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Hochstaplertheater

Alexander Eisenach inszeniert „Felix Krull“ am Berliner Ensemble als genialen Influencer

Hier spielt das Theater mit sich selbst. Der ansehnliche junge Mann (Marc Oliver Schulze), eine elegante Erscheinung im Frack, schmachtet seine Violine an wie eine Geliebte.

Foto: JR Berliner Ensemble

Er arbeitet sich mit ihr durch die Triller, Hochgeschwindigkeitspirouetten und Verzierungen eines Vivaldi-Konzerts wie durch einen ausgiebigen Liebesakt mit sich selbst. Er tänzelt, er strahlt, er kostet die Töne mit Kennermiene aus und flirtet kokett mit dem Publikum, als wollte er bei jedem Geigenstrich sagen: Bin ich nicht wunderbar? Können Sie anders als dahinzuschmelzen wie Austern auf der Zunge? Was haben Sie für ein Glück, dass Sie die gleiche Luft wie ich atmen dürfen! Die Show ist ein Bluff, logischerweise.

Als der Virtuose der Selbstbezauberung zwischendurch die Geige absetzt, geht die Musik aus dem Off ungestört weiter. Dem Selbstgenussauftritt tut das keinen Abbruch, schließlich ist der Frackträger kein spießiger Leistungsträger, sondern ein Lebenskünstler, dessen Kunst gerade darin besteht, ohne unnötige Arbeitsanstrengung bella figura zu machen. Dem vollsouveränen Narziss kann es egal sein, was den Vorwand zu seiner Selbstfeier vor den Augen einer staunenden Welt liefert.
Alexander Eisenach setzt den Auftritt des Geigers an den Beginn seiner „Felix Krull“-Inszenierung am Berliner Ensemble. In Thomas Manns Roman ist das Fake-Geigenspiel zur Verblüffung eines Kurkonzertorchester-Publikums eine Kindheitserinnerung, in der der müde, von den Anstrengungen seiner Selbstfaszinations-Existenz erschöpfte Hochstapler Krull schwelgt wie in einem letzten Rest glücklicherer Tage.

Bei Eisenach ist es fast schon der Kern seines Krull-Porträts, in dem die Schmierentheaterbiografie seines anmutigen Helden und das Theater, auf dem er sie jetzt noch einmal vorführt, ineinander kippen. Nach diesem Intro macht sich Eisenach erst gar nicht die Mühe, den Roman nachzuerzählen. Stattdessen nimmt er einige lose miteinander verknüpfte Szenen, um das Motiv, das ihn interessiert, zu variieren: das soziale Leben als unverbindliches Rollenspiel, der Ego-Performer Krull als Genie der Selbstvermarktung – und Vorläufer heutiger Influencer, die den Narzissmus zum Beruf und das Selbstdarsteller-Ich zum Label machen.

Das wird manchmal zum Haudrauf-Kabarett, wenn Krull als Hotelpage in Paris an der großen Welt schnuppert und Sina Martens und Jonathan Kempf als Knallchargen-Clowns aus den Logen launige Kommentare abfeuern. Oder die Regie wird überdeutlich, wenn Krull kurz zum Youtuber mutiert, der für Save-the-Planet-Kaffeebecher wirbt.

Auch vor plumpen Kalauern („Thomas, alter, weißer Mann“) und Theaterinsiderspäßchen schreckt die Aufführung nicht zurück. Aber dann beschleunigt Eisenach das Spiel mit den leer gewordenen Signalreizen: Wenn eh alles Show und im Grunde egal ist, geht es im (Bühnen-)Leben zwar um nichts mehr, das aber mit Karacho. Also posiert der Krull-Dasteller Schulze mit Goldhelm und goldenem Lendenschurz und lässt sich mit blauer Farbe bewerfen: „Das ist die Verdichtung von nicht deutbaren Zeichen!“ Aha.

Termine: Felix Krull am Berliner Ensemble Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte

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