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Draußen vor der Tür: Michael Thalheimer über Borcherts Stück am BE

Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrer-Stück „Draußen vor der Tür“ ist ein pazifistisches Manifest. Michael Thalheimer inszeniert es am Berliner Ensemble. Wir sprachen mit dem Regisseur über einen Theatertext, der im Nachkriegsdeutschland einen Nerv getroffen hatte – und nun mit dem Krieg in der Ukraine eine neue Bedeutung erhält.

Kathrin Wehlisch und Jonathan Kempf in „Draußen vor der Tür“. Regie bei Borcherts Stück führt Michael Thalheimer. Foto: Matthias Horn

Thalheimer will der Fassungslosigkeit Stimme und Form geben

tipBerlin Herr Thalheimer, wie ist es, derzeit mit Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ ein Antikriegsstück zu inszenieren?

Michael Thalheimer Als der Krieg in der Ukraine anfing, waren wir natürlich alle schockiert. Meine Konzeption der Inszenierung war erstmal Makulatur. Wir saßen mit dem Ensemble zusammen und haben versucht, zu verstehen, was gerade Schreckliches geschieht. Wir haben nicht mehr über das Stück und unsere Arbeit geredet, sondern über den Krieg, der jetzt stattfindet. Man weiß manchmal nicht, wie man in diesen Zeiten überhaupt Theater machen kann. Ist es sinnvoll, sich zu Proben zu treffen? Dann sagten wir uns, gar nichts zu tun, kommt auch nicht in Frage. Jetzt versuchen wir, mit diesem Stück von Borchert unserer Fassungslosigkeit eine Stimme und eine Form zu geben. Wir treffen uns jeden Tag und beschäftigen uns Stück für Stück mit diesem Text. Fast jede Textzeile bekommt durch den Krieg eine besondere, neue und schreckliche Bedeutung.

tipBerlin Irgendwie muss man ja versuchen, zu verarbeiten, was man jeden Abend im Fernsehen sieht. Hilft da Theater?

Michael Thalheimer: „Wir sind verdammt zum Zuschauen“

Michael Thalheimer Wir sind verdammt zum Zuschauen. Zwei Flugstunden von Berlin entfernt werden unschuldige Menschen bombardiert, das ist so nah wie Rom oder Paris. Das ist ein Schlachthaus, direkt vor unserer Haustür. Ich bin gerade froh, als Regisseur und als Mensch, dass wir uns mit diesem Stück über den Krieg beschäftigen. Wenn ich jetzt Ibsen oder Tschechow inszenieren sollte, ich glaube, wir hätten alle erstmal aufgehört, weiterzuarbeiten, bei aller Bewunderung für Ibsen und Tschechow. Bei diesem Antikriegsstück, „Draußen vor der Tür“, empfinde ich es als Aufgabe, das jetzt zur Premiere zu bringen.

Regisseur Michael Thalheimer inszeniert "Draußen vor der Tür" am Berliner Ensemble. Foto: Imago/Thilo Rückeis/TSP
Regisseur Michael Thalheimer inszeniert „Draußen vor der Tür“ am Berliner Ensemble. In vielen seiner Arbeiten geht es um Gewalt. Foto: Imago/Thilo Rückeis/TSP

tipBerlin Borchert hat das Stück über den Kriegsheimkehrer Beckmann 1946 geschrieben, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie inszenieren ein Nachkriegsstück, während ein Krieg beginnt – etwas gespenstisch, oder?

Letztlich ist das Stück von Wolfgang Borchert ein einziger lauter Schrei“

Michael Thalheimer Absolut. Borchert war als Soldat im Krieg, er wurde an der Front verwundet, er wurde als Pazifist von den Nationalsozialisten wegen „Wehrkraftzersetzung“ verurteilt und inhaftiert.  Er ist 1947 sehr jung an den Kriegsfolgen gestorben. Borchert hat das Grauen des Krieges erlebt, das merkt man seinem Text in jedem Satz an. Dem müssen wir erstmal gerecht werden, wenn wir das heute aufführen. Jetzt weist dieses Stück in die Zukunft, weil es von einem Kriegsheimkehrer berichtet. Was macht der Krieg mit den Menschen? Letztlich ist das ganze Stück von Wolfgang Borchert ein einziger lauter Schrei.

tipBerlin Ihr Theater zeigte immer schon eine Welt der Konflikte, der Gewalt. Wirkt es deshalb im friedlichen, dekadenten Wohlstandsdeutschland oft etwas fremd, wie eine Erinnerung an härtere Zeiten?

Michael Thalheimer Zumindest wurde ich deshalb kritisiert: Weshalb macht Thalheimer ein Stück wie „Macbeth“ von Heiner Müller, weshalb so ein Kriegsstück, wir leben doch in herrlichen Friedenszeiten… Das war wirklich einmal eine Kritik zu einer Inszenierung. Das Theater wusste immer, dass die Welt nicht so friedlich ist. Jetzt wird das sehr deutlich. Ich feiere die Gewalt nicht, ich erschrecke vor ihr. Ich gebe zu, dass das, was jetzt in der Ukraine geschieht, für mich bis vor Kurzem unvorstellbar war. Natürlich gibt es eine Kriegsangst und wenn man die spürt, rückt so ein Text von Wolfgang Borchert auf den Proben jeder Schauspielerin, jedem Schauspieler und natürlich auch mir sehr nahe.

tipBerlin Borcherts Stück war in der Nachkriegszeit sehr erfolgreich. Die Nachkriegsdeutschen hatten Mitgefühl mit dem Kriegsheimkehrer Beckmann, einem deutschen Soldaten. Sie konnten sich mit ihm identifizieren – als seien deutsche Soldaten die ersten Opfer des Zweiten Weltkrieges gewesen – und nicht die Menschen, die von deutschen
Soldaten ermordet wurden.

„Draußen vor der Tür“: ein surrealistisccher, expressionistischer Fiebertraum

Michael Thalheimer Das Stück ist vielschichtig. Ich glaube nicht, dass Borchert die Absicht hat, als erstes Opfer des Krieges einen deutschen Soldaten zu zeigen. Er schreibt seine eigene Lebensgeschichte auf, das sind seine Alpträume, das macht das Stück so kraftvoll. Leider konnte Borchert die Uraufführung seines Stücks selbst nicht mehr erleben, er ist kurz davor gestorben, mit 26 Jahren. Für mich geht es nicht um den Zweiten Weltkrieg oder um deutsche Soldaten, sondern um einen Menschen, der einen Krieg erlebt hat. Daraus erklärt sich auch unsere Besetzung: Beckmann wird von Kathrin Wehlisch gespielt. Schon bei der der ersten Lektüre und bei der allerersten Konzeptionsprobe war mir klar, dass es für mich um ein universelles Thema geht, nicht um deutsches Zeitkolorit. Das Stück ist nicht realistisch geschrieben, das ist ein surrealistischer, expressionistischer Fiebertraum, in dem die Elbe spricht; Gott tritt auf, auf Skeletten wird Musik gespielt.

tipBerlin Sie machen aus „Draußen vor der Tür“ kein Geschichtskino mit Hakenkreuz-Dekoration?

Michael Thalheimer Sicher nicht. Für mich ist das ein archaischer Stoff; der Kriegsheimkehrer Beckmann ist eine archetypische Figur. Ich will nicht in die Historie gehen, zumal ich sie nicht erlebt habe. Der Kriegsheimkehrer Beckmann möchte die Verantwortung zurückgeben, er weiß, dass er nicht unschuldig ist, er war ein Mörder in diesem Krieg. Es ist auch eine Wahrheit, wenn Borchert Soldaten als Opfer des Krieges beschreibt, sie sind beides, Täter und Opfer. Auch die russischen Soldaten, die jetzt in der Ukraine sind, sind Opfer Putins. Bei Borchert geht es um den Menschen, nicht um Ideologie. Er hat keine Antworten, er zeigt das Leid und die Verzweiflung. Borcherts Haltung ist: In einem Krieg gibt es nur Opfer, ein Krieg löst kein einziges Problem. Diese Haltung teile ich.

tipBerlin Borchert zerstört die heroische Überhöhung des soldatischen Mannes – auch das wird vielleicht wieder virulent werden, wenn in jeder Talkshow pensionierte Generäle sitzen und Politikern erklären, was jetzt zu tun ist.

Michael Thalheimer Das macht mich auch misstrauisch. Ich weiß nicht, ob die massive Aufrüstung die einzig mögliche und richtige Antwort auf Putins Überfall auf die Ukraine ist. Wir erleben eine Zeitenwende, in der viele alte Gewissheiten wegbrechen. Das wird uns alle noch lange Zeit beschäftigen, und nicht nur in der eher harmlosen Form höherer Benzinpreise. Natürlich habe ich auch keine Lösung. Wie wir alle bin ich fassungslos und sprachlos. 

  • Berliner Ensemble Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, Fr 25., Sa 26.3., 19.30 Uhr, So 27.3., 18 Uhr, Sa 30.4., 20 Uhr, 26–42 Euro, weitere Termine und Tickets hier

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