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HAU-Schwerpunkt zu Belarus: Wie kann Theater mit Krieg umgehen?

Das HAU zeigt im April 2022 einen Programmschwerpunkt mit Theater, Diskussionen und elektronischer Musik aus Belarus – ein Akt der Solidarität mit der Demokratiebewegung in Belarus, eine mit dem Putin-Regime eng verbundene Diktatur im Norden der Ukraine. Zu den Teilnehmer:innen gehört die belarussische Philosophin und Aktivistin Olga Shparaga. Um der drohenden Inhaftierung wegen ihrem Engagement in der Demokratiebewegung zu entgehen, musste sie 2020 aus ihrem Land fliehen. Olga Shparagas Buch über die Demokratie-Bewegung in Belarus („Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“) ist bei Suhrkamp erschienen. Derzeit lebt sie in Berlin im Exil. Wir sprachen mit ihr und der stellvertretenden HAU-Intendantin Aenne Quiñones über Theater und Demokratie angesichts von Putins Krieg.

Olga Shparaga ist Autorin von "Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus". Foto: Violetta Savchits
Olga Shparaga ist Autorin von „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus“. Foto: Violetta Savchits

Seit 2021 gibt es in Belarus praktisch kein unabhängiges Theater mehr“

tipBerlin Frau Shparaga, können Sie die Situation der unabhängigen Theater in Belarus beschreiben? Wie hat sich die Situation seit den Massenprotesten gegen die Diktatur und die Wahlfälschung 2020 verändert? Wie verändert sie sich seit Kriegsbeginn?

Olga Shparaga Seit 2021 gibt es in Belarus praktisch kein unabhängiges Theater mehr – Theater wurden geschlossen oder sind stark kontrolliert. Aber außerhalb von Belarus existiert eine unabhängige Kunstszene, etwa das Belarus Free Theatre in London, aber auch kleinere Theaterprojekte. Es geht um Reflexion, vor allem über die revolutionären Prozesse 2020 in Belarus. Das hilft, neue Kräfte für den Widerstand zu mobilisieren. Ich denke, dass sich die unabhängigen belarussischen Theater auch mit Putins Krieg auseinandersetzen werden. Die belarussische Demokratiebewegung unterstützt mit allen Kräften die Ukraine und kämpft jetzt nicht nur gegen den belarussischen Diktator Lukaschenko, sondern auch offen gegen Putin. Tausende Belarus:innen sind wegen der politischen Repressionen nach 2020 ins Ausland geflohen, viele sind im Exil aktiv. Im Moment helfen sie den Ukrainer:innen auf allen möglichen Wegen.

tipBerlin Das HAU zeigt im April einen Programmschwerpunkt mit Aktivist:innen und Künstler:innen aus Belarus. Welche Bedeutung hat dieser Austausch für Sie?

Olga Shparaga Es spielt eine sehr wichtige Rolle, weil unabhängigen Künstler:innen keine Möglichkeit haben, ihre Projekte in Belarus zu zeigen und in eine offene Kommunikation mit dem Publikum zu treten. Das ist nur im Ausland möglich. Veranstaltungen wie im HAU sind auch die Möglichkeit, über Belarus zu sprechen und die Lage dort nicht zu vergessen.

tipBerlin Frau Quiñones, weshalb veranstaltet das HAU unter enormen Schwierigkeiten diesen Programmschwerpunkt zu Belarus?

Aenne Quiñones ist stellvertretende HAU-Intendantin. Das Haus macht einen Programmschwerpunkt zu Belarus. Foto: Dorothea Tuch
Aenne Quiñones ist stellvertretende HAU-Intendantin. Das Haus macht einen Programmschwerpunkt zu Belarus. Foto: Dorothea Tuch

Aenne Quiñones Ich war gemeinsam mit meiner Kollegin Sarah Reimann mehrmals zum Festival „TEART“ nach Minsk eingeladen. Schon allein die Stadt, von den Sowjets erbaut, macht die Widersprüche sichtbar: stalinistische Architektur neben Shoppingmalls, das Lenin-Denkmal neben KFC-Fast Food oder westlichen Luxusshops. In Minsk sind wir vielen spannenden Künstler:innen begegnet. Diese Theaterleute, Autor:innen, bildende Künstler:innen suchen nach neuen Perspektiven, basierend auf einem selbstbestimmten und solidarischen Miteinander. Diese Fragestellung geht uns alle an.

Als Theater in Berlin interessieren uns schon lange Verbindungen mit Kolleg:innen aus dem postsozialistischen Raum. Hier gibt es die Erfahrungen des Umbruchs, des Scheiterns, der historischen Veränderung, die den Blick schärfen für kritische künstlerische Perspektiven auf die Gesellschaft.

tipBerlin Frau Shparaga, Sie waren 2020 in der demokratischen Massenbewegungen gegen die Wahlfälschung und das autoritäre Regime in Belarus engagiert und wurden dafür im Oktober 2020 in Minsk inhaftiert. Konstituiert sich in dieser Protestbewegung so etwas wie eine demokratische Zivilgesellschaft unter Bedingungen der Diktatur?

Olga Shparaga Das Entscheidende im Jahr 2020 war das Engagement breiter zivilgesellschaftlicher Kreise. Hunderttausende Menschen sind auf die Straße gegangen, um ihren Anspruch auf die demokratische Zukunft von Belarus offen, friedlich, vernetzt und kreativ zu demonstrieren. Ja, das ist die Konstitution bürgerlicher Öffentlichkeit im Sinne von Habermas. 2021 haben wir eine sehr brutale Antwort von Lukaschenko auf die Proteste erlebt. Im Moment sind mehr als 1100 politische Gefangene in Haft, und die Festnahmen, die Folter, die Prozesse gehen weiter.

Aber gleichzeitig hat Lukaschenko die Legitimation seiner Macht verloren. Das bestätigen sowohl die sozialen Befragungen, als auch die kleineren subversiven Aktionen in Belarus und die Demokratiebewegung im Exil. Für mich bedeutet das alles die weitere Stärkung einer demokratischen Gesellschaft in Belarus.

tipBerlin Ist für Sie in diesem Zusammenhang Judith Butlers „performative Theorie der Versammlung“ wichtig, etwa wenn sie Volkssouveränität als „Weg der Bildung eines Volkes durch Akte der Selbstbezeichnung und Selbstversammlung“ mittels wiederholter, verbaler und nonverbaler, leiblicher und virtueller Inszenierungen beschreibt?

Belarussische Demokratiebewegung war eine gemeinsame Übung der Freiheit

Olga Shparaga Ja, ich beziehe mich auf Judith Butlers „performative Theorie der Versammlung“ in meinen Texten und in meinem bei Suhrkamp erschienen Buch über die belarussische Revolution. Menschen mit sehr verschiedenen Identitäten haben in der Demokratiebewegung bei der gemeinsamen Übung der Freiheit solidarisch zusammengefunden. Ein Beispiel sind die Frauen bei den Frauenmärschen. Sie haben zwar kaum eine kollektive Identität, aber sie konnten gemeinsam agieren, weil sie gemeinsame Ziele haben und solidarische und offene Beziehungen zwischen ihnen entstanden sind. Dadurch entsteht ein neuer Modus der Handlung, der kooperativ ist, ein Prozess der Subjektivierung nicht separater, autonom-emphatischer Subjekte.

tipBerlin Kehrt mit dem Krieg auch in den Demokratien ein reaktionärer Nationalismus voller Ressentiments zurück – etwa wenn auf der Internetplattform „Nachtkritik“ eine ukrainische Theaterkritikerin völlig im Ernst den Boykott und Sanktionen für alle russischen Künstler:innen fordert?

Bei jedem Krieg geht es um die Vereinfachung der Strukturen“

Olga Shparaga Ja. Bei jedem Krieg geht es um die Vereinfachung der Strukturen – der emotionalen, der Handlungsstrukturen und natürlich des Selbstverständnisses und der Bestimmung anderer. Putin wird mit Russland und allen Russ:innen identifiziert. Die Menschen als Menschen, als Träger:innen der menschlichen Würde und der Menschenrechte, werden dabei vergessen. Aber doch nicht völlig. Wir sehen etwa, dass von der ukrainischen Seite gefordert wird, die Kriegsgefangenen nicht zu foltern. Wenn Menschen ausschließlich mit ihrer Nationalität identifiziert werden, verweist das auf die Grenzen des Humanen in jeder konkreten Situation. Gleichzeitig aber zeigt diese Situation für mich, dass die Rolle der russischen Kultur nach dem Krieg neu gedacht werden sollte, weil die Kultur mit der Politik doch verbunden ist.

Proteste in Belarus 2020. Foto: Imago/ITAR-TASS/Sergei Bobylev

tipBerlin Es fällt auf, wie hasserfüllt Putin gegen Feminismus und LGBT-Bewegungen hetzt. Sie haben an den Protesten gegen die Diktatur in Minks dezidiert als Feministin und LGBT-Aktivistin teilgenommen. Ihr Buch über die Demokratiebewegung in Belarus trägt den Titel „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“. Weshalb ist der Feminismus und die LGBT-Perspektive so wichtig für den demokratischen Widerstand gegen Diktatoren wie Lukaschenko oder Putin?

Olga Shparaga Weil die autoritären Regime in Belarus und Russland patriarchalisch organisiert sind. Die patriarchalischen Strukturen liefern die Voraussetzungen für die Brutalität der Miliz und der militärischen Kräfte. Gleichzeitig sind sie für die Reproduktion des gewalttätigen Handelns verantwortlich. Gegen diese Struktur entwickelt sich die Vielfalt von Lebensstilen und Identitäten, die wiederum neue Formen der Vernetzung und Dialoge erfordert. Das alles ist für die autoritären Regime gefährlich, das zerstört sie von innen. Das geschieht bereits schon jetzt in unseren Ländern, dank der globalen Kommunikation und Vernetzung.

Widerständiges Potenzial von Theater und Ravekultur

Aenne Quiñones Diesen Fragen widmet sich auch die neue HAU-Koproduktion „P for Pischevsky“ vom HUNCHtheatre Belarus in Zusammenarbeit mit CHEAP aus Berlin und der Kampagne Delo Pi_ Campaign Against Homophobia. Die Performance basiert auf der Mitschrift des Prozesses um den Mord an Mikhail Pischevsky – einem jungen Architekten, der 2014 nach einer LGBT-Party zusammengeschlagen wurde und später an den Folgen starb. Die Performance verhandelt das widerständige Potenzial, das sich in Theater und Ravekultur entfaltet, wenn sie zu Orten der Selbstbestimmung werden.

tipBerlin Welche Veranstaltungen des Belarus-Schwerpunkts im HAU sollte man nicht verpassen?

Aenne Quiñones Das Programm hat eher interdisziplinären Charakter. Olga spricht von der „solidarischen Vereinigung sehr verschiedener Identitäten“, das diskutieren wir am 19.April im HAU1. Hier soll es darum gehen, wie ziviler Widerstand von Chile bis Belarus auf den Straßen eingesetzt wird, und darum, Allianzen zu schaffen gegen den Autoritarismus weltweit. Daneben gibt es Konzerte, beispielweise dekonstruiert die Musikerin Shuma traditionelle belarusische Gesänge und verwandelt sie in elektronische Musik. Die Regisseurin und Musikerin Sveta Ben geht mit der Synthesizer-Diva Galya Ozeran, bekannt als Chikiss, auf die Bühne. Der Autor und Architekt Artur Klinaū stellt im Gespräch mit der Autorin Annett Gröschner sein neues Buch “Acht Tage Revolution. Ein dokumentarisches Journal aus Minsk” (Suhrkamp, 2021) vor. Und die Kuratorin Tania Arcimovich lädt ein zur pARTisanka-Party mit interdisziplinären Kunstprojekten, Lesungen und Musiksets. Wir freuen uns auf die Begegnung und den Austausch.

  • HAU 1, 2, 3, Kreuzberg, 19. -28.4.,Programm und Tickets online
  • Olga Shparaga: Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus. Suhrkamp, 234 Seiten, 13 Euro

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2020 war das Jahr der großen Proteste. Wir sprachen mit der Musikerin Chikiss über Solidarität mit Belarus in Berlin. Es herrscht Krieg in Europa. Wie ihr in Berlin den Menschen aus der Ukraine helfen könnt. Mehr aus der Bühnenwelt lest ihr in unserer Theater-Rubrik. Und mehr über Politik hier.

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