Wir sind nicht am Grabbeltisch bei Humana, wir sind im Totenreich. Jan Bosse hat „Antigone“ inszeniert und dafür Friedrich Hölderlins Übersetzung mit Passagen aus dem „Hyperion“ montiert. Aber trotzdem will angesichts der Kleiderberge den ganzen Abend über die pietätlose Humana-Assoziation nicht ganz weichen. Irgendwie wirkt das alles wie Pathos aus zweiter Hand: recycelter Tiefsinn, Bedeutungsschwere vom Dramaturgen-Grabbeltisch.
Der Chor ist gestrichen, Chortext wird gnadenlos psychologisiert und auf etwas diffus Gefühliges runtergedimmt. Je größer, betroffener, psychologietriefender der Antigone-Darstellerin Anja Schneider ihre Auftritte geraten, desto kleiner und banaler wird ihre Figur: keine Tragödin, sondern ein Girlie mit Befindlichkeitsstörungen. Keine, die in der Unbedingtheit ihrer Liebe alle Gesetze der Staatsräson beiseite wischt, sondern ein Dummchen, das gar nicht weiß, was es mit seinem Gerede anrichtet. Wäre der Herrscher Kreon, robust gespielt von Ronald Kukulies, nicht so eine Knallchargen-Karikatur eines nicht allzu hellen populistischen Politikers, fast müsste man angesichts der Betroffenheitsmaus Antigone Mitleid mit ihm bekommen. Denn indem Antigone ihren im Krieg gegen Theben gefallenen Bruder beerdigen will, gefährdet sie Thebens Staatsräson, die Kreon schützen muss. Die Inszenierung denunziert Kreon: Wie er seine Reden ans Volk im Zuschauerraum hält, hat er etwa die Aura und moralische Glaubwürdigkeit eines Gebrauchtwagenhändlers. Die Tragödie, die Bosse mit all seinen atmosphärischen Feierlichkeitszutaten ja ganz offensichtlich inszenieren will, landet in der Posse.
Weit ernster zu nehmen, härter und klarer sind die Auftritte Hyperions. Er verschmilzt hier mit dem toten Polyneikes, dem Bruder Antigones, der als feindlicher Krieger Thebens von der Thebanerin Antigone nicht bestattet werden darf. Als immer wieder aus den Kleiderbergen wie aus dem Totenreich Aufstehender und Auferstehender wird Hyperion zum Boten aus dem Jenseits. Sebastian Rudolph, der einzige überzeugende Schauspieler des Abends, gibt ihm Dringlichkeit und gedankliche Schärfe, aber leider irrlichtert er dabei wie ein Fremdkörper durch diese gedanklich konfuse, szenisch beliebige Inszenierung.
Text: Peter Laudenbach
Foto: Thomas Aurin
tip-Bewertung: Uninteressant
Antigone Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte
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