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Interview

Brechts Gespenster: Suse Wächter lässt am BE die Puppen spielen

Suse Wächter inszeniert am Berliner Ensemble „Brechts Gespenster“. Wächter wurde in der DDR geboren – und ist eine so bekannte wie ausgezeichnete Puppenspielerin. Regisseure wie Tom Kühnel, Robert Schuster, Julian Rosefeldt und Jürgen Kuttner wissen ihre stets eigenhändig gebauten und selbst animierten Puppen für ihre Inszenierungen zu schätzen. Ein großer Erfolg wurde Suse Wächters Produktion „Helden des 20. Jahrhunderts“. Wir haben mit ihr über ihre neue Arbeit gesprochen.

Suse Wächter, Puppenspielerin, spielt am Berliner Ensemble „Brechts Gespenster“. Foto: Tobias Kruse/Ostkreuz

tipBerlin Frau Wächter, Sie sind Puppenspielerin und Regisseurin. Wer macht sich besser auf der Bühne, die Puppe oder der Mensch?

Suse Wächter Kommt ganz darauf an, würde ich sagen. Es gibt natürlich Dinge, die nur lebendige Künstlerinnen und Künstler können, doch auch Puppen haben ihre Vorteile. Zum einen kriegen sie nicht Corona … Nein, Scherz beiseite: Mit Puppen kann man einen hohen Grad an Abstraktion erreichen und zum Beispiel Brechts Schauspieltheorien sinnlich und amüsant zeigen. Der Verfremdungseffekt, kurz V-Effekt genannt, und der „Abstand zur Rolle“, die Brecht für sein episches Theater so wichtig waren, ist mit Puppen wunderbar zu verkörpern.

tipBerlin Ihr neues Stück am Berliner Ensemble heißt denn auch „Brechts Gespenster“. Worum geht es darin?

Suse Wächter Bertolt Brechts schöpferischer Kosmos war ja von vielen Referenzgrößen erfüllt, und ein paar davon lasse ich jetzt wieder auftauchen. Das sind Zeitgenoss:innen wie Franz Kafka, Marlene Dietrich, Max Reinhardt oder Adolf Hitler, aber auch Lenin und Karl Marx, die wichtig für Brechts Denken waren, ebenso wie der chinesische Philosoph Laotse. Man wird Brecht dank der Puppen aus einem anderen Blickwinkel sehen und hoffentlich den nicht unbeträchtlichen Unterhaltungswert seiner durchaus komplizierten Theorien sinnlich erfahren können.

tipBerlin Stimmt es, dass Sie alle Ihre Puppen selbst bauen und mit einer fremden gar nicht arbeiten könnten?

„Brechts Gespenster“ von Suse Wächter, Regie: Suse Wächter. Foto: Jörg Brüggemann

Suse Wächter Ich habe an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Puppenspiel studiert und seitdem baue ich alle meine Puppen selbst. Das liegt an meinen Ansprüchen an sie, schließlich sollen sie die Inszenierungen tragen. Sie sind für mich wie ein Instrument. Und wenn sie fertig sind und meinen Erwartungen genügen, sind sie für mich wie eine Stradivari – einzigartig, kostbar, wunderbar zu spielen.

tipBerlin Welche Materialien benutzen Sie dafür?

Suse Wächter Ich modelliere sie aus Ton, Kautschuk, Schaumstoff, Latex. Außerdem recycle ich gern. Wenn ich ein Stück Holz oder Leder auf der Straße entdecke, kann es sein, dass ich es weiterverwende. Zudem arbeite ich viel mit Stoff. Beim Nähen bediene ich mich immer noch aus dem Nähkästchen meiner Großmutter. Sie hat mir so viele Garnrollen hinterlassen, dass ich bis heute davon zehren kann.

tipBerlin Wie gelingt es Ihnen, dass Ihre Puppen so lebensecht wirken?

Suse Wächter Ich arbeite anatomisch und baue menschliche Körper nach. Dafür nehme ich, was ich kriegen kann. Ich verstehe meine Puppen als Skulpturen, die sich bewegen können und scheinbar lebendig sind. Manchmal fühle ich mich wie eine kleine Frau Doktor Frankenstein: Ich schenke den Puppen Fleisch und Knochen, ich ziehe ihnen eine Haut über. Um ihr Antlitz gestalten zu können, sammle ich unzählige Fotos und studiere sie, bis ich einen typischen Ausdruck gefunden habe, der eben zur jeweiligen Inszenierung passt.

tipBerlin Sie haben sogar eine täuschend ähnliche Puppe mit dem Gesicht von Cate Blanchett gebaut, die man in dem preisgekrönten Film „Manifesto“ von Julian Rosefeldt bewundern kann.

Suse Wächter Oh ja, das war aufregend, denn Cate Blanchett tritt in einer Szene als Puppenspielerin und Puppenbauerin auf. Sie trägt André Bretons „Manifest des Surrealismus“ aus dem Jahr 1924 vor, umgeben von allen möglichen Puppen, die unter anderem Stalin, Churchill, auch Marilyn Monroe darstellen. Dann erschafft sie eine Puppe nach ihrem Ebenbild. Ich durfte Cate Blanchett für die Puppenanimation coachen. Mit ihrer künstlerischen Intelligenz hat sie alles sehr schnell erfassen und großartig umsetzen können. Sie spielte ihre Rolle – mit sich selbst als Puppe neben sich. Diese Distanz hätte Brecht gefallen!

„Brechts Gespenster“: Matthias Trippner, Suse Wächter, Martin Klingeberg (von links). Foto: Jörg Brüggemann

tipBerlin Woher bekommen Ihre Puppen eine Stimme?

Suse Wächter Ich spreche ihre Texte, manchmal singe ich auch. Wir verstehen uns prima.

tipBerlin Oft assoziiert man Puppentheater mit Kindertheater, doch nicht bei Ihnen, oder?

Suse Wächter Ich wollte immer schon Theater für Erwachsene machen. Meine Puppen haben wahrscheinlich zu wenig Niedlichkeit und sind für Kinder kaum als Spielzeug erkennbar, das erschreckt sie, habe ich festgestellt. Sie können die surreale Verdichtung und die Komplexität der Nachbildung nicht dekodieren und beginnen sich zu gruseln, und das möchte ich nicht.

tipBerlin Zucken Sie nicht auch mitunter zusammen, wenn Sie Ihre Werkstatt betreten und da schaut Sie aus einer Ecke Friedrich Nietzsche über seinem üppigen Schnurrbart an?

Suse Wächter Nein, ich bin daran gewöhnt, dass meine Puppen beim Arbeiten um mich herum sind. Oder dass ich sie in einen Koffer packe und zum nächsten Auftritt mitnehme. Aber ich weiß, dass sich manchmal die Kostümschneider:innen erschrecken, wenn sie morgens in ihre Theaterwerkstatt kommen und dort eine lebensgroße Puppe von mir rumsitzt, die auf die Anprobe wartet.

tipBerlin Ihre Produktion war ursprünglich im Sommer als Open-Air-Aufführung auf der kleinen Bühne im Garten des Berliner Ensembles geplant. Nun sind Sie ins Großen Haus umgezogen …

Suse Wächter Bei der Bauprobe im Großen Haus haben wir alles überprüft und beschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Wir bespielen die Vorbühne, das Publikum wird nur im Parkett und im 1.Rang sitzen. Da werden alle gut sehen. Und hoffentlich ihren Spaß haben!

  • Berliner Ensemble Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, Mi 21.9., Do 22.9., Fr 23.9., Mo 26.9., jeweils 19.30 Uhr, 8–35 €, mehr Infos online

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