
Ulrich Khuon Ich würde den Start mit einer Ruderregatta vergleichen. Da muss man auch auf den ersten 500 Metern die Schlagzahl extrem hoch halten. Ich halte nichts davon, in den ersten zwei Tagen 25 Premieren zu zeigen, das kann man nicht seriös leisten. Aber wir wollen schon bis Ende Dezember das Programm so auffächern, dass man sieht, was wir hier wollen.
tip Ist die hohe Schlagzahl am Anfang auch hilfreich, damit die neu engagierten Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen, diejenigen, die Sie aus Hamburg mitbringen, und die, die schon länger am Haus sind, zu einem Ensemble zusammenwachsen?
Khuon Ja, klar. Man lernt sich ja nur durch Arbeit kennen und nicht durch abwarten.
tip Wie erleben Sie die Unterschiede zwischen Hamburg und Berlin?
Khuon Berlin ist jünger. Hamburg ist einerseits sehr wohlhabend und andererseits in bestimmten Stadtteilen sehr arm. Die Schere ist groß, die Milieus und die Stadtteile sind deutlich separiert. In Berlin sind die Stadtteile durch die vielen Veränderungen seit der Wiedervereinigung und durch die vielen jungen Leute, die in die Stadt ziehen, nicht so abgegrenzt wie in Hamburg, glaube ich. Es wird nicht so vor sich hergetragen, wo man herkommt. Die Frage „Wo wohnen Sie“ ist in Hamburg eine Frage nach der sozialen Eingruppierung, hier nicht.
tip Und wo wohnen Sie?
Khuon In Pankow, am oberen Rand vom Prenzlauer Berg.
tip Ist in Berlin das Risiko größer, dass man nicht wahrgenommen wird, einfach weil das Kultur-Angebot so groß ist? Muss man in Berlin etwas lauter auf sich aufmerksam machen?
Khuon Das muss die Kunst ja sowieso. Aber die pure Lautstärke, die nur das Megafon aufdreht, bringt nichts. So ein greller Posaunenstoß am Anfang verpufft schnell, wenn er nicht abgedeckt wird durch Qualität und Intensität. Bernd Wilms, mein Vorgänger am DT, hat mir gesagt, die Inszenierungen laufen entweder sehr gut oder sehr schlecht, in der Publikumsreaktion sind die Ausschläge nach oben und nach unten offenbar extremer als zum Beispiel in Hamburg. Vielleicht ist das typisch für Berlin.
tip Passt so ein höflicher Mensch wie Sie in so eine eher ruppige Stadt?
Khuon Das muss man mal abwarten. Ich suche die Außenbeziehung und nicht nur die totale Binnenversicherung innerhalb des Theaters.
tip Ist das ein typische Theater-Gefährdung: Außenwelt kaum noch wahrzunehmen, weil man einfach den ganzen Tag und die halbe Nacht im Theater ist?
Dazu gehört auch, dass man mit einzelnen Projekten gezielt in die Stadt geht. Und dazu gehört Austausch mit anderen Künsten, mit Literatur zum Beispiel. Diese Außenbeziehungen sind wichtig. Theater ist ein dialogischer Vorgang. Das ist nicht wie Lyrik, die zunächst keine Außenwelt braucht.
tip Sie haben für einen Theatermann etwas Erstaunliches studiert: Theologie. Was hat das Theater mit Theologie zu tun?
Khuon Na ja, man studiert ja Theologie, weil einen der Mensch interessiert. Wenn man das Christentum so versteht, wie es im Alten und Neuen Testament steht, ist ja die Nächstenliebe die Hauptaufgabe. Das ist in der Kunst auch so.