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Berliner Spieleentwickler: Die Hippies der Gaming-Szene

Gewalt ist ein Teil der Videospiel-DNA. Das langweilt besonders Berliner Spieleentwickler:innen. Studierende der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik arbeiten deshalb an pazifistischen Alternativen. Heraus kommen dabei frische Ansätze, die Spielspaß ohne Hiebe, Schüsse, Tritte, Stiche bieten. Was die junge Spieleentwickler:innen umtreibt, wie ihre Werke aussehen und warum sich Branchenriesen ein Beispiel nehmen sollten.

Das Game „Islanders“ von Berliner Spieleentwickler:innen ist ein entspanntes Aufbauspiel. Hier werden keine Schlachten ausgefochten. Foto: Screenshot

Frischer Wind durch Berliner Spieleentwickler

Unheimlich ragt es in die Höhe, ein Konstrukt aus Stahl und Beton. Ist es eine Industriehalle, vielleicht ein Bürokomplex? Leben findet sich darin keins, die gesamte Umgebung: leer. Plötzlich zerreißt ein Knall die Stille. Ein metallener Arm erhebt sich aus dem schier endlosen Abgrund. Er wächst und wächst. Auf Höhe des Gebäudes bleibt er stehen. Zwei glänzende Giganten im dumpfen Nichts. Der Arm zischt, holt langsam aus und fegt durch das Stahlbeton-Konstrukt. Explosionen, Trümmer, Befriedigung. Volle Punktzahl.

Das Aufbau- und Zerstörspiel „Abriss“ zeigt imposante Bilder, hat einen überwältigenden Sound – und lässt kein Wesen zu Schaden kommen. „Wir wollten auf Gewalt verzichten, damit das Spiel für alle zugänglich wird“, sagt Entwickler Johannes Kopp. Er studiert an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Gamedesign und gründete parallel mit Kommilitonen das Studio Randwerk Games. Ihr Werk ist eines von vielen pazifistischen Spielen, die an der Universität entstanden. Sie alle liefern frische Ansätze in der konfliktgebeutelten Videospielwelt, Alternativen zum Blutvergießen großer Blockbusterproduktionen.

Gerade die mögen vielfältig erscheinen, doch ihr Einfallsreichtum lässt sich meist auf eine Sache reduzieren: Angriff. Wir schießen, wir treten, wir stampfen, wir schlagen Lebewesen. Wieder und wieder. Die Aktionen selbst mögen abwechslungsreich wirken, trotzdem bleibt es stets dasselbe: Gewalt. Und als Spielmechanik mag das spaßig sein, mitunter sogar spannend. Wirklich originell ist das ständige Attackieren trotz vieler Facetten aber nicht. Für die Studierenden der HTW ist das bitter, schließlich sollte man in Videospielwelten doch viel mehr können als nur austeilen.

Man sieht vor lauter Fäusten die Spiele nicht

„Es macht mich regelmäßig traurig, zu sehen, dass jedes Jahr gut 80 Prozent der großen Neuerscheinungen Spiele mit Gewalt als Grundthema sind“, sagt Friedemann Allmenröder, ehemaliger Student an der HTW. Während seines Studiums gründete er zusammen mit Kommilitonen das Studio Grizzlygames, sie veröffentlichten zwei Spiele, die sie im Rahmen ihrer Seminare entwickelten. Eines ist „Islanders“ (2019), ein unaufgeregtes Aufbauspiel, bei dem es darum geht, auf einer kleinen Insel eine Stadt zu errichten. Es ist eines der vielen friedliebenden Spiele, die an der HTW entstehen.

Die preisgekrönte Aufbausimulation Dorfromantik von Toukana. Foto: Screenshot

Friedemann verteufelt Gewalt in Spielen nicht. „Es ist ein menschliches Thema, das in jedem kreativen Medium behandelt werden sollte“, sagt er. In der Fülle wie bei Games müsse das aber nicht sein. „Das wird schnell einseitig.“ Trotzdem scheint Gewalt in Spielen noch immer ein Erfolgsgarant zu sein. Stellt sich die Frage, warum sich so viele HTW-Studierende für Alternativen interessieren. Immerhin könnten sie sich leicht an den Branchengrößen orientieren, etwa dem Kriegsporno-Franchise „Call of Duty“.

Spieleentwickler: „Manchmal haben wir uns auch gewünscht, eine Figur zu schaffen, die einfach loshackt“

Actionbombast schafft er einen Rahmen für Heldenerzählungen. Das Gute (er-)schlägt das Böse: Stoff, aus dem viele Spiele sind – seit Jahrzehnten. Gewalt ist so stark mit der Spielkultur verwurzelt, dass sie meist nicht mehr als solche empfunden wird. Der harmlose, drollige Super Mario etwa zerstampft auf dem Weg zu seiner Prinzessin alles, was ihm in den Weg kommt; der elfenhafte Held Link zerschneidet jeden Feind auf der Suche nach Prinzessin Zelda. Schon 1975 schossen sich zwei niedliche Strichmännchen in dem Spiel „Gunfight“ über den Haufen.

Dass Gewalt so häufig in Spielen vorkommt, liegt auch an der leichten Umsetzbarkeit: Drücke eine Taste und die Figur attackiert. „Aus Designsicht ist Gewaltfreiheit schwierig. Manchmal haben wir uns auch gewünscht, eine Figur zu schaffen, die einfach loshackt“, sagt Allmenröder. Sie entschieden sich dagegen. Ein Grund dafür könnten auch Erfolge sein, die andere Studierende der HTW feierten, etwa das Studio Toukana mit dem Aufbauspiel „Dorfromantik“. Es ging aus einer Projektarbeit hervor, gewann 2021 den Videospielpreis und verkaufte sich gut. Das färbt ab. Viele Studierende eifern dem nach, gründen Unternehmen, vermarkten eigene Spiele. Die meisten eint Pazifismus.

Die Uni selbst unterstützt Studierende bei ihren Gründerambitionen. „Wir stellen ihnen Räume zur Verfügung, bemühen uns, den Austausch zwischen Jüngeren und Älteren – auch fachübergreifend – zu ermöglichen“, sagt Thomas Bremer. Er koordiniert den Gamedesign-Studiengang. „Darüber hinaus gibt es noch im Masterstudiengang den Schwerpunkt Entrepreneurship.“ Ein Fach, das schwer nach Rollkragen und Hornbrille klingt, in einem Bürokratieland wie Deutschland aber notwendig sein kann.

Branchenriesen als Fetisch

Bremer kümmert sich seit 2009 um den Studiengang. In der Zeit nahm er einen Stimmungswechsel wahr. „Früher wollten die Studierenden unbedingt zu den namhaften Unternehmen“, sagt er. „Sie hinterfragten nicht, wollten Teil von etwas vermeintlich Großem sein.“ Die kreative Vision war da zweitrangiger, sie fetischisierten Ubisoft, Sony oder Electronic Arts, erklärten sie für unfehlbar. „Mittlerweile wollen nur noch wenige in große anonyme Studios.“

Ein Grund ist die fehlende kreative Freiheit dort. „Ich glaube, in einer großen Firma kommt man nicht wirklich dazu, etwas Originelles zu machen“, sagt Johannes Knop. „Das liegt in der Natur der Sache, da hängen viele Arbeitsplätze dran.“ Und wenn eine Shooterreihe funktioniert, bleibt es beim bewährten Konzept. Studios, die im Rahmen eines Studiums entstanden, haben diesen Druck nicht. Das sorgt für völlig neue Spielerfahrungen: solche, bei denen Spielende um die Ecke denken, nicht immer den direkten Weg nehmen müssen. Eine Herausforderung abseits von präzise abgefeuerten Schüssen.

Das Spiel „Abriss“ mag brachial wirken, Lebewesen kommen hier aber nicht zu Schaden. Foto: Screenshot

​Natürlich produzieren nicht alle Branchenriesen gewaltlastige Spiele, aber das große Umdenken geht, wie so häufig, dennoch vom Nachwuchs aus. Entscheidend dabei dürfte auch die Diversität sein. Die Branche war lange sehr männerdominiert. Das ändert sich allmählich. Laut Bremer ist am HTW-Studiengang eine 50/50-Verteilung der Geschlechter gegeben. Unterschiedliche Lebensrealitäten führen auch zu originelleren Werken. Viele Studios sehen das, etwa Wooga, das sich auf Handyspiele (Puzzlegames) spezialisiert hat. „Lange Zeit waren Frauen bei uns unterpräsent, weibliche Spielfiguren waren deshalb häufig eindimensional“, sagt Annelie Biernat, Gamedirector bei Wooga. „Mittlerweile hat sich das geändert, unser Team ist diverser, die Spiele sind entsprechend zugänglicher.”

Revolution dank Diversität bei Berliner Videospielentwicklern

Die Berliner Fein Games sind sogar ein Studio, in dem ausschließlich Frauen Spiele entwickeln. „Es ging uns einerseits darum, weiblichen Entwicklerinnen einen Raum zur kreativen Entfaltung zu bieten, und andererseits auch darum, ein Gegengewicht zu den Boy Clubs der Branche zu bilden“, sagt Gründerin Franziska Zeiner. „Gerade in Sachen Diversität hinkt Deutschland noch etwas hinterher.“ Es bewegt sich also einiges im Videospielsektor. Der Gamedesign-Studiengang an der HTW, motivierte Nachwuchs-Spieleentwickler, viele neue Studios – all diese Faktoren tragen dazu bei, eine konservative Branche zu revolutionieren.

Dass es seit einiger Zeit auch für Neueinsteiger:innen einfacher ist, einen Zugang zur Spielekonzeption zu bekommen, dürfte seinen Teil dazu beitragen. „Mittlerweile sind die Mittel zur Spieleprogrammierung deutlich zugänglicher“, sagt Thomas Bremer vom Gamedesign-Studiengang. „Lizenzen stehen teilweise frei, sind nicht mehr so kostenintensiv, dass es einen finanzstarken Partner braucht, um ein Spiel zu programmieren.“

Es ist ein Wandel, wie er bereits in der Musikindustrie stattgefunden hat. Waren vor Jahrzehnten noch Kontakte und/oder viel Geld nötig, um in einem Studio aufzunehmen, gibt es heute passendes Equipment im Elektronikmarkt um die Ecke. Halbwegs kostengünstig, versteht sich. Ein knappes Budget ist heute ein deutlich kleineres Hindernis. Die Folge ist ein wahnsinnig vielfältiges Musikangebot. „Es wäre schön, wenn es in der Videospielszene genauso läuft“, sagt Friedemann Allmenröder. Die Richtung stimmt bereits.


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