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Nach dem Wasserschaden: Christoph Niemann rettete den Boden des BE

Der berühmte Illustrator Christoph Niemann konnte dem schlimmen Wasserschaden im Berliner Ensemble etwas Gutes abgewinnen: Den ruinierten Bühnenboden verarbeitete er in fünf Panels als grafische Wanddekoration in der Kantine.

Ein wacher Blick auf unsere Zeit: Christoph Niemann. Foto: Jana Vollmer

Aus einem fatalen Wasserschaden machte Christoph Niemann Kunst

Kantinen sind lebenswichtige Orte – nicht nur im normalen Berufsalltag, sondern auch in der Theaterwelt mit ihrem kreativen Geflecht aus Hauptbühne, Studiobühne, Probebühne, Büros, Werkstätten. Früher allein den Mitarbeitenden vorbehalten, ist inzwischen längst das Publikum als Gast zugelassen, ob vor oder nach den Aufführungen und zwischendurch zum preiswerten Mittagstisch mit der Aussicht auf Schauspieler:innen beim Suppelöffeln. Die Kantine des Berliner Ensembles besaß schon immer eine markante Aura, was natürlich an Bertolt Brecht und Helene Weigel lag, die hier einst ein- und ausgingen. Mit dem Amtsantritt von Claus Peymann 1999 wurde sie modernisiert. Nachdem die gemütliche Räuberhöhle im Souterrain von den Ablagerungen des kontinuierlichen Nikotin-, Bier- und Bratwurstverzehrs befreit worden war, erschien sie freilich vielen als kalt und unpersönlich. Auf Peymann folgte Oliver Reese und wieder wurde alles ein bisschen anders, begleitet vom Gemurre der einen, von der Zustimmung der anderen.

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Der komplette Bühnenraum des BE stand unter Wasser

Und dann sprang am 5. April dieses Jahres im Großen Haus plötzlich und grundlos die Sprinkleranlage an. Rund 15.000 Liter Wasser setzten den kompletten Bühnenraum sowie die Unterbühne unter Wasser. Bis heute ist der entsetzliche Schaden nicht behoben. Der Spielbetrieb konnte erst Ende August regulär wieder aufgenommen werden. Einige Tage nach dem Unfall war Intendant Oliver Resse mit dem berühmten Grafiker und Illustrator Christoph Niemann im Haus verabredet, um über die Neugestaltung der Kantine zu reden. „Meine Ideen entstehen normalerweise im Prozess des Arbeitens“, erzählt Niemann. „Ich fange mit einem Motiv an und durch Hinzufügen und Wegnehmen ergeben sich variable Lösungen und schließlich meine Bilder.“

So sieht die von Christoph Niemann gestaltete Kantine des Berliner Ensembles aus. Foto: Moritz Haase

Aber im BE war alles anders: Da sah er den kaputten, durchnässten Bühnenboden, der herausgerissen und entsorgt werden muss, er sah die Patina des Gebrauchs durch die jahrzehntelange Abnutzung im Dienste der Theaterkunst – und war sofort begeistert. Er beschloss, mit dem eigens zurechtgeschnittenen Holz fünf Panels zu schaffen, die er für die fünf Nischen über den Sitzbänken in der Kantine verwenden wird. „Wir hängen den Boden an die Wand!“, freut sich Niemann. „Denn mit diesen Panels geraten die Spuren all der Menschen, die jemals über die Bühne des BE gegangen sind, ob Künstler:innen, Techniker:innen oder Servicekräfte, auf ganz neue Art ins Bewusstsein und vor die Augen aller. Das finde ich wunderbar. Wer in der Kantine sitzt, sitzt bald zugleich mitten auf der Bühne.“

Illustrator Christoph Niemann: „Wer in der Kantine sitzt, sitzt zugleich mitten auf der Bühne.“

Christoph Niemann, geboren 1970 in Waiblingen, ist ein Star unter den Grafikern. Nach dem Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart lebte er ab 1997 für elf Jahre in New York, ehe er sich in Berlin niederließ. Er entwirft regelmäßig die Titelseiten unter anderem von „The New Yorker,“ „The New York Times Magazine“ – und exklusiv auch für die August-Ausgabe des tip!

Neben seinem künstlerischen Esprit und dem wachen Blick für unsere Zeit hat er auch viel Humor – und Sportsgeist. Beim New York Marathon 2011 rannte er nicht einfach mit, sondern zeichnete, fotografierte und twitterte dabei außerdem. Wer ihn nicht von seinen Bildern oder Büchern (wie „Abstract City. Mein Leben unterm Strich“) kennt, hat vielleicht einmal das 31 Meter lange Fliesen-Mosaik „Wir sind Berliner“ im Fußgängertunnel des S-Bahnhofs Wannsee bewundert. Bei Netflix gibt es eine schöne Dokumentation über ihn, die zeigt, wie akribisch und fantasievoll er zu arbeiten pflegt. Nach den unzähligen Illustrationen, die er im redaktionellen Kontext kreierte, sucht er inzwischen gern neue Herausforderungen als freier Künstler.

Die Autorin dieses Textes im Gespräch mit dem Illustrator Christoph Niemann, der den Boden des BE gerettet hat. Foto: Jana Vollmer

„Die Bretter, die die Welt bedeuten“

Die Umgestaltung der BE-Kantine kam ihm da gerade recht: „Dieser alte Bühnenboden ist ein auratisches Geschenk für uns, das wir auf keinen Fall wegwerfen dürfen! Die Geschichte hängt in all seinen Holzfasern drin. Es sind wirklich die Bretter, die die Welt bedeuten.“ Für die fünf Panels mit den Maßen 4 x 1,6 Meter hat er sich eine Story ausgedacht, die er in seiner grafisch-abstrakten Bildsprache erzählen wird: Man kann wie bei einem raffiniert zusammengefügten Puzzle einen Haifisch mit Zähnen entdecken und einen Menschen mit einem Messer – und wird unweigerlich an Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ denken. Man wird Schauspieler erkennen, die darauf warten, dass sich der rote Vorhang endlich öffnet, und wie sie sich am Schluss verbeugen. Und ihnen gegenüber hat sich eine bunt durcheinander gewirbelte Masse ausgebreitet, die man als das Publikum identifizieren kann, das stürmisch applaudiert.

Für Christoph Niemann ist dieser narrative Bogen zwingend: „Theater ist ja keine Einbahnstraße, sondern ein Dialog. Deshalb soll meine Bilderserie mit den Zuschauer:innen enden. Wo können die Schauspieler:innen sie abholen, was können sie miteinander erleben?“ Seine Farbpalette hat er direkt in der Kantine entwickelt: Braun wie das Stäbchenparkett, rot und schwarz, wie das Mobiliar –, und ein Weiß, das Wände und Decken bestimmt. Wie sich seine Entwürfe in der Praxis genau realisieren lassen werden, weiß bisher noch niemand, das wird der von Christoph Niemann so favorisierte Prozess hervorbringen – im engen Kontakt mit einer Theatermalerin, den Schreinern und sonstigen handwerklichen Profis des BE. Niemann begreift sich als ein Teil davon: „Es geht nicht darum, dass die Leute sagen, wie gut ich zeichnen kann. Es geht darum, dass sie sagen: Oh, das ist ein gutes Bild!“

  • Berliner Ensemble Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, Tel. 284 08 155, online
  • Vernissage mit Christoph Niemann, in der Kantine des Berliner Ensembles, Di 24.9., 19 Uhr, Eintritt frei
  • Arthur Miller: Tod eines Handlungsreisenden. Regie: Max Lindemann. Premiere: 12.9., 20 Uhr, Neues Haus
  • Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun? Regie: Frank Castorf. Premiere: 14.9., 19 Uhr, Großes Haus

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