Das ist kostenneutrales, umweltfreundliches und politisch korrektes Theater. Die Britin Katie Mitchell setzt an der Schaubühne im neuesten Stück ihres Landsmanns Duncan Macmillan zwei junge Schauspieler auf fest fixierte Räder und lässt sie die Energie selber herstellen, die es benötigt, damit sie auf der Bühne im Licht sitzen.
Denn ein verantwortlicher Mensch ist ein effizienter Mensch, und das sind die beiden (Lucy Wirth, Christoph Gawenda) ohne Frage. Sie sind das perfekte Paar mit dem perfekt schlechten Gewissen, obwohl sie Fairtrade kaufen, den Müll trennen und im Kino nur Filme im Original mit Untertiteln schauen. Mitchell hat sie in eine Kunstinstallation eingebunden, und dort sind sie Teil eines Effizienz-Systems, das sie auf ihrer Tretmühle selber am Laufen halten.
Schwangerschaft, Fehlgeburt, Trennung, Versöhnung: Der Abend ist ein beziehungstechnischer Schnellkochtopf. Alles beginnt damit, dass er, an der Kasse von Ikea, die Frage nach einem Kind stellt. Doch sind Kinder ökologisch vertretbar? Mit zehn Tonnen CO2 wird ein neuer Mensch die alte Welt einmal belasten Da könnte ja einer sieben Jahre lang nonstop von Berlin nach New York und wieder zurückfliegen. Darüber räsonieren Sie und Er, während man im dialogischen Schnellverfahren die Beziehung aushandelt, wobei aus Gewissheit Zweifel werden und sich Betrug und Selbsttäuschung abwechseln.
„Atmen“ heißt die Suada und frontale Publikumsbeschießung in physisch und ideologisch festgezurrtem Zustand, „Lungs“. Man kann sie eine Zumutung nennen, denn die szenische Handlung tendiert gegen Null. Und oft ist der Klischeefaktor der Argumente so hoch, dass sich im ertappten Publikum die Nägel kräuseln. Macmillan bringt das Dilemma der modernen Mittelschicht sprachlich auf den Punkt, und das ist zum Schreien komisch.
Text: Daniele Muscionico
Foto: Stephen Cummiskey
tip-Bewertung: Annehmbar
Atmen Schaubühne, Do 19.?+?Fr 20.12., 20.30 Uhr, Karten-Tel. 89 00 23