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70 Jahre Maxim Gorki Theater: Vom DDR-Kadertheater zur Großstadtbühne

Im Oktober feiert das Maxim Gorki Theater sein 70-jähriges Bestehen. Dazu gibt es ein Reenactment von Thomas Langhoffs Erfolgsinszenierung der „Drei Schwestern“ von 1979 – als einen Rückblick ins Heute.

Am 30. Oktober 1952 eröffnete im historischen Gebäude der Berliner Singakademie das Maxim Gorki Theater als Musterbühne des sozialistischen Realismus. Foto: Nils Tammer

Fast versteckt zwischen Humboldt-Universität, Neuer Wache und Deutschem Historischen Museum liegt Berlins kleinstes Staatstheater. Doch Verstecken muss sich das Maxim Gorki Theater nicht, hinter der klassizistischen Fassade des zwischen 1823 und 1827 nach Entwürfen von Schinkel als Heimat der „Berliner Singakademie“ errichteten Gebäudes wurde Theater­geschichte geschrieben. Und die verbindet sich gleich doppelt mit dem Namen Langhoff.

Aktuell natürlich mit Shermin Langhoff, die das Gorki seit 2013 zu einem Großstadttheater profiliert hat, das sich seinem postmigrantischen Umfeld in einer Metropole wie Berlin programmatisch bewusst ist und dessen interkulturell-diverses Ensemble sich inzwischen auch andere Theater zum Vorbild nehmen.

Von Langhoff bis Langhoff: Prägende Köpfe am Gorki

Ein Theater wurde das im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Haus aber erst nach dem Wiederaufbau 1946, zunächst als „Haus der Kultur der Sowjetunion“, 1952 erhielt es seinen heutigen Namen. Das Gorki ist damit heute das einzige bundesrepublikanische ­Stadttheater, das nicht nach einem deutschen Dichter benannt ist. Und in den ersten Jahrzehnten machte es seinem Namen alle Ehre – Maxim Gorki war der wichtigste Propaganda-Schriftsteller der Sowjetunion – und galt als eine Art DDR-Kadertheater, wenig aufregend.

Erst der Regisseur Thomas Langhoff brachte ab Ende der 1970er-Jahre mit Neuinterpretationen von Klassikern frischen Wind ins Gorki, mit denen er oft den Puls der Zeit traf. Besonders legendär seine Inszenierung von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“, eine Paraphrase auf Tschechows „Drei Schwestern“, nur dass die Protagonisten sich hier aus der morbiden Stagnation der DDR rausträumten. Anderthalb Jahre später fiel die Mauer.

Harald Juhnkes mitunter schwankender Hauptmann von Köpenick ist Berliner Theatergeschichte

Nach der Wende profilierte Bernd Wilms das Haus als moderne Unterhaltungsbühne, besonders erfolgreich in seiner Ära war Katharina Thalbachs Inszenierung von Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ mit Harald Juhnke in der Titelrolle. Mitunter musste die Regisseurin aber in die Hosenrolle einspringen, wenn der Alkohol den abendlichen Dienstantritt des notorisch trinkfreudigen Boulevardstars verhinderte.

2001 folgte Volker Hesse auf Wilms, nach dessen glückloser Intendanz das Haus allerdings von der Politik fast geschlossen worden wäre. Doch mit Armin Petras und seinem besonders auf zeitgenössische Autor:innen setztenden Spielplan, er entdeckte auch Rainald Grebe als Autor und Regisseur fürs Theater, wurde das kleinste und finanziell am schlechtesten ausgestattete Berliner Staatstheater künstlerisch und beim Publikum wieder erfolgreich. Daran schloss 2013 dann Shermin Langhoff mit oben erwähnter ganz eigener Profilierung des Hauses an.

Falilou Seck hat Blumen für die Damen: Das Foto von 1979 in seienr Hand zeigt Monika Lennartz, Ursula Werner und Swet­lana Schönfeld als „Drei Schwestern“. Heute ist das Ensemble diverser aufgestellt. Foto: Esra Rotthoff

Mit einer Inszenierung von Thomas Langhoff (übrigens der Ex-Schwiegervater der heutigen Intendantin) blickt das Gorki am 1. Oktober nun auf seine Vergangenheit zurück. Langhoffs „Drei Schwestern“-Inszenierung von 1979 mit Monika Lennartz, Ursula Werner und Swetlana Schönfeld in den Titelrollen erwies sich damals als Repertoirerenner fürs Gorki. Auf 157 ausverkaufte Vorstellungen kam die Produktion, 1984 wurde sie vom DDR-Fernsehen verfilmt, Regie führte auch hier Thomas Langhoff.

Zum Gorki-Jubiläum nimmt sich Hausregisseur Christian Weise nun diese Verfilmung zur Blaupause, um dem damaligen Zeitgeist und Lebensgefühl nachzuspüren.

„Mich interessiert das Genre des Reenactment“, sagt Weise, „aber nicht als schlichte Nachinszenierung des Originals. Wir dekonstruieren den Film von 1983, bei dem Langhoff seine Theaterinszenierung ja in ein anderes Medium übersetzt hatte. Der Film läuft im Hintergrund und wird von den Schauspielern davor synchron nachgespielt und -gesprochen. Es gibt natürlich Brüche, wir spielen auch Interviews ein, die wir mit Schauspielerinnen von damals, Monika Lennartz, Ursula Werner und Ruth Reinecke, geführt haben, um das damalige Lebensgefühl und die Stimmung im Haus zu ergründen. Dadurch entsteht so ein Zwischenraum, eine Ebene zwischen der Zeit damals und dem Heute.“

Die „Drei Schwestern“ heute: in rein männlicher Besetzung

Die Transformation spiegelt auch die hier rein männliche Besetzung, die zudem mit Emre Aksızoğlu, Karim Daoud, Tim Freudensprung, Kinan Hmeidan, Oscar Olivo und Falilou Seck deutlich postmigrantisch gefärbt ist. Ein Blick nach damals ins Heute.

Am 29. Oktober gibt es im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch mit Monika Lennartz und Ursula Werner, zwei der Original-„Drei Schwestern“ von 1979, sowie Ruth Reinecke, die damals die ungeliebte Schwägerin Natascha spielte. Anschließend lädt das Gorki ab 22 Uhr zur Party mit DJ Bariş und Sarah Farina. Die Nummer 1 der DDR-Hitparade von 1979, Ute Freudenbergs „Jugendliebe“, wird aber wohl eher nicht aufgelegt.

  • Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte, Premiere „Drei Schwestern“: 1.10., 19.30 Uhr, 3. , 28. + 30.10., 20.30 Uhr, 16, erm. 8 € / 70 Jahre Gorki – Jubiläumsparty, 29.10., 22 Uhr; Tickets und weitere Infos Website

/TR

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