Der britische Dramatiker Michael Frayn lässt in seinem Stück „Demokratie“ die Kanzlerjahre Willy Brandts Revue passieren: Eine kleine Zeitreise in die alte Bundesrepublik, als Politiker noch Politiker und nicht nur austauschbare Niemande mit Teiggesichtern waren. Das Regieduo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner macht daraus etwas, was der Autor und sein Dramenpersonal von Willy Brandt bis Herbert Wehner und Helmut Schmidt vermutlich selbst in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet hätten: Ein Musical, in dem die Schlager der 70er Jahre für Zeitkolorit und gute Laune sorgen. Brechts guter alter Verfremdungseffekt geht auf den Boulevard und fängt an zu tanzen – und das ist das beste, was Frayns Stück und den harten, grauen, weltkriegs- und emigrationsgestählten Pfeifenrauchern und Anzugträgern im Bonner Bundeskanzleramt passieren konnte. So wie der coole Felix Goesser Willy Brandt als melancholisch verschatteten Charismatiker, Gelegenheitsalkoholiker und Womanizer spielt, will man sofort SPD wählen. Etwas von der 70er-Jahre-Aufbruchsstimmung schwappt dank des Musical-Formats aufs schönste durch die Inszenierung. Der undurchsichtigste, also faszinierendste Charakter ist natürlich nicht der DDR-Spion Guillaume (Daniel Hoevels), sondern der Ex-Kommunist und Hardcore-Apparatschik Herbert Wehner. Bernd Stempel spielt ihn gekonnt verkniffen, mit dem kaputten Charisma eines Mannes mit zu harten biografischen Brüchen. Ein witziger, cleverer, gute Laune machender Abend.
Text: Peter Laudenbach
Foto: Arno Declair
tip-Bewertung: Sehenswert
Demokratie Deutsches Theater, 28.9., 6.10., 19.30 Uhr, 9., 12.10., 20 Uhr, Karten-Tel. 28 44 12 21