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Ibsen-Performance

Lars Eidinger über Peer Gynt, Shitstorms, Ledertaschen und das Zeitalter des Narzissmus

Lars Eidinger kommt gerade von der Probe. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler und Documenta-Teilnehmer John Bock arbeitet er an einer „Peer Gynt“-Performance, Mitte Februar zeigen sie ihre Premiere an der Schaubühne. Bock und Eidinger, der Aktionskünstler und der Schauspieler, sind Grenzgänger, die unterschiedliche Künste miteinander kurzschließen – Theater und bildende Kunst, oder bei „Peer Gynt“ einen Ibsen-Klassiker des bürgerlichen Theaters des 19.Jahrhunderts mit sehr heutiger Performancekunst. Eidinger selbst ist als Schauspieler ein Star der Schaubühne, im Kino und im Fernsehen war er zuletzt unter anderen in „Babylon Berlin“, als Brecht in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ und im Film „25 km/h“ zu sehen. Er arbeitet seit vielen Jahren als DJ („Autistic Disco“), stellt seine Fotos aus und bespielt mit ihnen seinen Instagram-Kanal. Der Selbstdarstellungsvirtuose hat dort über 100.000 Abonnenten – wenn es für eine Theateraufführung mit ihm noch Karten gibt, meldet Eidinger das einfach auf dieser Plattform.

Wie hält man die eigenen Widersprüche aus? Lars Eidinger in „Peer Gynt“, Foto: Christiane Rakebrand

Lars Eidinger Geboren 1976 in Berlin. Seit 1999 Ensemblemitglied der Schaubühne. Von 1995–99 Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Parallel zur Schauspieltätigkeit verschiedene musikalische Arbeiten: 1998 Veröffentlichung der 10-Single „I’ll Break Ya Legg“ bei dem Berliner Label STUD!O K7. DJ in Berliner Clubs. Seit 2005 ebenfalls Arbeiten als Filmschauspieler, u. a. im Kinofilm „Alle Anderen“ (Regie: Maren Ade, 2009), „Was bleibt“ (Regie: Hans-Christian Schmid, 2012). 2014 erhielt er den Grimme Preis in der Kategorie Bester Schauspieler für seine Rolle in „Grenzgang“. Daneben Mitwirkung u. a. in „Polizeiruf 110“, „Tatort“, „Babylon Berlin“.

Dieses Spiel in den unterschiedlichsten Genres ist eine Emanzipation von der Vorstellung, Schauspieler hätten Dienstleister für Regiekonzepte zu sein. Er kennt wenig Scheu vor offensiver Selbstdarstellung, manchmal geht es schief. Als Eidinger kürzlich eine Ledertasche für PB 0110 entwarf, die wie die edle Raubkopie einer Aldi-Tüte wirkt und auf 250 Exemplare limitiert ist, gab es Ärger. Eidinger machte für die 550-Euro-Tasche auf Instagram Werbung und erntete einen Shitstorm und heftige Kritik in diversen Medien. Der Vorwurf: Seine Fotos mit der Designer-Tasche ästhetisierten das Elend, Eidinger posiere als Obdachloser.

tip Herr Eidinger, um was geht es in Ihrem „Peer Gynt“?

Lars Eidinger Um Narzissmus, unter anderem.

tip Das Stück beginnt mit dem Satz: „Peer, du lügst“. In seinen Lügengeschichten erfindet sich Peer ein aufregenderes Leben, vielleicht weil ihm die Welt, in der er lebt, zu klein ist.

Lars Eidinger Ich glaube, er erfindet eine Welt, um sich selbst zu finden. Seine Begegnung mit Solveig, der Frau, in die er sich verliebt, ist die Begegnung mit dem kindlichen Ich. Sein größter Wunsch ist, ihm wieder begegnen zu können. Er muss diesen langen Weg gehen und um die halbe Welt, nach Afrika und Amerika reisen, um am Ende in den Spiegel zu schauen und sich zu erkennen.

tip Die Begegnung mit einem anderen Menschen wird ihm zur Begegnung mit sich selbst – das ist purer Narzissmus. Der andere ist nur dazu da, um sich in ihm zu spiegeln?

Foto: Benjakon

Lars Eidinger Daher rührt die Idee, „Peer Gynt“ als Monolog zu machen. Der selbsternannte Kaiser der Selbstsucht erinnert an Narziss. All die Figuren, denen Peer im Lauf des Stücks begegnet, sind Traumfiguren, er trifft auf seine eigenen Dämonen.

tip Dem Narziss wird die ganze Welt zum Echoraum seines Selbstgesprächs. Kann sich das nur jemand leisten, der keine anderen Sorgen hat als die Selbstveredelung und die faszinierte Beschäftigung mit der eigenen Person? Ist das nah am Beruf des Schauspielers? 

Lars Eidinger Das ist ein Missverständnis, glaube ich. Was ich mache, auf der Bühne als Schauspieler, aber auch mit meinen Fotos, ist ein Moment des Entäußerns. Ich begebe mich in eine extreme Kommunikation mit dem Gegenüber. Das ist kein Selbstgespräch. Das wichtige ist, dass ich mich exhibitioniere. Es geht darum, sich zu zeigen, auch um sich angreifbar zu machen. Es wäre viel risikoloser und leichter, mich zu schützen. Aber genau das mache ich nicht. Ich kann nicht steuern oder kontrollieren, wie andere auf das reagieren, was ich auf der Bühne mache. Darin liegt wahrscheinlich die Erotik des Berufs. Ich weiß noch, wie ich als Jugendlicher auf dem Fahrrad die Beastie Boys gehört habe: „Be true to yourself and you will never fall“. Daran halte ich mich fest. Wenn ich mich davon entferne, bin ich verloren. 

tip Waren Sie von den heftigen Reaktionen auf Ihre Instagram-Fotos mit Ihrer PB0110-Tasche überrascht?

Lars Eidinger Der Begriff Shitstorm stimmt, das kommt mit Gewalt. Die Bilder waren nicht als Provokation gemeint. Ich kann mich nicht gegen Reaktionen auf das, was ich mache, abschotten, das will ich auch nicht. Heute Abend spiele ich vor 500 Zuschauern Hamlet. Natürlich will ich, dass das die Zuschauer bewegt. Als Schauspieler bin ich von der Reaktion des Publikums hochgradig abhängig. Aber wenn einem geballter Hass entgegenschlägt, und wenn dieser Hass kein Gesicht hat, hat das etwas Erschreckendes.

Peer Gynt – Trailer der Schaubühne

tip Der Shitstorm hatte ja einen Auslöser: Ein prominenter Schauspieler inszeniert sich auf Instagram wie ein Obdachloser, mit einer teuren Ledertasche, die er designt hat und mit diesen Bildern vermarktet. Können Sie verstehen, wenn Menschen das anmaßend oder zynisch finden?

Lars Eidinger Natürlich versuche ich, das zu verstehen und zuzulassen, dass das bei mir ankommt. Aber ich inszeniere mich auf diesen Bildern nicht als Obdachloser. Das ist meine ganz normale Kleidung, so laufe ich immer rum, das ist kein Kostüm. Auf einem der Fotos stehe ich vor einem Obdachlosenlager, auf dem Bild sieht man keine Obdachlosen oder andere Menschen. An diesem Nachtlager komm ich jeden Tag auf dem Weg von meiner Wohnung zur Schaubühne vorbei. Auf einem anderen Bild sitze ich bei mir im Hausflur, im Treppenhaus auf dem Boden. Das wurde interpretiert, als würde ich so tun, als würde ich im U-Bahnhof betteln. Ein befreundeter Fotograf hat diese Bilderserie mit mir in 20 Minuten gemacht, spontan und ohne Strategie oder irgendeine Inszenierung. Das ist eine Hommage an den Alltag und keine ästhetische Ausbeutung von Prekariarität, wie geschrieben wurde.

tip Finden Sie ein Nachtlager auf der Straße, wo Menschen ohne Wohnung schlafen müssen, als Deko-Hintergrund für Werbung für eine 550-Euro-Tasche nicht obszön?

Lars Eidinger Warum soll ich diese Wirklichkeit ausblenden? Es geht in meiner Kunst nicht um Moral, nicht bei den Instagram-Bildern mit der Tasche und nicht bei den anderen Fotos und Filmen, die ich aufnehme und veröffentliche. Ich zeige, was mich beschäftigt, zum Beispiel wie ein Obdachloser in Köln direkt vor der Fensterscheibe eines großen Bettengeschäfts mit vielen leeren, schönen, unbenutzten Betten auf der Straße liegt. Ich habe das nicht inszeniert, ich habe es gesehen. Das ist die Welt, in der ich lebe. Ich lebe in dem Widerspruch, dass ich privilegiert bin und jeden Tag auf dem Weg durch die Stadt Menschen in Not sehe. Ich bin nicht der Einzige, der in diesem Widerspruch lebt. Ich habe darauf keine Antwort. Ich habe den Obdachlosen in Köln nicht in mein Hotelzimmer eingeladen, obwohl da genug Platz gewesen wäre. Ich finde vorschnelle Antworten und Parolen, ohne das eigene Leben wirklich zu ändern, eigentlich etwas anmaßend.

tip Was haben Sie gegen moralische Wertungen?

Lars Eidinger Das ist nicht meine Aufgabe. Wenn ich „Richard III“ spiele, kommentiere ich sein Verhalten nicht, ich zeige es, und ich zeige, wie skrupellos er dabei vorgeht, aber ich bewerte es nicht. Mein Lieblingszitat ist aus „Hamlet“: „For there is nothing either good or bad, but thinking makes it so.“ Wenn mich jemand um ein Autogramm bittet, schreibe ich immer diesen Satz dazu, weil ich es blöd finde, nur meinen Namen aufzuschreiben. Das ist ein Schlüsselsatz für mein Leben geworden.

tip Denkt man diesen Werterelativismus zu Ende, ist alles okay und nur eine Frage der Perspektive, Hauptsache ich habe dabei keinen bösen Gedanken. Das ist extrem egozentrisch. Wirkliches Leid, Unrecht, schreckliche Verhältnisse, unter denen Menschen leben müssen, kann man so sehr bequem ausblenden.

Lars Eidinger Wir blenden das jeden Tag aus. Das ist so. Natürlich beruht unser Wohlstand in den reichen Ländern auf Ungerechtigkeit und Gewalt. Alleine dadurch, dass ich in diesem System funktioniere, lade ich Schuld auf mich.

tip Im vergangenen Jahr stellten Sie im Kunstverein Aachen Filme und Fotos aus. Auf einigen Ihrer Bilder sind Menschen im Elend zu sehen. Haben Sie diese Menschen um Erlaubnis gefragt, ob Sie sie fotografieren dürfen?

Lars Eidinger Ich zeige meine Kunst in Galerien und auf Instagram. Meine Insta-Stories sehen am Tag bis zu 36.000 Leute. Ja, ich habe Crack-Junkies in San Francisco gefilmt, ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Bis auf wenige Ausnahmen erkennt man keine Gesichter. Keines der in Aachen ausgestellten Bilder zeigt einen Obdachlosen. Auf einem Bild sieht man eine Schlafstätte auf einer Straße in Wien mit einer orangefarbenen Decke – und darüber eine große Werbetafel. Die Werbung zeigt einen Jungen, der sich behaglich in eine gleichfarbige Decke einwickelt. Ich laufe durch die Städte und sehe diese Schlafstätten, das fotografiere ich – nicht um andere Menschen bloßzustellen; nicht um mich darüber lustig zu machen; sondern um es zu zeigen. Unmittelbar nach dem Brand von Notre-Dame war ich in Paris. Ich habe gefilmt, wie sich Touristen vor der Kirche fotografieren, neben ihnen sitzt ein Bettler, den sie ignorieren, als wäre er gar nicht da, als könnten sie ihn nicht sehen. Das fasziniert mich, dass die Leute das aushalten, diesen Widerspruch. Das will ich festhalten. Das sind auch die Widersprüche meiner eigenen Existenz, das meine ich, wenn ich sage, diese Bilder sind auch Selbstportraits.

Termine: Peer Gynt an der Schaubühne

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