung neu ab mit tradierten spirituellen und kosmologischen Grenzen einer Welt, die nicht darauf gewartet hatte, vom Westen aufgeteilt zu werden.
Man findet diese Themen jetzt weltweit in den großen Schauen, von Venedig bis Kassel. Und es ist nicht so, dass Savvy da eine Art Urheberrecht hat. Aber das Team hat diese Positionen in Berlin früh und über viele Jahre bestens sichtbar gemacht. Da ist es gut, dass diese Institution nicht mehr in einem Keller sitzt, sondern direkt im Weddinger Leben.
- Savvy Contemporary Reinickendorfer Str. 17, Wedding, Do–So 14–19 Uhr, „Garden of Ten Seasons“ bis 10.7., online
Auch dort will man über den westlichen Horizont hinaus blicken und künstlerische Lösungen für heutige Krisen zeigen. Ob das der 12. Berlin Biennale gelingt, lest ihr hier. Berlins Kunstwelt ist immer in Bewegung. Was es Neues gibt, was es sich zu sehen lohnt ihr und wo ihr noch unbedingt hin müsst, steht in unseren Ausstellungs-Tipps. Kunst, Kulinarik und Kiez – im Wedding gibt es einiges zu entdecken. Immer auf dem Laufenden bleiben: Hier sind alle unsere Kultur-Texte.