kritik

„Legende“ an der Volksbühne

Janfilip Geldsack entdeckt den Kommunismus! Stefan Pucher surft durch Ronald M. Schernikaus Roman-Monster Legende

v.l.n.r.: Sebastian Grünewald, Ueli Jäggi, Katharina Marie Schubert
Foto: Thomas Aurin

Der schwule Schriftsteller und Kommunist Ronald M. Schernikau (1960–1991) muss im Subkultur-West-Berlin der späten 1980er-Jahre eine besonders bezaubernd schillernde Figur gewesen sein. Weil er überzeugt war, dass nur der Kommunismus die leuchtende Zukunft (und zum Beispiel West-Berlin nichts als eine Endmoräne der Geschichte, ein trauriges Überbleibsel der Vergangenheit) sein kann, siedelte er konsequenterweise in die Hauptstadt der DDR über. Als es die DDR schon fast nicht mehr gab, im September 1989, nahm er die DDR-Staatsbürgerschaft an. Kein Wunder, dass ihn Peter Hacks, ein Fachmann für poetisch interessantes Ideologie-Borderlinertum, erklärtermaßen für den „letzten normalen Menschen“ hielt. Vor seinem frühen Tod an den Folgen einer HIV-Infektion konnte Schernikau noch sein überbordendes Hauptwerk, den gut 1000-seitigen Kommunismus-Comic-Science-Fiction-Roman-Brocken „legende“ vollenden – ein großer Spaß, eine mit allen Wassern von Pop und schwuler Lebenskunst und Freude gewaschene Ästhetik des Widerstands in Zeiten der Konterrevolution. Vor kurzem hat der Verbrecher Verlag das Buch dankenswerterweise wieder zugänglich gemacht.

Stefan Pucher wagt sich an der Volksbühne an eine Bühnenadaption im Stil eines Brecht-Krippenspiels, was schon mal nicht das Schlechteste ist. Die Handlung des Ideologie-Märchens ist natürlich reines Wunschdenken: Janfilip Gedsack, Erbe eines Schokoladenimperiuns, will sich selbst „als Kategorie“ abschaffen und verliebt sich in eine Kommunistin. Dass ihn Sebastian Grünewald als Jüngling im Anzug, dafür aber mit Schlingensief-Frisur spielt, kann als Hinweis auf die gespaltene Persönlichkeit dieses am Kapitalismus leidenden Kapitalisten durchgehen.

Marianne und Ulrike

Dass der schwermütige Pate des Schokoladenimperiums, Herr Tattergreis (Melancholie trifft Komik: Ueli Jäggi), hoffnungs- und chancenlos in ihn verliebt ist, treibt die Handlung zwar nur mäßig voran, sorgt aber immerhin für stete Schokoladenversorgung im sozialistischen Lager. Des weiteren treten auf: Marianne Rosenberg, Ulrike Meinhof, Thomas und Klaus Mann, Lydia, die die kommunistische Partei regiert, der stinknormale Stino, Tete, der Tuntentraum, Fifi und natürlich Schernikau persönlich. Die Aufführung ist etwas zu lahm und behäbig, gewinnt im zweiten Teil aber erfreulich an Schwung und ist als unterhaltsames Requiem auf die alten Utopien ein hübsches Weihnachtsmärchen für nostalgische Kommunisten.

Volksbühne, So 12.1., 18 Uhr, Sa 25.1., 19.30 Uhr, 10–30 €

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